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Neue Solidarnosc

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Ein schwankender Boden istdie Hoffnung vieler Polen auf Legalisierung der einst so mächtigen Solidarnosc. Während Walesa-Beichtvater und -Berater Henryk Jankowski - offenbar aufgeputscht durch die Unterstützung einer Gruppe von 108 polnischen Intellektuellen, die jüngst in Dan-zig mit dem Gewerkschaftsführer konferierten — vor Optimismus fast sprüht, dämpft ein Teilnehmer an den Gesprächen mit dem bisherigen Innenminister Czes-law Kiszczak die Erwartungen.

„Was heißt schon Optimismus?“, so der im Zentrum des jüngsten Geschehens Stehende zur FURCHE - offenbar unter dem niederschmetternden Eindruck der Erfolglosigkeit sämtlicher Reformansätze der Jaruzelski-Ära. „Wir leben hier unter solchen Bedingungen — und haben damit eine 45jährige Erfahrung —, die es schwierig machen zu sagen, was optimistisch, was pessimistisch zu bewerten ist.“ Und der Rücktritt der Regierung Zbi-gniew Messners, ist er eine Chance für Solidarnosc? „Jetzt beginnt in Polen ein neues Theater. Die Regierung ist für unsere Verhandlungen nicht notwendig. Wir dialogisieren mit Politikern. Und Czeslaw Kiszczak ist nun einmal die wichtigste politische Figur nach Jaruzelski.“

Allerdings besteht die Gefahr einer Emotionalisierung auf beiden Seiten. Die „Kinder der Solidarnosc“ fragen nach dem Sinn des Dialogs und sind der Meinung, daß sie mit Streiks schon längst mehr erreicht hätten. Auf der anderen Seite sollen alte Par-teidogmatiker aus Protest gegen die Gespräche mit der illegalen Gewerkschaft ihre Parteibücher zurückgegeben haben.

Henryk Jankowski ist jedoch von der Richtigkeit des von Walesa eingeschlagenen Weges - Dialog statt Konfrontation - felsenfest überzeugt. Was Walesa und seine Berater aber wirklich wollen, ist noch nicht klar. Jankowski zur FURCHE: „Walesas Lösungen sind gut, aber er kann sie noch nicht vorlegen. Man kann dem Gegner seine Karten doch nicht gleich präsentieren.“

Der Gewerkschaftsführer selbst ist auch zufrieden. Nach sieben Jahren Selbstzweifel fühlt er sich sowohl durch den Fortgang des Dialogs mit der politischen Macht als auch durch die

Akzeptanz seitens der Arbeiter in seiner Position bestätigt. Das äußerte Walesa am Donnerstag vergangener Woche — noch vor dem zweiten und dritten Gespräch mit Kiszczak — gegenüber der FURCHE. Bei der Arbeiterwallfahrt am letzten Sonntag in Tschensto-chau — nach den Verhandlungen im Innenministerium — hat er diese Grundüberzeugung verstärkt hervorgekehrt.

Immerhin haben zwei polnische Zeitungen — „Reporter“ und „Konfrontacje“—die ersten Interviews mit Walesa seit Verhängung des Kriegsrechts in Polen gebracht. Und Henryk Jankowski verweist mit Stolz darauf, daß der Arbeiterführer von Kiszczak ständig mit „Herr Vorsitzender“ angesprochen worden sei. Das deute doch darauf hin, daß ab 15. Oktober — dem Beginn der Round-Table-Gespräche mit Vertretern der gesellschaftlichen Kräfte Polens — mit der baldigen Anerkennung von Solidarnosc zu rechnen sei.

Aber was für eine Bewegung wird Solidarnosc künftig sein? Im Ringen um Begriffe haben führende Parteileute einem „Pluralismus der Konfrontation“ bereits eine Absage erteilt. Die Graue Eminenz der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Politbüromitglied Jozef Czyrek, präzisierte beim jüngsten Plenum des Zentralkomitees die Haltung der Partei: Als gesellschaftliche Bewegung und Quasi-Partei sei Solidarnosc inakzeptabel.

Wird Walesa, der laut Interview mit der Zeitschrift „Reporter“ die mögliche Destruktivität des Pluralismus erkannt hat, eine unpolitische Gewerkschaft akzeptieren? Nimmt er mit diesem „Kompromiß“ einen totalen Vertrauensverlust unter Arbeitern in Kauf, die des ständigen Theoretisierens ohnehin müde sind und andere, nämlich Uberlebenssorgen haben?

Dem Regime liegt offensichtlich viel an der politischen Abstinenz der Arbeiter. Politische Clubs (FURCHE 14/1988) dürfen sich in oppositionellen Experimenten versuchen.

Ob Verhandlungen oder Streiks — momentan kann sich das Regime die Hände reiben. Streiks bieten die Möglichkeit, die Schuld an der wirtschaftlichen Misere den Arbeitern zuzuschieben. Der Dialog kann benützt werden, einen Keil in die unabhängige Gewerkschaftsbewegung zu treiben, die nicht zuletzt auch durch den Generationenwechsel einen Knacks bekommen hat.

Professor Andrzej Stelma-chowski, Vorsitzender des Klubs der Katholischen Intelligenz in Warschau, Teilnehmer an den Gesprächen im Innenministerium, verweist noch dazu auf das Hinhaltespiel des Regimes: „Solange der Pluralismus noch drinnen ist, solange scheint alles in Ordnung.“

Ob damit die gesellschaftliche Lage Polens zu retten und das wirtschaftliche Desaster des Landes zu beseitigen ist, muß ernstlich in Frage gestellt werden.

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