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Neuer Lebensentwurf: Liebe auf Distanz?

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Nun gibt es auch für Österreich eine „repräsentative" Umfrage über das Sexualverhalten. Der Zeitschrift „profil" (34-36/1991) verdanken wir diesen Einblick in die Schlafzimmer: „Österreich intim", streng wissenschaftlich, versteht sich. Wer genauer hinsieht, erkennt allerdings, daß wieder einmal mit Umfrageergebnissen „Politik" gemacht wird.

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Nun gibt es auch für Österreich eine „repräsentative" Umfrage über das Sexualverhalten. Der Zeitschrift „profil" (34-36/1991) verdanken wir diesen Einblick in die Schlafzimmer: „Österreich intim", streng wissenschaftlich, versteht sich. Wer genauer hinsieht, erkennt allerdings, daß wieder einmal mit Umfrageergebnissen „Politik" gemacht wird.

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Knapp 1.700 Mitbürger wurden vom Meinungsforschungsinstitut Ifes befragt, wie es um ihre Beziehungen zum anderen Geschlecht steht. Das Ergebnis: Man erfährt, wer wie oft mit wem schläft, welche Bedeutung dem Sex, dem Beruf beigemessen wird. Die Zahlen lassen vermuten, daß die sexuelle Aktivität immer früher einsetze (vielfach vor dem 15. Lebensjahr) und bei einem Drittel der Schüler und Studenten regelmäßiger Bestandteil des Alltagslebens sein dürfte: Das sei ein Rückgang gegenüber 1980, meint „profil". Damals sei die Jugend sexuell aktiver gewesen als die 30-bis 50jährigen.

Bei den unter 30jährigen seien Frauen sexuell aktiver als Männer: Jeder vierte junge Mann habe zur Zeit keine Sexualpartnerin, aber nur jede zehnte junge Frau 'erje abstinent. Für Frauen unter 30 sei „Sex ohne Liebe" kein Tabu mehr.

Da versteht man, daß konsequent Empfängnis verhütet wird und mit Erfolg: Zwei Drittel der Frauen unter 30 haben dementsprechend keine Kinder. Und fast die Hälfte von ihnen wird, den Erfahrungen der Statistiker zufolge, ihr Leben lang kinderlos bleiben. Langfristig erfolgreiche Verhütung steht ja - wie man mittlerweile herausgefunden hat - mit Unfruchtbarkeit in Beziehung, Erfolg im Beruf mit verringertem Kinderwunsch.

Die Folgen dieser Entwicklung können wir aus der Geburtenstatistik ablesen: Österreich weist mit 1,44 Kindern je Frau die drittniedrigste Geburtenrate der Welt auf...

Treue dürfte vielen Österreichern nach wie vor wichtig sein: 70 Prozent bekennen sich zu diesem Wert. Andere Umfragen zeigen sogar höhere Werte. Offensichtlich aber paßt das nicht ins Weltbild der Autoren. Da wird es auf „Verlogene Treue" umgemodelt. Mangels eindrucksvoller Daten über die Untreue der Österreicher muß als Beleg ein Fallbeispiel herhalten. Der Kommentar dazu: „Auf ewig dein ist ihr Anspruch, der Partner ist Besitz wie ein teures Möbelstück und Eifersucht quälend... Viele ahnen allerdings, wie verlogen die Treue ist. Jeder fünfte merkt an, nicht sicher zu sein, ob der Partner ihn betrügt." Sich seines Partners nicht ganz sicher zu sein, wird so zur verlogenen Treue umgemünzt.

Wie beim Thema Treue, so dienen auch bei anderen Fragen die Zahlen dazu, eine vorgefaßte Ideologie zu stützen. Leidenschaftslos betrachtet machen die Daten nämlich auf das Scheitern der sexuellen Revolution aufmerksam: Das wird zwar gleich zu Beginn des ersten Artikels der Serie, festgestellt, aber im weiteren Gefolge wieder verdrängt: „Die sexuelle Kommunikation will nicht mehr so recht klappen. Die körperliche Liebe wird zu einem seltenen Ereignis, mit dem nur ein Drittel zufrieden ist", liest man.

Und: „Die Schwierigkeit mit der Sexualität ist nur Begleitmusik zur allgemeinen Disharmonie in der Partnerschaft. Die alten Rollenbilder lösen sich auf, neue Regeln gibt es nicht. Jedes Paar muß sich seine Beziehung selbst gestalten. Dabei bleiben viele auf der Strecke. Beziehungen enden, bevor sie begonnen haben, andere zerbrechen. Am Ende steht Einsamkeit..."

Das klingt ja nicht gerade wie ein triumphaler Siegeszug der sexuellen Revolution. Das müssen auch die Autoren des „profiT'-Berichts zugeben:„Die sexuelle Revolution hat Österreich nicht nur von den Fesseln einer verklemmten Sexualität befreit. Sie hat auch ihre Kehrseite zum Vorschein gebracht..."

Aber weil wir nun einmal offensichtlich in diese Richtung unterwegs sind, soll uns halt die Fortsetzung des Wegs g'schmackig gemacht werden: Das Zeitalter der emanzipierten Sexualexpertin scheint angebrochen:

„Junge Frauen werfen die abgewetzten Jeans, Relikte aus den späten Siebzigern, ins Eck und räkeln sich im neuen Kampfanzug: enges rotes Minikleid mit tiefem Dekollete, schwarze Nahtstrümpfe an Strapsen. Sie erobern sich unerbittlich einen Mann, am besten einen braven Familienvater...Sie befreien sich aus eingefahrenen Ehen. Sie gehen lustvoll auf die Männer zu - und wenn diese zu lax sind, zu forsch oder zu anhänglich, verschwinden sie schleunigst von der Bildfläche."

