7064056-1991_47_20.jpg
Digital In Arbeit

Neue Reiche des ewigen Schnees

Werbung
Werbung
Werbung

Lange ist es her, daß ein Weiser in Israel verkündete, Jegliches habe seine Zeit. Er ist zwar zu Bestsellerehren gekommen, der biblische Autor der Weisheitssprüche, aber wer hält sich schon an so altbewährte Weisheiten? Weder die Gurken noch die Bananen haben ihre Zeit, denn Treibhäuser, Luftfrachter und Konserven haben saisonale Ernten der Konsumlust angepaßt.

Heute haben wir alles zu jeder Zeit - und am allerliebsten zur unmöglichsten Zeit, weil es uns da die Langeweile am Uberfluß am besten vertreibt. Schwimmer sind längst nicht mehr auf See und Meer angewiesen, die Sonne strahlt im Bräunungsstudio, keine Jahreszeit hat mehr ihre Zeit, denn man kann ihr nach Belieben rund um den Erdball nachfliegen. Wem es im Sommer zu heiß wird, der fliegt in die Arktis, wem es im Winter zu kalt wird, der urlaubt in den Bahamas. Alles hat seine Gegend, aber nicht seine Zeit.

Doch halt, weiser biblischer Spruchautor! In Österreich hat unser nationalster Sport doch noch seine Zeit! Es ist eine Zeit schizufahren und es ist eine Zeit, die Bretter stehenzulassen! Von der fanatischen Ersatzbefriedigung des Gras-Schilaufens vielleicht abgesehen. Und selbstverständlich auch abgesehen von unserer Wunderwaffe gegen eine faule Frau Holle: der Schneekanone! So als kleine Korrektur für allzu abgefahrene Pisten lassen zünftige Schifahrer die weiße Kanone ja gelten, doch inmitten kahler Hänge bloß über eine schmale Gleitfläche wedeln, das ist einem halbwegs naturverbundenen Österreicher kein rechter Spaß. Das mag Touristen aus Disneyland ergötzen. Da blickt der Sportsfreund, der auf sein Ambiente hält, zum Himmel und zur Femseh-Wetterprognose und denkt: Alles hat seine Zeit! Die Vorfreude ist schließlich auch eine Freude. Man kann sich ja mittlerweile ansehen, welche Spiralen und Farben sich die Schi- und Schimodendesignern heuer einfallen lassen.

Es scheint nämlich, daß der besten Schifahremation der Welt doch nicht das rechte Leistungsethos innewohnt. Während sich die Tennisspieler und Schwimmer längst mit ihren Hallen abgefunden haben, ist hierzulande das Hallen-Schifahren noch pure Utopie. Wir mögen es noch immer ringsum verschneit und rauhbereift. Eben: Alles hat seine Zeit.

Da sind uns die fixen High-tech-maker aus dem Femen Osten schon wieder voraus. In Narashino, 40 Kilometer vor Tokio, bauen sie jetzt die erste Pisten-Halle der Welt. Die Manager, um den Wortgriff ins Sakrale nicht verlegen, nennen den kühnen, 500 Meter langen Bau „Schi-Dom" und läuten auch schon kräftig mit den Werbeglocken für die Eröffnung im März 1992.

Da hat nicht mehr alles seine Zeit. Denn da wird zur Sportpflicht angetreten. Disziplin muß sein. Sieben Grad minus konstant, dank Aggregaten, zur Optimierung der Gleitfähigkeit der Kunstpisten. Alles genau berechnet. Schifahrerdichte 1:15, das heißt 15 Quadratmeter Schnee pro Fahrer. Elektronische Ampelregelung.

Sessellifte an den Hallenwänden (oder sollte man sagen in den Seitenschiffen des Doms?).

Schifahren ohne Risiko. Die totale Perfektion. Hondatoyotakawasaki-ment!

Wenn ich in den nächsten Monaten in unseren Alpen einige clevere Herren mit technischem Gerät und in femöstlicher Begleitung über die Hänge stapfen und die Köpfe schätzend zusammenstecken sehe, so dämmert mir ein furchtbarer Argwohn. Die Schifahremation ist herausgefordert. Alles hat seine Zeit!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung