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„Neue Steuer erfinden“

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FURCHE: Die Medizin entwik-kelt sich weiter. In welcher Weise entwickelt sich das sozialmedizinische Versorgungssystem weiter?

GENERALDIREKTOR FRANZ WECLAY: Aus der Sicht einer sozialen Krankenversicherung, der Wiener Gebietskrankenkasse im konkreten Fall, ist es so, daß die Medizin schon allein durch das Älterwerden der Bevölkerung wie auch durch den Einsatz moderner medizinisch-technischer Geräte immer teuerer wird. Ich glaube, das Problem auf diesem Gebiet in den nächsten zehn, zwanzig Jahren wird es sein, diese Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen, wobei ich glaube, daß das nach zwei Richtungen hin wird geschehen müssen. Man wird auch beim besten Angebot für den Patienten versuchen müssen, die Mittel so ökonomisch wie möglich zu verwalten und man wird wahrscheinlich mehr finanzielle Mittel für den Bereich der Medizin, vor allem der Sozialmedizin, zur Verfügung stellen müssen. Wie diese Mittel dann aufgebracht werden, ist wieder eine weitere Frage.

FURCHE: Sollte sich etwas am Finanzierungssystem ändern? Auf der einen Seite haben wir das Versicherungssystem und auf der anderen Seite werden Zuschüsse aus dem Budget notwendig. Meinen Sie, daß es so bleiben soll oder daß man auch strukturelle Änderungen treffen sollte?

WECLAY: Wie das tatsächlich sein wird, ist schwer vorherzusagen. Ich glaube, das wissen derzeit nicht einmal die Politiker. Ich glaube, man sollte versuchen, dieses jetzt meiner Meinung nach ganz gut funktionierende System nicht unbedingt von Grund auf zu ändern. So schlecht ist es nicht. Wenn ich aber an die Finanzierung des Spitalswesens denke, dann bin ich schon der Auffassung, daß man hier zu anderen Regelungen kommen muß. Diese Finanzierung ist ja jetzt sehr kompliziert. Ein Teil der Kosten wird aufgebracht durch die Rechtsträger der Spitäler, ein Teil direkt durch die soziale Krankenversicherung, ein Teil über den Krankenanstaltenzusammenarbeitsfonds. Es ist ein äußerst kompliziertes System, das letztlich niemanden befriedigt. Ich glaube, gerade in diesem Bereich sollte man zu einer Entflechtung, zu einem übersichtlicheren System kommen.

FURCHE: Was könnte unter Entflechtung zu verstehen sein?

WECLAY: Ich persönlich bin der Auffassung, daß alles, was mit der Finanzierung des Spitalswesens zu tun hat im weitesten Sinn, da zähle ich auch dazu die Hauskrankenpflege, die Altenpflege und dergleichen, aus dem Aufgabenbereich der sozialen Krankenversicherung herausgenommen werden sollte. Ein Teil gehört ja jetzt nicht dazu, ein großer Teil aber schon. Es gehört nicht dazu die Hauskrankenpflege, nicht die Altenpflege. Meine persönliche Meinung dazu ist, daß man auch jenen Bereich, der jetzt aufgrund des allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zum Aufgabenbereich der sozialen Krankenversicherung gehört, dort wegnehmen sollte und daß sich nur mehr die Rechtsträger der Spitäler, das sind in der Regel in Österreich die Länder, um diese Dinge kümmern sollten. Wobei man wahrscheinlich zur Finanzierung dieser Belange entweder Steuern erhöhen oder einen zweckgebundenen Zuschlag zu einer Steuer erfinden muß, aber gleichzeitig wird man vielleicht den Krankenversicherungsbeitrag etwas senken könnten.

FURCHE: Zu welcher Steuer könnte man Zuschläge erfinden?

WECLAY: Ich bin kein Steuerexperte, aber man hat schon einige Male zweckgebundene Steuern erfunden, man könnte das im Zusammenhang mit der Lohnsteuer machen. Ich möchte allerdings betonen: Das ist eine Überlegung, die wahrscheinlich von den Politikern nicht geteilt wird, aber meiner Meinung nach doch auf längere Sicht hin eine bessere Lösung bringen könnte. Ich glaube, eine Reduktion der Kosten, nicht im Sinne, daß absolut weniger aufzuwenden sein wird, sondern daß die Kostensteigerungsraten wieder in normale Bahnen kommen, wird nur möglich sein, wenn man versucht, den

Patienten, der nicht unbedingt im Spital sein muß, vom Spital wegzubringen, zum Beispiel in den Bereich der Hauskrankenpflege oder durch ambulante Betreuung. Eine Beeinflussung der Kosten im Spital wird allerdings nur dann zu erreichen sein, wenn man dort die Personalkosten senkt, den größten Posten in einem Spital. Es nützt gar nichts, zum Beispiel Betten einzusparen, wenn man nicht gleichzeitig auch das Personal dort freibekommt und in anderen Bereichen der Pflege einsetzt.

FURCHE: Begriffe wie Eigenvorsorge und Eigeninitiative haben heute einen hohen Stellenwert. Glauben Sie, daß hier eine Kostenverlagerung möglich ist?

WECLAY: Sicher haben Eigenvorsorge, Eigenbeteiligung einen gewissen Stellenwert, das ist keine Frage. Ich glaube aber nicht, daß diese beiden Faktoren kostensenkend wirken werden, wenn nicht die soziale Krankenversicherung zu einer sogenannten „Armen-Leute-Krankenversicherung“ werden soll. Das heißt zu einer Krankenversicherung, die dann nur die schlechten Risken abdeckt, dann nur für jene da ist, die sich zum Beispiel eine private Versicherung nicht leisten können. Diese Entwicklung wünscht sich niemand.

FURCHE: Das heißt also, daß wir auch im Jahr 2000 mit einer vollständigen gesundheitlichen Vorsorge für alle rechnen können?

WECLAY: Ich glaube, man muß damit rechnen. Es sollte nichts geschehen, was in eine andere Richtung geht, was aber nicht ausschließt, daß vielleicht im Jahr 2000 der einzelne Versicherte oder Patient durch andere Formen des Selbstbehaltes mehr zur Finanzierung des Gesundheitswesen beitragen muß.

FURCHE: Hat sich schon jemand Gedanken gemacht, welches Ausmaß die Kostensteigerungen bis zum Jahr 2000 haben könnten?

WECLAY: Ich kann Ihnen keine konkreten Zahlen nennen, aber sicher sind schon die Steigerungsraten der achtziger Jahre besorgniserregend, und das sind letztlich auch die Gründe, warum sich nun doch die Politiker etwas mehr den Kopf zerbrechen, wie es in Zukunft weitergehen soll.

Mit Hofrat Franz Weclay, dem Generaldirektor der Wiener Gebietskrankenkasse, sprach Hellmut Butterweck.

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