7048265-1990_42_16.jpg
Digital In Arbeit

Neue Wirtschaftspolitik: eine Überlebensfrage

Werbung
Werbung
Werbung

Die ökologischen Zeichen ste- hen zwar in Luft, Boden und Wasser auf Sturm, aber im konkre- ten politischen Alltag glaubt die Mehrheit der Bevölkerung und die sich nach ihr richtenden Politiker noch immer, man könne sich ent- weder ducken oder die Schuld auf andere abschieben.

Vor allem die Bewohner der Bal- lungszentren praktizieren eine ge- radezu schizophrene Geisteshal- tung: Ihr Zivilisationsstil ist einer- seits durch Energie- und Rohstoff- Verschwendung und nicht geschlos- sene Stoffkreisläufe gekennzeich- net. Andererseits wird aber auf den Bauern, von denen man erwartet, daß sie als Minorität gegen den Strom schwimmen und die Welt in Ordnung halten, ohne daß man ihnen hiezu das Vorbild der eige- nen Wirtschaftsweise gibt und die notwendigen Rahmenbedingungen gewährt, herumgehackt.

Die laufenden GATT-Verhand- lungen werfen ein grelles Schlag- licht auf letztere Situation: Wäh- rend sich alle, denen die Zukunft unseres Landes am Herzen liegt, Gedanken machen, wie wir den „Garten Europa" erhalten können und den „ökosozialen Weg" formu- lieren, verlangen die großen Agra- rexporteure - allen voran die USA - eine Auslief erung der europäischen Bauern an eine Weltmarktkonkur- renz, in der die Plünderungswirt- schaften den Preis bestimmen.

Kein österreichischer Bauer kann - selbst wenn er totalen Raubbau betreiben würde - mit den großflä- chigen Brandrodungswirtschaften im brasilianischen Urwald oder den bodenverbrauchenden Produk- tionseinheiten in Nordamerika konkurrieren. Bleibt daher nur das Aufgeben? Steht der bäuerliche Lebensstil endgültig auf den roten Listen der in Ausrottung befindli- chen „Arten"?

Es geht insgesamt um einen neu- en Zivilisationsentwurf der neben den klassischen Zielen der gerech- ten Einkommens- und Besitzver- teilung, der Sicherheit im Falle von Krankheit und Unfall sowie der Vorsorge für die Alten auch die Lebensgrundlagen und ein men- schenwürdiges Milieu sichert.

Auf dem Gebiet der Ordnungs- politik gilt es, das erforderliche Minimum an ökologieorientierter Moral mit Hilfe der Staatsmacht durchzusetzen. Wo liegen nun die- se ordnungspolitischen Kriterien?

Wenn man die Organisationsprin- zipien der Biosphäre durchleuch- tet, dann stellen sich vorrangig vier Grundprinzipien heraus, an denen gemessen werden kann, ob Bedarfs- deckungssysteme des Menschen in Landwirtschaft, Gewerbe und In- dustrie sowie im Kommunalbereich als umweltverträglich eingestuft werden können.

Es sind dies:

• Die Ausrichtung der gesamten Biosphäre auf die Nutzung der Sonnenenergie. Alles Leben auf der Erde hängt direkt oder indirekt von der Ausnützung des Entropiegefäl- les Erde-Sonne ab. Immer wenn wir von diesem Energieversor- gungsmuster abweichen, wirtschaf- ten wir naturfern. Sonnenenergie ist reichlich vorhanden (annähernd 20.000 Kilowatt Einstrahlungslei- stung erreichen die Erdoberfläche). Wir müssen nur bereit sein, unsere Techniken auf die Nutzung der Sonnenenergie auszurichten.

• Weil für die nachhaltige und im Gesamtsystem ausgewogene Fixie- rung eines Merkmales auf dem genetischen Code etwa zwei bis drei Millionen Jahre notwendig wären, verträgt das biologische Informa- tionssystem, das sich in rund 4,5 Milliarden Jahren entwickelt hat, keine Kurzzeitanpassung. Bei punktuellen Eingriffen in Form von Genmanipulation ist die erforder- liche Ausgewogenheit und damit die Stabilität in der Regel nicht gewährleistet.

