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Neue Zeitenwende?

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Neigen wir Christen nicht zu sehr zum Pessimismus und vertrauen zuwenig auf den Beistand, der uns verheißen ist? Verstehen wir die „Zeichen der Zeit“ vielleicht nur deshalb falsch, weil der Pessismismus Mode ist, und wir uns zu sehr vom Tagesgeschehen beeinflussen lassen? Versuchen wir doch einmal, unsem Glauben in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

Es erscheint uns als Selbstverständlichkeit, daß mit der Geburt Jesu ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte angebrochen sei. Damals entstand das Christentum, das aus der Geschichte des Abendlandes nicht fortzudenken ist, das in den letzten hundert Jahren schon oft totgesagt wurde.

Eingeschlossen in den Gedanken der „Zeitenwende“ ist die Auslegung der Geschichte als „Heilsgeschichte“, in der Gott die Menschheit nach seinen unerforschlichen Ratschlüssen einem Ziel zuführt. Aber sind sie wirklich zur Gänze unerforschlich?

In den Einzelheiten sicher, aber der große Rahmen müßte sich bei unserer Kenntnis der Geschichte aus ihr erkennen lassen. Da fallt zunächst auf, daß die Entwicklung durchaus kein gleichmäßiges Aufsteigen war. Man denke nur an die Rückschläge während der Völkerwanderung, an die Hochblüte der Gotik, an das Zurückgedrängtwerden während der Aufklärung.

Wäre eine Deutung als Wellenbewegung angemessen? Vielleicht, wenn man das Christentum für sich allein betrachtet. Aber es gibt eine Reihe anderer menschlicher Bereiche, die sich ganz anders verhalten haben, Kunst, Technik, Gesell- schaftsorganisation. Auf jedem von ihnen hat man Geschichtstheorien aufgebaut. Wie aber erfaßt man sie alle zugleich?

Es ist zu erwarten, daß sich die Menschheit immer wieder neuen Situationen gegenüber, sieht, die im Grundsätzlichen nicht sehr zahlreich sein können, da sieja die verschiedenen Elemente des Menschen ansprechen sollen - Geist, Seele, Körper.

Bei jedem derartigen Wechsel wird wohl auch ein neues unverbrauchtes Volk ins Rampenlicht der Weltbühne treten, denn von dem bisherigen Kulturträger kann man nicht erwarten, daß er das Neue überhaupt begreift.

Fenier müssen wir bei einer solchen Betrachtung wohl auch von den Kriegen, Feldherrn und Herrschern absehen, die man uns in der Schule als „Geschichte“ gelehrt hat. Entscheidend scheint vielmehr etwas zu sein, das man die „kulturelle Grundhaltung“ nennen könnte.

Beginnen wir mit der Zeit nach der Wanderung der Hyksos und Kossäer, mit den Priesterkönigen der vorgriechischen Epoche, in Ägypten und Israel, mit den Königen in Assur und Babylon. Das waren etwa fünf Jahr hunderte, gekennzeichnet durch die enge Verbindung zwischen Religion und irdischer Macht, was wir als „spirituelle Herrschaft“ bezeichnen wollen. '

Daran anschließend tritt Griechenland in den Vordergrund und verliert seine überragende Bedeutung erst, als nach der Zerstörung Karthagos 185 v. Chr. Rom die Führung übernimmt und sie bis zur Verlegung der Hauptstadt nach Byzanz im Jahre 330 n. Chr. behält. In den fünf Jahrhunderten der griechischen Ära stellen wir ein Aufblühen von Kunst, Wissenschaft und Philosophie fest. Die ebenfalls fünf Jahrhunderte dauernde Römerherrschaft läßt sich jedoch besser durch die Entwicklung von Technik und vor allem jenem römischen Recht charakterisieren, von dem wir heute noch zehren.

Dann folgen bis zur Neugründung eines Reichs durch die Krönung Karls d. Gr. (im Jahre 800) weitere fünf Jahrhunderte, die sich bestenfalls mit einem Umpflügen des Ak- kerbodens der Geschichte vergleichen lassen. Neue Völker kamen an die Macht, erbrachten aber keine nennenswerten kulturellen Leistungen.

