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Neue Schauprozesse
Der Gerichtssaal war ungeheizt. Die Richter saßen in Wintermänteln hinter ihrem Pult. Die beiden Angeklagten zitterten. Vor Kälte, vielleicht auch aus Angst: Nexh-mija Hoxha und Kino Buxheli müssen sich seit vergangenem Freitag in Albanien vor Gericht verantworten.
Der Gerichtssaal war ungeheizt. Die Richter saßen in Wintermänteln hinter ihrem Pult. Die beiden Angeklagten zitterten. Vor Kälte, vielleicht auch aus Angst: Nexh-mija Hoxha und Kino Buxheli müssen sich seit vergangenem Freitag in Albanien vor Gericht verantworten.
Die beiden Spitzenpolitiker aus kommunistischer Zeit sind angeklagt wegen „Anordnung zur standrechtlichen Erschießung”, Nexhmija Hoxha als Ehefrau und Beraterin des langjährigen Staats- und Parteichefs En-ver Hoxha, Kino Buxheli in der Funktion als ehemaliger Regierungschef.
Während sich die meisten Staaten Osteuropas spätestens seit Mitte der achtziger Jahre in Reformen versuchten, wurde in Albanien noch Stalin verehrt, war jeder Privatbesitz restriktiv verboten. Die, die über alle Entscheidungen trafen, ein enger Kreis von Spitzenpolitikern, lebten abgesondert vom Volk, in einer eigenen Stadt - in Saus und Braus.
Wer als einfacher Bürger in den verbotenen „Block”, wie die Siedlung der oberen Hundert im Volksmund genannt wurde, zu gelangen versuchte, konnte damit rechnen, erschossen zu werden. Wer in anderer Form seinen Protest gegen das Regime äußerte, verschwand für Jahre, in manchen Fällen sogar für Jahrzehnte hinter Gittern. Manchmal mußten sogar Kinder in einer Art Sippenhaft für die „politischen Verbrechen” ihrer Eltern büßen.
Der Prozeß gilt als Auftakt einer Generalabrechnung mit allen aus dem „Block”. Geht es nach dem Staatsanwalt, so sollen alle ehemaligen Spitzenfunktionäre zumindest wegen „Bereicherung auf Kosten des Volkes” belangt werden. Darauf steht auch noch im demokratischen Albanien „in schweren Fällen” die Todesstrafe.
Ein offenes Geheimnis ist es mittlerweile, von wem diese geheimen Dokumente über den Schießbefehl und die Buchhaltung über die „Bereicherung auf Kosten des Volkes” enthüllt wurden: Von Ramiz Alia, einst Enver Hoxhas Liebling und nach dessen Tod 1985 mächtigster Mann Albaniens. Seine Biographie „Ich, Ramiz Alia” ist seit Wochen ein Bestseller, seine Behauptungen werden für bare Münze genommen. Da behauptet doch der Altkommunist Alia, die „Hoxha-Sip-pe” habe schon 1947 dem Druck Jugoslawiens klein beigeben wollen und sei bereit gewesen, Albanien an Jugoslawien als neunte Provinz anzuschließen. Dies habe nur Stalin zu verhindern gewußt. Die Stoßrichtung dabei: Die Genossen um Hoxha waren keine wahren Patrioten, es ging ihnen nur um die persönliche Macht.
Wer ist ein Patriot? Eine Frage, die derzeit in Albanien angesichts der jugoslawischen Krise heftig diskutiert wird. Die vorherrschende Meinung in den Medien dazu: Hätte Albanien schon vor Jahrzehnten den Sozialismus abgeschüttelt und sich Westeuropa geöffnet, es wäre ein modernes Land und nicht das wirtschaftliche Armenhaus des Kontinents. Denn die Angst geht um, nach dem Krieg in
Bosnien könnte sich die Aggression der serbischen Kriegstreiber gegen die Albaner richten, nicht nur gegen die zwei Millionen Kosovo-Albaner in Südserbien, sondern auch gegenüber dem albanischen Staat. Auch in dieser Frage der „nationalen Unachtsamkeit” will das Gericht die Spitzen des alten Regimes belangen.
Die Gefahr jedoch, daß alle Anklagepunkte im Prozeß zur Farce verkommen, ist groß. Denn selbst die neuen Machthaber, die Parteiführer der demokratischen Parteien, waren mit den Hoxhas persönlich eng verflochten. Der heutige Staatspräsident Albaniens, Sali Berisha, wirkte als Hausarzt, Ismail Kadare, der geschätzte Schriftsteller,' der mehrmals als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wurde, fungierte als persönlicher Berater von Nexhmija Hoxha. Doch weder Bersiha noch Kadare wagten es damals, ihren Ziehvätern und Ziehmüttern zu widersprechen. Jetzt treten sie jedoch als Hauptfürsprecher auf, „alle aus dem ehemaligen Block” - so Berisha - „gerecht für ihre Verbrechen zu bestrafen”. Eine Gerechtigkeit, an die nur wenige Menschen in Albanien glauben. Sie befürchten, neue Schauprozesse könnten an Stelle der alten treten.
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