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„Neuer Geist“ in Mogadiscio

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Bei allen Vorbehalten, die man Berichten über Änderungen von Machtverhältnissen und politischen Tendenzen in den ehemals kolonialen Regionen Afrikas und Asiens entgegensetzen muß, verdienen zur Zeit Nachrichten aus Sambia und Somalia (wo soeben die Organisation für afrikanische Einheit ihre Jahrestagung durchgeführt hat) einige Beachtung. Der Wandel von Aspekten zur internationalen Politik und zu den eigenen Interessen in diesem Rahmen ist unverkennbar.

Der im südlichen Teil des afrikanischen Kontinents zentral gelegene Staat Sambia, im Norden durch Zaire und Tansania, im Osten durch Malawi und MogaaMque, im Süden, durch Rhodesien und Botswana, im Osten durch Angola und einen Zipfel von Südwestafrika (dem laut UN-Beschluß „rechtswidrig“ von Südafrika besetzten Territorium Namibia) begrenzt, scheint künftig die Solidaritätsfront verlassen zu wollen, die von der Volksrepublik China seit beinahe zwei Jahrzehnten den neuen Staaten der dritten Welt gegenüber den Vereinigten Staaten, Westeuropa und der Sowjetunion empfohlen wird.

Das kupferproduzierende Sambia hatte unter der energischen Führung seines Präsidenten Kaunda (der das Land zum Einheitsparteienstaat gestrafft und seine Wirtschaft rationalisiert hatte) eine exponierte außenpolitische Position gegen Rhodesien, die Südafrikanische Republik und Portugal bezogen. Um Rhodesien einen wirtschaftlichen Schlag zu versetzen, femer, um Portugal in seinen Überseegebieten Angola und Mocambique zu treffen, stoppte es die Transporte seines Kupfers über die Bahnlinien durch diese Länder zum Atlantik und zum Indischen Ozean. Es erhielt als mustergültiger Antikolonialist von der chinesischen Regierung einen Kredit, dazu Fachpersonal zum Bau einer neuen, 1850 Kilometer langen Eisenbahnstrecke von seiner Hauptstadt Lusaka zum ostafrikanischen Daressalam in Tansania.

Inzwischen hat sich die Situation für Kaunda durch den Umsturz in Portugal offenbar entscheidend geändert. Der portugiesische Präsident und Junta-Chef Spinola hat wörtlich erklärt: „Wir können weder Selbstbestimmung von Demokratie trennen, noch können wir Selbstbestimmung von politischer Unabhängigkeit trennen.“ Daraufhin scheint für Kaunda auf einmal die in Eile durch die Chinesen fertiggestellte Bahnlinie ins Land des China-freundlichen Nyerere nicht mehr gefragt zu sein. Der Transit durch portugiesisches Territorium soll wieder aufgenommen werden. Schließlich ist er kürzer und billiger.

Die Problematik, aus einer Vielfalt afrikanischer einzelstaatlicher Interessen so etwas wie eine gesamtafrikanische Identität zu entwickeln, zeigte sich sowohl auf den pan-

afrikanischen Tagungen als auch auf den Konferenzen, die eine einheitliche und blockfreie dritte Welt demonstrieren sollten. Man hatte gewiß in Algier 1965 die Definition der „Verweigerung von Bindungen an Großmächte-Interessen“ formuliert. Aber in der politischen Praxis erwies sich dann immer wieder der Zwang, politische und wirtschaftliche Arrangements mit den Haupt-Weltmächten und erst recht mit den früheren Kolonialherren schließen zu müssen. Diesem Zwang unterliegt zur Zeit sogar die kräftiger, selbstbewußter und vorallem reicher gewordene arabische Welt. Um wieviel mehr bleibt die sChwarzafrika-nische Sphäre zur Anpassung gezwungen!

Wie wahrend der Konferenz in Mogadiscio, der Hauptstadt des sowjetisch gestützten Staates Somalia, zum Ausdruck kam, hat sich daran nichts geändert. Allenfalls konsta-

tiert man ein Umdenken der Politiker innerhalb dieser OAU, wie die panafrikanische Organisation abgekürzt heißt. Die Devise heißt nicht mehr, wie noch in Lusaka 1970, „Front der Unterprivilegierten“ gegen die saturierten weißen Herren. Man bekennt sich vielmehr zur Chance der Region, im Politischen wie im Wirtschaftlichen, überdies zum nationalen Bewußtsein. Eine Entwicklung, die der Generalsekre-tät der OAU, Nze Ekangaki aus Kamerun, dann als „mangelnden Kameradschaftsgeist“ beklagt hat. Die gewandelte Haltung gegenüber Portugal äußerte Präsident Gowon von Nigeria, der Spinola einen „neuen Geist“ attestierte.

Einen Konsens scheint es in Somalia nur in der Kritik am mangelnden Verständnis der arabischen ölstaaten für die Not der afrikanischen Welt gegäben zu haben. Der Kredit der Araber in Höhe von 200 Millionen Dollar wurde als viel zu geringfügig getadelt. Man glaubte, mehr erwarten zu können, zumal die afrikanischen Regierungen beinahe vollzählig die Beziehungen zu Israel im Zusammenhang mit dem Oktoberkrieg 1973 abgebrochen hatten.

Ersichtlich scheint heute, daß der Versuch, gestützt vor allem von Peking, die Bipolarität West-Ost —

das heißt: zwischen der Sowjetunion und den angelsächsischen Mächten — in dieser überdimensionalen Region zwischen Südatlantik und Südostasien in einen neuen Pluralismus mit einer Asien und Afrika verbindenden Kraft auszuweiten, ohne Erfolg geblieben ist. Dies scheint in Einzelaspekten der Blick von Sambia bis Somalia zu bestätigen.

Als 1970 infolge einer „antirassistischen“ und „antikolonialisti-schen“ Resolution von Addis Abeba eine Delegation afrikanischer Politiker in die westeuropäischen Hauptstädte reiste, um den kompromißlosen Kurs gegen Südafrika, Rhodesien und Portugal zu interpretieren, hatte die Sowjetunion noch nicht in dem Maße wie heute ihre maritime Strategie in den Südatlantik und in den Indischen Ozean gelenkt.

Heute aber gibt es Anzeichen, daß auch Politiker Schwarzafrikas die

Lage anders sehen als noch zu Beginn dieses Jahrzehnts. Schließlich haben sie sich zwar, je nach Situation und Gelegenheit, der sowjetischen wie der chinesischen Hilfsangebote bedient. Doch sie wollen keinesfalls in politische Abhängigkeit roter Imperien geraten. Nicht dafür haben sie sich aus den kolonialen Abhängigkeiten Europas emanzipieren lassen.

Alles in allem bedürfen die afrikanischen Staaten weiter der Hilfe Westeuropas und der Vereinigten Staaten. Dies gerade im Hinblick auf die Vollendung ihrer nationalstaatlichen Souveränitäten. Viel wird in der nächsten Zukunft davon abhängen, ob die Umstrukturierung der portugiesischen Gebiete in Richtung auf Befriedung — wenn es Portugal allein nicht gelingt, dann wohl mit diplomatischer Hilfe seiner Verbündeten —, diesem Ziele sinnvoller Neugestaltung der politischen Karte Afrikas, gelingen kann. Es gibt pessimistisch stimmende Nachrichten über brutale Fraktionskämpfe unter den schwarzen Befreiungsbewegungen, die zum Teil nach Moskau, zum Teil nach Peking ausgerichtet sind. Es stehen daneben allerdings- Nachrichten, die von einem wachsenden Verständnis afrikanischer Politiker für europäische Überlegungen zeugen.

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