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Neuer Name, altes Ziel

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Die Schulreform sei das permanente Bemühen um eine bessere Schule unter Beibehaltung des Guten im österreichischen Schulwesen, sagte Unterrichtsminister Fred Si-nowatz, als er kürzlich den Mitgliedern des Clubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten eine Bilanz über zehn Jahre Tätigkeit der Schulreformkommission vorlegte. Ein Wort, dem wohl jeder zustimmen kann.

Sinowatz erwähnte dann, Ganztags- oder Tagesheimschule würden nie zur Regelschule werden, weil ein überragender Teil der Eltern dies nicht wolle. „Wir kennen die Grenzen der Schule und muten ihr keine Aufgaben zu, die sie nicht bewältigen kann.“ Damit sei das Bekenntnis zur Familie als erster Instanz für das Kind und die Erziehung verbunden.

Auch dem wäre nichts hinzuzufügen - warum aber soll nur für die Ganztagsschule gelten, daß dem Wunsch der Eltern entsprochen werden muß, nicht auch für die Gesamtschule, für die sich der Minister gerade noch ein „temporäres Nebeneinander“ mit den alten Schultypen vorstellen kann, aus organisatorischen Gründen und wegen der erforderlichen Zustimmung der Volkspartei - nicht aber mit Rücksicht auf die Familie als „erste Instanz“ und ihr Wahlrecht?

Auch mit der Bezeichnung „neue Mittelschule“ wird das Grundproblem - Einheitsschule oder Alternativschule - nicht aus dem Weg geschafft. Mit der „neuen Mittelschule“ kommt der Minister wieder auf den bewährten Namen zurück, der 1962 zugunsten des Wortungetüms „Allgemeinbildende höhere Schule“ und der noch greulicheren Abkürzung „AHS“ aulgegeben worden war -aber nun verkürzt auf das, was man in sozialistischen Kreisen anstrebt: die alle Kinder umfassende Mittelstufe.

Die „soziale Koeduktion“, der Kampf gegen das „elitäre“ Gymnasium, stand stets im Zentrum sozialistischer Bildungspolitik. Begründet wurde die Forderung der gemeinsamen Erziehung mit der Behauptung, im Alter von 14 Jahren könne man leichter über die Begabung des Kindes urteilen und den weiteren Schulweg entscheiden als mit zehn.

Dieses Argument trifft sicherlich für viele Kinder zu - ob sie die Mehrheit ausmachen, wurde nie ergründet Aber auch wenn - für alle anderen Kinder, deren Begabung man sehr wohl schon mit zehn Jahren feststellen kann, bedeutete das Warten auf eine entsprechende Förderung eine Verletzung ihres Anspruchs auf Chancengerechtigkeit.

Für jene Kinder, denen eine spätere Entscheidung besser tut, hat man in den vergangenen 17 Jahren seit der Schulreform von 1962 vieles getan -daß diese Zeit und speziell die Jahre sozialistischer Führung am Minori-tenplatz eine Epoche besonderer Dynamik war, kann von niemandem bestritten werden.

Wenn der Minister nun feststellt, praktisch habe sich die gymnasiale Unterstufe mehr und mehr zur Gesamtschule gewandelt, weil viele ihrer Besucher später in andere Schulen oder in den Beruf weitergingen, so bedeutet dies vor allem, daß sie entgegen ihrer Sinnbestimmung „umfunktioniert“ wurde - nicht zuletzt durch den weitgehend mit der Hauptschule übereinstimmenden Lehrplan -, wohl auch dadurch, daß viele Eltern zu ihr mehr Vertrauen hatten als zur Hauptschule.

Also galt und gilt es, die Hauptschule zu verbessern, die heute eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe zu erfüllen hat: Sie soll einerseits eine abgeschlossene - und abgerundete -Grundausbildung geben, die (mit dem aufgesetzten Polytechnischen Lehrgang) in den Beruf überleitet. Sie soll anderseits aber auch die Befähigung für den Besuch einer gymnasialen Oberstufe (meist mit nachfolgendem Universitätsstudium) vermitteln. Und schließlich soll sie auch noch über eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule auf den Beruf hinleiten. Ist das nicht etwas viel verlangt?

Selbstverständlich muß die Möglichkeit erhalten bleiben, auch über eine Hauptschule - oder die Gesamtschule - weiterführende Schulen anzupeilen und später an die Universität zu gehen. Der Stolz über die Vermehrung der Schülerzahlen an den höheren Schulen ist berechtigt. Dieser Erfolg wäre sicherlich nicht ohne die selbständigen Oberstufenformen möglich gewesen. Diese aber durch die Kappung der Unterstufe an den Vollformen (und ihre Einbeziehung in die Gesamtschule) zur Regelschule zu machen, widerspräche ebenso dem Bekenntnis zum Elternrecht wie zur Erhaltung des Guten - siehe oben.

Die Gesamtschule unterscheidet sich vom alten Ideal der Einheitsschule durch die Leistungsdifferenzierung in den Hauptfächern, wie sie ähnlich auch die differenzierte Hauptschule im ÖVP-Modell vorsieht. Hier geht es nicht um ideologische Ziele wie die soziale Koedukation, sondern um die Erprobung pädagogischer Vorstellungen. Über sie gehen die Meinung pro und contra quer durch die Parteien.

Sicherlich mag es für den schlechten Mathematiker günstig sein, in der dritten Leistungsgruppe unterstützt und gleichzeitig in den anderen Fächern auf ein höheres Niveau gehoben zu werden. Ob aber nicht die Beeinträchtigung der Klassengemeinschaft schwerer wiegt, als man es heute wahrhaben will?

Wie es zu den niedrigeren Repetentenzahlen kommt, darüber berichtet ein Fachmann hier im Inneren des Blattes. Letzten Endes zeigt sich wieder, daß es auf den Lehrer ankommt, was er aus seinen Schülern herausholt - womit auch die Frage offen bleibt, ob die Erfolge der Gesamtschule erhalten blieben, wenn sie als Regelschule nicht mehr ausschließlich von besonders motivierten (und für ihren Mehraufwand auch höher bezahlten) Lehrern betreut würde.

Aus den zehn Jahren der Schulreformkommission ist eine Menge herausgekommen, was bereits Allgemeingut geworden ist oder werden kann. Die Gesamtschule gehört sicherlich nicht dazu - ihre Versuche abzuschließen, wird erst dann möglich sein, wenn man bereit ist, auch die Kehrseiten der diversen, scheinbar so leuchtenden Medaillen zur Kenntnis zu nehmen.

Dann mag das Unterrichtsmodell der Gesamtschule als eine von mehreren Alternativen der Mittelstufe eingeführt werden. Eine zwangsweise Einführung könnte zu Eruptionen führen, wie sie in Nordrhein-Westfalen zum gleichen Anlaß bemerkbar wurden und wie sie Österreich schon vor einem Jahrzehnt im vergleichsweise harmlosen Zusammenhang mit dem neunten Gymnasialjahr erlebt hat.

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