Zwischen 800 und 1492, der Entdeckung Amerikas, im „Mittelalter“, herrschten wieder Verhältnisse ähn-

lieh der Zeit der Priesterkönige. Die Päpste krönten und bannten die weltlichen Herrscher, und die Kunst war nahezu rein- religiös bestimmt. Die Bezeichnung „spirituelle Herrschaft“ ist also auch hier angemessen.

Ab 1492 sprechen wir von der „Neuzeit“, abermals fünf Jahrhunderte bis heute, mit einer Vorherrschaft des Abendlandes, mit einer starken Betonung von Kunst, Wissenschaft und Philosophie.

Im Augenblick halten wir erneut bei dem Ringen um die Weltherrschaft, wie es einst zwischen Rom und Karthago ausgefochten wurde. So haben wir also vier Grundsituationen der Menschheitsgeschichte, die sich, soweit wir das überblicken können, in einem Kreislauf zu wiederholen Schemen.

Noch etwas könnte aus dieser Be trachtung abgeleitet werden: In den Punischen Kriegen siegte nicht das gutgeführte Karthago mit seinem überragenden Feldherm Hannibal, sondern das innerlich schwache Rom. Hier scheint sich wieder einmal die biblische Aussage bewahrheitet zu haben: Die Starken stürzt Gott vom Thron

Wie ist nun in diesen Kreislauf die Geburt Jesu einzuordnen? Warum ausgerechnet 200 Jahre nach den Punischen Kriegen?

Während der Völkerwanderung, wäre das Auftreten einer Führerpersönlichkeit zwangsläufig auf seinen Stamm beschränkt geblieben, ohne die Möglichkeit einer Aussendung von „Glaubensboten“. Während einer spirituellen Herrschaft hätte sich der jeweilige Gottkönig oder später der Papst - mit Hilfe der Inquisition - einen Konkurrenten energisch vom Hals geschafft.

In der Blütezeit von Kunst, Wissenschaft und Philosophie, einst in Griechenland und heute in Europa, ist die allgemeine Einstellung viel zu nüchtern, zu verstandesmäßig, so daß ein neues religiöses Konzept schwerlich zum Tragen kommen könnte.

Es gab für die Geburt Jesu wohl keinen günstigeren Zeitpunkt als eben diesen, als die Römer 200 Jahre Zeit gehabt hatten, ihre Herrschaft zu festigen, als man wie Paulus ohne Paß durch die ganze bekannte Welt reisen konnte, und als eine große religiöse Bereitschaft der Menschen bestand.

Überall finden wir etwa ab 200 v. Chr., der Zeit, die der unsem entspricht, neue Initiativen, in Israel die Essäer, bei den Römern den Myste- rienkult der Magna Mater, bei den Griechen den Bacchuskult. Erleben wir nicht ähnliches, die vielen Sekten, Mormonen, Pfingstbewegung, Evangelikale und die aus Indien nach Europa gelangenden Kulte?

Wenn wir einen solchen Kreislauf der Geschichte mit vergleichbaren Situationen als gegeben annehmen dürfen, können wir auch einigermaßen begründete Prognosen für die Zukunft stellen.

Die Geschichte strebt voraussichtlich- nach einem dritten kurzen, aber entscheidenden Krieg - einer Friedensära ähnlich der „Pax Romana“ zu, mit politischer Unfreiheit, aber starken religiösen Impulsen und einem Neuaufbruch des Christentums, dessen „Worte nicht vergehen“, und nicht einem Zustand, wie er in der Apokalypse beschrieben ist.

Das sollte niemanden veranlassen, die Hände in den Schoß zu legen. Zwar scheint der Ausgang nicht zweifelhaft, aber der Heilige Geist wirkt durch Menschen. Wenn jemand pessimistisch meint, auch Bitten und Appelle des Papstes würden daran - an der angeblichen Utopie zuversichtlicher Erwartungen - nicht viel ändern, kann man ihm nur mit dem Wort aus dem Evangelium antworten: Oh ihr Kleingläubigen.

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