Es gibt also nur eine intelligente Strategie des Menschen: Nicht die Natur muß für uns umgebaut wer- den, sondern wir müssen die Wirt- schaft und unseren Lebensstil nach einem Konzept des Zusammenwir- kens mit der Natur umbauen.

• Die Natur ist nach dem Prinzip möglichst geschlossener Stoffkreis- läufe organisiert. Wir aber produ- zieren weltweit in Systemen, die bezüglich der Stoff-Flüsse weitge- hend offen sind, und befinden uns hiedurch in einem Frontalzusam- menstoß mit der Natur. Die „Stoff- verkehrsregeln" sind daher ein zentraler Punkt jeder ökosozialen Marktwirtschaft. Das in den natio- nalen, supranationalen und inter- nationalen Rechtsordnungen zu verankernde Kreislauf prinzip muß erzwingen, daß Güter nur in Ver- kehrgebracht werden dürfen, wenn sich einerseits die Erzeugungsver- fahren unschädlich in den Natur- haushalt einkoppeln (daher Um- weltverträglichkeitsprüfung) und andererseits die erzeugten Güter nach Ge- oder Verbrauch schadlos entweder in gewerblich-industri- elle Wiederverwendungskreisläufe oder in natürliche Kreisläufe ein- gehen.

• Die Ausrichtung auf die Nutzung der Sonnenenergie und das Ein- ordnen in die ökologischen Kreis- läufe erfordern eine konsequente Strategie der Dezentralisierung. Die reichliche, aber breit gestreut ein- fallende Sonnenenergie kann nur dann effizient in den Dienst menschlicher Bedarfsdeckungssy- steme gestellt werden, wenn wir in einem Energiegewinnungsmix de- zentral die Hand aufhalten und gleichzeitig Photovoltaik, Photo- chemie (insbesondere Energie aus Biomasse) Solarthermik sowie Wasser- und Windkraft einsetzen und verkoppeln.

Die Dezentralisierung trägt auch einer weiteren Grundregel des Umweltschutzes Rechnung, näm- lich, daß die Natur Stoffströme nur dann in die ökologischen Kreisläu- fe eingliedern kann, wenn die Konzentrationen „verdaubar" ver- teilt werden.

Der Hauptfehler unserer Zivili- sation der Ballungsgebiete ist die Überkonzentration der menschli- chen Abfälle und Exkremente. Wir benehmen uns bezüglich der ökolo- gischen Tragfähigkeit einer Land- schaft so, als wären wir alle abfall- freie Engel.

In Wirklichkeit müssen wir auch dann, wenn wir alle Giftstoffe aus unserem Müll eliminiert haben, den Gesamtbesatz an Menschen und Tieren zusammenzählen und der Tragfähigkeit des Ökotopes gegen- überstellen. Keinem tierhaltenden Bauern würde es einfallen, die Jauche seines Hofes samt den Ex- krementen seiner Familie konzen- triert im hofnahen Gemüsegarten auszubringen...

Genau dieses Verhaltensmuster aber praktizieren wir, indem wir Zentralkläranlagen bauen und versuchen, die gereinigten Abwäs- ser in deren Nahraum „unterzu- bringen".

Es gibt somit Dogmen der Natur- bewirtschaftung, über die die Menschheit sich nicht hinwegset- zen kann, ohne die Lebensgrundla- gen zu gefährden.

Eine umweltverträgliche Verfah- renstechnik und Planung von Be- darfsdeckungssystemen muß diese unverrückbaren Organisations- und Funktionsprinzipien der Bio- sphäre beachten. Sie sind unab- dingbarer Teil eines Pflichtheftes, das als Bewertungsmaßstab an alle ordnungs- und technologiepoliti- schen Konzepte sowie Bedarfsdek- kungssysteme und Verfahren ange- legt werden muß. Geschieht dies nicht, so muß leider von Planlosig- keit und Symptompfuscherei ge- sprochen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung