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Neue Visionen von der richtigen Stadt

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Häuser erhöhen den weltweiten Kohlendioxidausstoß durch Wär-meverluste, Klimaanlagen, nicht recyclebare Baustoffe und so fort um 100 Prozent. Die englischen Architekten Brenda und Robert Vale sind auf ökologisch richtiges Bauen spezialisiert.

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Häuser erhöhen den weltweiten Kohlendioxidausstoß durch Wär-meverluste, Klimaanlagen, nicht recyclebare Baustoffe und so fort um 100 Prozent. Die englischen Architekten Brenda und Robert Vale sind auf ökologisch richtiges Bauen spezialisiert.

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Es hat immer wieder Leute gegeben, die es einem einzigen Architekten allein zutrauten, einen Plan für eine ganze oder für die wesentlichen Teile einer Stadt zu entwerfen. Solche Pläne basierten zuweilen auf einem intellektuellen Entwurf, zum Beispiel auf Le Corbusiers Idee eines durchra-tionalisierten Verkehrssystems:

„Die Trassen der Schnellverkehrsstraßen verlaufen unter dem Flughafen. Man sieht die unverstellten und offenen Erdgeschoßebenen der Wolkenkratzer samt der Pfeiler oder Stelzen, auf denen sie errichtet sind. Auf beiden Seiten befinden sich überdachte Parkflächen."

Wohin die Leute gehen und warum, bleibt außer Betracht: Der Plan wird durch die Anforderungen des Verkehrs diktiert - dieser erscheint als Selbstzweck und keiner Begründung bedürftig. In früheren Zeiten haben Stadtplaner Konzepte präsentiert, die das Bedürfnis reflektierten, innerhalb der Stadt freie Räume zu schaffen und damit der Kriminalität vorzubeugen. So war man in der viktorianischen Zeit bestrebt, übervölkerte Viertel wie eine Eiterbeule zu „öffnen", indem man bestimmte Häuser abriß, um eine bessere Übersicht und Kontrolle zu gewährleisten. Später wurden die Armen an den Stadtrand verfrachtet, wo man ihre Siedlungen durch Gärten und Freiflächen auflockerte, womit freilich nicht nur die Bevölkerungsdichte verringert, sondern auch der tiefere Sinn des Stadtlebens beeinträchtigt wurde.

Am häufigsten entsprang der Entwurf eines einzelnen Architekten wohl aus einer visuellen Grundidee. Solchen Emeuerungsvisionen geht aber womöglich die Erkenntnis ab, daß das, was eine Person sieht, durch das geprägt wird, was sie selber ist - also etwa durch den unscheinbaren Umstand, ob sie in der betreffenden Gegend beziehungsweise Straße wohnt oder außerhalb lebt.

Kahlschag - problematisch

So kann ein Viertel, das dem Besucherauge erbarmungslos häßlich erscheinen mag, für seine Bewohner sehr wohl erträglich sein, weil es von den diversen geschichtlichen Ablagerungen des örtlichen Lebens überzogen ist. Wenn Stadtregionen durch Kahlschlagsanierung freigemacht werden, geht immer auch unwiederbringlich ein Stück Leben ihrer Bewohner verloren.

Ein schlechthin ökologisches städtebauliches Konzept vorzuschlagen wäre daher ebenso naiv, wie es einige der erwähnten historischen Konzepte waren. Bei jeder theoretischen Erörterung der „grünen Stadt" ist erst einmal die überwältigende Komplexität der Stadtstruktur in Rechnung zu stellen, bevor es um irgendwelche Alternativen gehen kann.

Die Stadt stellt im Grunde genommen das extremste Beispiel für die Weigerung der Menschen dar, ihr Wirken an der Natur zu orientieren. Selbst die Landwirtschaft, die mit unausweichlichen Folgen für die einheimische Flora und Fauna in die natürliche Umwelt eingreift, muß -um ihre eigenen Voraussetzungen nicht völlig zu untergraben - die Klima- und Bodenverhältnisse, die Wirkungen von Unkräutern und Schädlingen sowie die Menschen als Produzenten und Konsumenten in Rechnung stellen. Das heißt: Sie muß auf einige natürliche Systeme Rücksicht nehmen. Die Stadt hingegen hat nie auf eine erträgliche Zukunftsperspektive Rücksicht genommen, zumindest nicht, seitdem sie nicht mehr belagert wird und innerhalb ihrer verteidigungs-fähigen Grenzen keine Flächen mehr für die Nahrungsmittelgewinnung und die Wasserversorgung reservieren muß. Die moderne Stadt ist für ihre materielle Versorgung auf ein Hinterland angewiesen, das die ganze Erde umfaßt. Und ihre Abfälle fließen in die Umwelt zurück, die sie zuweilen ebenso weltweit verseuchen.