Der neue Look: Mann als Konsumgut - egal, wie er sich verhält, lästig auch, wenn er treu sein will. Daher wird auch als neues Lebensmodell „Liebe auf Distanz" propagiert. Man lebt nicht mehr unter einem Dach, trifft sich aber für „zärtliche Stunden". 20 Prozent der Wiener sollen diesem Lebensstil frönen, erfährt man. Und jeder vierte Maturant und Hochschulabsolvent. Also wenn das nicht überzeugt, die gebildeten Leut!

Die Erklärung dazu: „Der tägliche Abschied macht mehr Appetit auf Sex und Liebe: 68 Prozent der getrennt lebenden Paare tun es zumindest einmal pro Woche, in traditionellen Ehen mit oder ohne Trauschein sind nur 56 Prozent ähnlich aktiv..." Was sagt die Häufigkeit schon darüber aus, wie geglückt diese Begegnungen sind? Als ob die Sexual-Leistungssportler das geglückteste Sexualleben hätten! Wer nur die Lust sucht, bei dem ist sie schon danin, verkündet v lktor rranki seit Jahren. Und die Daten bestätigen ihn.

Selbst die Ehe ohne Trauschein bekommt das verstaubte Etikett „traditionell". Mit Beifügungen werden am laufenden Band Wertungen eingeführt: „nur" 50 Prozent oder „sogar" neun Prozent. Wie es eben paßt.

„Die Möglichkeit, sich in eigene vier Wände zurückzuziehen, den Alltag aus der Beziehung hinauszusperren, damit die Liebe und die Sexualität überleben, können sich freilich fast nur ökonomisch emanzipierte Frauen leisten.." Es war vorauszusehen: Hausmütterchen haben keine Chance auf ein erfülltes Sexualleben.

Oder doch? Fast kommen einem Zweifel, wenn man die folgende Stelle liest: (Es) gibt sehr wohl sexuell zufriedene Frauen: Es sind eher solche, die dem traditionellen Denken verhaftet sind." Aber gleich der nächste Satz klärt uns auf: „Obendrein kennen es 42 Prozent von ihnen gar nicht besser - sie hatten bislang nur einen Sexualpartner"... die Armen.

Umgekehrt bei emanzipierten Frauen: „Sie wollen mehr selbst entscheiden, fühlen sich in der Partnerschaft eingeschränkt, sind weniger konservativ. Und empfinden weniger Lust. Darauf reagieren sie häufiger mit Seitensprüngen..." So richtig lustvoll ist das also offensichtlich auch nicht. Aber Fortschritt muß sein.

Also wird für „Liebe auf Distanz" geworben: Diese Art der Beziehung sei genauso stabil wie bei jenen, die „Bett und Kühlschrank miteinander teilen". Was dabei unter Stabilität verstanden wird? „Die Hälfte der Paare mit zwei Wohnungen lebt bereits ein bis fünf Jahre in Partnerschaft, fast jede fünfte Beziehung hält schon mehr als ein halbes Jahrzehnt..." Sicherheitshalber erfährt man nicht, wieviele von diesen Paaren erst ein Jahr miteinander „flittem".

Vergessen ist die wachsende Einsamkeit, die Richtung des Fortschritts klar: „Insgesamt zeigt sich, daß Liebende auf Distanz am ehesten dem Bild der modernen gleichberechtigten Beziehung in einer Wohlstandsgesellschaftentsprechen. Sie sindkar-riereorienterter, Geld ist für sie wichtiger, Religion dagegen hat kaum noch Einfluß."

Daß Kinder in diesem Lebensentwurf keinen Platz haben, ist klar. Aber wer denkt an Kinder, wenn es um die Lust gehen soll?

Aber selbst mit dieser scheint es ja - wie die Daten zeigen - nicht allzuweit her zu sein. Nur was kümmert den echten Ideologen der empirische Befund? Dabei wird selbst in dem einen oder anderen von „profil" zitierten Fallbeispiel erkennbar, wie leidvoll Menschen instabile, brüchige Beziehungen erfahren.

Den Autoren ist die Lektüre von Nena O'Neill zu empfehlen. Die Autorin von „Die offene Ehe", die Partnerwechsel propagiert und selbst praktiziert hat, konnte am eigenen Leib den Fehlschlag überzogener Emanzipation erfahren. Sie faßte ihre Erfahrungen im Buch „The Marriage Premise" zusammen: „Sexuelle Treue kann man nicht als eine bloße Leerformel bei der Eheschließung abtun oder als einen moralischen oder religiösen Glaubensgrundsatz; sie entspricht vielmehr einem Bedürfnis, das in unseren tiefsten Empfindungen und in unserer Suche nach emotionaler Sicherheit gründet; die Untreue schafft Situationen, die unsere emotionale Stabilität gefährden."

Auch die Daten, die „profil" uns präsentiert, deuten in diese Richtung. Aberman hätte die emanzipatorischen Scheuklappen ablegen müssen, um das erkennen zu können.

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