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Neue Musik in Budapest

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Neue Musik leitet nun schon mit Tradition die Musiksaison der ungarischen Hauptstadt ein. Sie wird fast immer mit Werken der Klassiker des 20. Jahrhunderts kombiniert, was Ermüdungserscheinungen vermeiden hilft. Freilich bedarf es auch einer bestimmten Qualität, um neben Bar-tök und Strawinsky bestehen zu können. Das meiste, was man bei modernen Musikfesten zu hören bekommt, sucht ja mit Recht die'Se-gregation. Anders in Budapest. Und wenn natürlich auch nicht alle Kompositionen den Vergleich rechtfertigen — an Ernst und Willen zum Tiefgang läßt es keine fehlen. Ein Konzert mit elektronischer Musik, die sich auf Illustrationseffekte beschränkte und in einem Fall auch Düfte zur Begleitung mobilisierte, Wieb eine Ausnahme.

Der interessanteste unter den jungen Komponisten Ungarns ist vielleicht Zsolt DurJco; mit seinem farbigen Kammermusikwerk „Ikono-graphia II“ machte er auf seine Oper „Moses“ neugierig, die als sein erstes Bühnenwerk im Frühjahr an der Budapester Oper einstudiert wird. Vielleicht noch von ferne an Bar-tök erinnernd, zeigt Durkos Musik bereits weitgehend persönliche Stilmerkmale, wie denn überhaupt die epigonale Bartök-Nachfolge der beiden ersten Dezennien nach dem Krieg längst dem zunehmenden Selbstbewußtsein der jungen Komponistengeneration gewichen ist. Zu dieser zählt auch György Kurtäg, dessen Opus 1, ein Streichquartett aus dem Jahre 1959, die Periode intensiver Suche nach neuen, Bartök nicht verleugnenden, ihn aber auch nicht nachahmenden Stilmitteln eingeleitet hatte. Die Wiederbegegnung mit dem Werk erinnert daran, wie intensiv das Vorbild Anton Weberns in diesem Prozeß zur Wirkung kam. Das dritte Streichquartett des Altmeisters der ungarischen Avantgarde, Andras Mihäly, zeigte auch diesen ewig jungen Komponisten, der mit seinem „Ensemble der neuen Musik“ in Budapest ähnliche Impulse gab wie Friedrich Cerha mit seiner „reihe“ der Wiener Szene, auf dem Weg, sich zugleich ungarisch und persönlich auszudrücken. Seine Qualität als Interpret demonstrierte er an der Spitze seines Ensembles durch eine hinreißende Wiedergabe von Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“. An hervorragenden In-strumentalisten, Bläsern wie Streichern, herrscht übrigens kein Mangel. Für einen einzigen Kammermusikabend konnten gleich vier Streichquartette aufgeboten werden,die allesamt Spitzenqualität repräsentieren. Dadurch, daß jedes sich ausschließlich mit einem einzigen schwierigen Werk zu befassen hatte, wurden optimale Interpretationen erzielt.

Die Neugier des Budapester Publikums für neue Musik hält sich in Grenzen; immerhin sieht man doch bei jeder Erstaufführung nicht nur die professionellen Kritiker, sondern auch viele Professoren der Musikhochschule und eine größere Anzahl von Studenten unter den Hörern. Die großen Abonnementkonzerte hingegen sind ausverkauft. Und daß Bartök in Budapest einen Konzertsaal füllt, ■wie hierzulande Beethoven und Brahms, spricht für die Breite der Erziehungsarbeit, die hier geleistet wurde. Janos Ferencsik ist noch immer unumstritten die führende Persönlichkeit. Das „noch immer“ schließt den Verzicht auf neue Interpretationsnuancen beinahe schon ein. Immerhin kamen die „Cantata profana“ und das „Concer-to for orchestra“ zu glanzvoller Wiedergabe, wobei lediglich die ungünstige Akustik des Erkel-Theaters den Genuß beeinträchtigte. In einem weiteren Konzert im kleineren, aber doch besser geeigneten Saal der Musikhochschule führte Ferencsik neben den „Wozzeck“-Bruchstücken von Alban Berg ein „Requiem“ von Sandor Balassa auf, das viel Atmosphäre und nicht ganz so viel Pneu-ma besitzt.

Der im Abstand von jeweils fünf Jahren durchgeführte Liszt-Bartök-Klavienoettbewerbe hatte in diesem Jahr dem Beginn der Budapester Saison den besonderen Akzent gegeben. 70 Kandidaten aus 20 Ländern waren erschienen. Eine internationale Jury konnte sich diesmal — anders als bei den drei vorangegangenen Wettbewerben, bei denen ein erster Preis nicht vergeben oder geteilt wurde — zu einem eindeutigen Votum durchringen: der Spitzenplatz wurde dem bundesdeutschen Pianisten Robert Benz zuerkannt Souveränität und Brillanz konnte er bei der Interpretation des Es-dur-Kon-zerts von Liszt nachweisen, wie übrigens auch der aus Afrika stammende Franzose Frederic Aguessy, der die eine Hälfte des zweiten Preises zugesprochen erhielt; die andere wurde dem Amerikaner Gary Stei-oerwalt zuteil, der sich mit Bartöks drittem Klavierkonzert als echter Musiker auswies. Von ihm wird man gewiß noch hören.

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