Man könnte daher die umweltgerechte Stadt für ein im Grunde unhaltbares Konzept halten. Zwar hatte Frank Lloyd Wright bei seiner Broadacre City die Vorstellung, jedem Bürger ein ausreichendes Stück Land zuzuteilen (was sich zu riesigen Flächen aufaddiert hätte), um all die Familien aus den Elendssiedlungen aufnehmen zu können, die überall an der Peripherie vieler modemer Großstädte entstanden sind, doch ging sein Entwurf vor allem auf eine visuelle Idee zurück. Für die Kontakte zwischen vielen Menschen, die ja das Wesen der Stadt ausmachen, waren die Bewohner von Broadacre auf individuelle Verkehrsmittel angewiesen:

„Alle Bürger von Broadacre haben ihr eigenes Auto. Mehrspurige Straßen machen das Fahren sicher und angenehm."

Eine solche Konzeption, der es auf die Dezentralisierung der Versor-gungs- und Verwaltungseinrichtungen ankommt, läuft praktisch auf eine Negation der Stadt hinaus. Ein in ganz anderem Kontext vorgeschlagenes Projekt erweckt eher den Eindruck einer Vision von ländlichem und nicht etwa von städtischem Leben. 1937 entwickelte das Arbeitsministerium des nationalsozialistischen Deutschland ein Heimstättenprojekt mit Sub-sistenzlandwirtschaft. Die Arbeiter sollten im dörflichen Umland der Fabrik wohnen und sich dort in Zeiten der Arbeitslosigkeit von einer Parzelle von zehn Ar (1.000 Quadratmeter) ernähren. In England wurde ein ähnliches Projekt in Gestalt einer Firmensiedlung initiiert, die 1895 in Bourn-ville für die Beschäftigten von Cad-bury entstand: Sie sollten von den jeweils 500 Quadratmetern Gartenfläche ihr Einkommen ergänzen und zugleich dort ihre Freizeit verbringen. • Solche Pläne sind eher für Vorortsiedlungen geeignet und bieten, ohne das bei Wright vorgesehene Niveau eines entwickelten Individualverkehrs, statt einer kollektiven eine eher isolierte Lebensweise. Von einer Stadt kann man nur reden, wo viele Menschen an einem Ort versammelt und ausreichend Gebäude für ihre diversen Tätigkeiten vorhanden sind.

Vorrang für Straßenbahn

Dennoch läßt sich eine Stadt durch die Qualität ihrer Beziehungen mit der globalen Umwelt in eine „grüne" verwandeln. Dabei kommt es entscheidend darauf an, für jedes innerhalb der städtischen Strukturen operierende System zu ermitteln, in welcher Größenordnung es am ehesten der Natur gemäß funktioniert. So kann etwa eine Kraftwärmekoppelungsanlage ein Einzelgebäude wie ein ganzes Stadtviertel versorgen.

Die Notwendigkeit, die Kohlendioxid- und andere Belastungen der Atmosphäre zu verringern, erfordert ein kritisches Überdenken des Transportaufwandes, der für diese Menschen betrieben werden muß.

Selbst in einer ökologischen Stadt gibt es allerdings einen Transportbedarf, der aber mit minimalen thermischen und anderweitigen Umweltbelastungen bewältigt werden muß. Zum Rückgrat des Verkehrssystems muß dabei das energie-effizienteste Verkehrsmittel werden: die Straßenbeziehungsweise Eisenbahn.

Aus: Brenda und Robert Vale: ÖKOLOGISCHE ARCHITEKTUR. Campus Verlag, Frankfurt/M. 1991. 192 Seiten, 17Ö Abbildungen, 50 in Farbe, Ln. öS 608,40.

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