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Neue Musik im Festspielhaus

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Das erste Orchesterkonzert der heurigen Salzburger Festspiele hatte ein Programm, wie n^n es sich für die an neuer Musik interessierten Besucher dieses im ganzen recht konservativen Festivals nicht besser wünschen könnte.

Im Mittelpunkt standen die Fünf Orchesterlieder von Alban Berg nach Ansichtskartentexten Peter Altenbergs für großes Orchester und Sopran (Halina Lulcomska). Obwohl bereits 19X2 entstanden und bei cjer Premiere im Jahr darauf entsprechend ausgepflffen, weisen sie in ihrem opemhaft-expressionistischen StU nicht nur auf „Wozzeck", sondern auch schon auf Bergs letzte Oper ,^^1^" voraus und sind sehr geeignet, das Büd, das sich der eine oder andere Festspielbesucher von Berg zu machen beginnt, zu vervollständigen. Erstaunlich, wieviel Gefühl und Ausdruck der Komponist — und auch die ausgezeichnete polnische Sän’gerin — in diese Texte investierte, die man heute als ein wenig halbseiden empfindet imd die leicht zu parodieren wären …

Luciano Berios „Sinfonia", die wir in Wien, vom Komponisten kommentiert, zunädist durch eine Tonbandaufnahme mit den Swingle Singers kennenlernten, ist eines der erfolgreichsten Orchesterwerke der letzten Jahre. Wohl nicht zuletzt dank der geistvollen Collagetechnik und des Reichtums an Zitaten und Anspielungen aller Art. Da gibt es Textfragmente aus den Schriften des Anthropologen Levi-Strauss, aus Beckett sowie allerlei Slogans, zum Beispiel von den Maiunruhen 1963 an der Sorbonne sowie Konversationsfragmente und anderes mehr. Der Vokalpart des zweiten Satzes basiert auf dem Namen Martin Luther King, dessen Andenken dieser Teil gewidmet ist. Zweifellos am interessantesten, freilich auch künstlerisch fragwürdig, ist der dritte Abschnitt des 35 Minuten dauernden Werkes: Uber dem Scäierzo der Auf-erstehungssymphonie Gustav Mahlers erklingen allerlei musikalische Zitate, die in Collage beziehungsweise Montagemanier darüber gesetzt sind: aus bekannten Werken von Richard Strauss, Debussy, Ravel, Berlioz und Brahms sowie von Zeitgenossen — man kann sie kaum alle identifizieren. Berio beteuert, daß er weder die Zitierten und schon gar nicht Mahler hierdurch ironisieren wollte, dessen Werk „das „Gewicht des ganzen Musikgeschehens zu tragen scheint". Die hochkomplizierte und virtuose Partitur, das Werk eines eminenten Könners, wurde unter der Leitung von Milan Horvat vom ORF-Ordie«tcr mit be merkenswertem Einsatz und gutem Gelingen wiedergegeben, wobei die Bewältigung der schwierigen Vokalpartien (hauptsächlich in englischer und französischer Sprache), die den Swingle Singers auf den Leib geschrieben wurden, durch acht sehr bemühte und talentierte Damen und Herren des ORF-Chores besonders hervorgehoben zu werden verdient. Das Publikirai hat das originelle Werk Berios sehr genossen und stürmisch akklami*rt, teils das emsthafte Anliegen des Komponisten würdigend, teils auch den Spaß dieser CoUage-Montage-Techndk goutierend.

An dem Livre pour Orchestre des 1913 geborenen polnisdien Komponisten Witold Lutoslawski war sowohl die Machart wie die Wiedergabe sehr instruktiv. Deutlich voneinander abgehoben smd genau festgelegte und von einzelnen Instrumentalgruppen ad libitum auszuführende TeUe, letztere als „Inter-medien" gewissermaßen zur Entspannung der Spieler und des Publikums gedacht. Aber das allein wäre zu wenig und ergäbe eine etwas zu simple Form. Daher gibt es im letzten Drittel des 20-Minuten-Werkes eine durch mächtigen Tumult der Blechbläser verursachte Steigerung. Nachdem Lutoälawski, dieser hervorragende Könner und Kenner, in den vorangegangenen Teilen an Stra-winskys „Petruschka" und Honeggers „Pacific 231" erinnert hatte, schlägt er in diesem letzten Abschnitt eine Brücke zu Bergs postromantischem Chromatismus und läßt das interessante Werk beziehungsvoU mit einem leisen Quartenakkord ausklingen — hiermit wohl nicht ohne Absicht an den Erfinder der Zwölftontechnik und dessen bahnbrechende, auf Quartenfolgen aufgebaute Kammersymphonie anspielend.

Über das zweite Konzert mit neuer Musik, das gleichfalls vom ORF-Orchester ausgeführt und von Carl Melles geleitet wurde, berichten wir in der nächsten Nimimer (Werke von Luigi Dallapiccola und György Ligeti).

• Das Ballett der Stuttgarter Staatsoper wird unter Leitung seines Choreographen Joan Cranco im Jänner und Februar 1972 in Moskau, Leningrad und Kiew gastieren. Die zur Aufführung vorgesehenen modernen Ballettinszenierungen gehören zum gleichen Programm, mit dem das Stuttgarter Ballett bereits in den Vereinigten Staaten t oße Erfolge erzielte.

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