6967903-1985_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Neuer Aufbruch ?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ritual wiederholt sich mit schöner Regelmäßigkeit. Alle zwei Jahre wachsen auf den Gehsteigen rund um die österreichischen Universitäten wahre Wälder von Plakatständern: Wahlkampfzeit. Rund 150.000 Studenten in sieben Universitätsstädten sind aufgerufen, mittels Stimmabgabe Kollegen in ihre gesetzliche Interessenvertretung, die österreichische Hochschülerschaft, zu delegieren.

Nur knapp 37 Prozent der Wahlberechtigten haben 1983 bei den letzten ÖH-Wahlen von dieser Mitbestimmungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Diesmal, vom 21. bis 23. Mai, werden es nicht dramatisch mehr sein.

Die Öffentlichkeit, Politiker wie Medien, überschütten daher, gleichfalls mit schöner Regelmäßigkeit, die „Studentenpolitiker” unverhohlen mit Spott und Hohn: die, die da aus den Wahlurnen als Studentenvertreter herausstiegen, repräsentierten gerade ein Drittel der Studentenschaft. Nicht mehr.

Aber auch nicht weniger. Denn am politischen Desinteresse der Studenten allein kann's nicht liegen, daß die Wahlbeteiligung seit geraumer Zeit nicht einmal in die Nähe anderer gesetzlicher Körperschaften öffentlichen Rechts (Arbeiterkammer, Landwirtschaftskammer, Handelskammer) herankommt.

Die Ursachen liegen tiefer. Und die Hochschülerschafts-Funktio-näre haben begonnen, nicht länger nach Ausreden für das geringe Wahlinteresse der Studenten zu suchen („Scheininskribenten”).

Fest steht: die neuen Studienordnungen, zunächst von den Studentenvertretern wider pro-fessorale Willkür und für ein Mehr an praxisnaher Ausbildung eifrig mitausgearbeitet, zeitigen in mancherlei Hinsicht fatale Folgen. Die Studienpläne, durchgestaltet bis ins letzte Detail, lassen kaum noch Verschnaufpausen zu. In der Prioritätenliste der meisten Studenten liegt naturgemäß ein möglichst rascher Studienabschluß an erster Stelle. Und die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt für Akademiker tut ein übriges.

Das Engagement in der Studentenvertretung muß da zurückstehen.

Ohne Interesse für Studenteninteressen abseits billiger Skripten und Freizeitmöglichkeiten degeneriert daher die Hochschüler-

Von TINO TELLER schaft in den Augen vieler Studenten zu einem Klüngel von „Möchtegern-Politikern”. Der Effekt: die Zwangsmitglieder murren über die 250 Schilling Zwangsabgabe pro Jahr, weil die Funktionäre Sinn und Zweck ihrer Arbeit der Basis nicht plausibel genug machen.

Dazu kommen die ständigen Querelen der verschiedenen Fraktionen in den Gremien selbst. Mehr als zehnmal trafen einander Studentenfunktionäre im letzten Jahr vor dem Richter. Wegen wechselseitiger Ehrenbeleidigungen.

Kein Wunder also, daß die drittgrößte Studentenfraktion mit der Forderung in den diesjährigen Wahlkampf gezogen ist, die Hochschülerschaft überhaupt abzuschaffen und in eine Art Autofahrerorganisation mit freiwilliger Mitgliedschaft umzuwandeln. Auch ein Weg, das Selbstverständnis der ÖH neu zu definieren ...

Andere Fraktionen wollen indes anders: zurück zur Basis, lautet die Zauberformel. Da, wo die Studenten täglich sind, in den Instituten und Hörsälen, wird für einen neuen Aufbruch in der studentischen Interessensvertretung geworben.

Projektarbeit in kleinen Gruppen, das Gestalten eines Flugblatts oder organisatorisches Know-how für Diskussionsabende sollen Appetit auf ein weitergehendes Engagement in der Studentenvertretung machen. Nicht die Aneignung von Wissen über den komplizierten Aufbau der ÖH steht heute am Beginn der standespolitischen „Karriere”. Vielmehr sollen die alltäglichen Probleme und Sorgen der Kollegen gelöst werden.

Das Mitarbeitsangebot auf dieser Ebene wird angenommen. Stärker als erwartet. Eine neue Generation von Studentenvertretern scheint heranzuwachsen. Schon spricht man von einem neuen Aufbruch der Studenten. Auch Hainburg muß als Beweis herhalten.

Aber genügt diese Perspektive? Geht es bei dieser Art von Basisarbeit nicht bloß um die Rekrutierung des Funktionärsnachwuchses?

Tatsächlich steht die Hochschülerschaft schon heute und in allernächster Zukunft noch vermehrt vor. großen Herausforderungen. Personal- und Raummangel an den Universitäten sind beinahe schon Stehsätze. Der Staat spart an allen Ecken und Enden. Eine außerordentliche Ausweitung der Hochschulbudgets ist unwahrscheinlich.

Dennoch kann — wenn man so will - gerade an dieser Frage gut die Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses der Hochschülerschaft demonstriert werden. Gemeinsam mit den Professoren, den „Feindbildern” von einst, hat die ÖH Protestaktionen gegen geplante Kürzungen von Lehraufträgen oder gegen die Doktoratspflicht für Rechtsanwaltsanwärter auf die Beine gestellt. Die Universitätsgemeinschaft rückt näher zusammen.

Allerdings: Schon von den diesjährigen ÖH-Wahlen zu erwarten, daß sich dieses abzeichnende neue Selbstverständnis gleich in einer hohen Wahlbeteiligung niederschlägt, wäre verfrüht. Aber immerhin: die studentische Interessenvertretung scheint die lange Durststrecke hinter sich zu haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung