6937154-1983_14_07.jpg
Digital In Arbeit

Neuer Schwung für Chinas Reformkurs

19451960198020002020

Reform ist das Schlagwort der Volksrepublik China für 1983. Der Weg scheint frei, nachdem mit Marschall Je Jiangying ein wichtiger Widersacher von Deng Xiaopings Reformkurs zurückgetreten ist.

19451960198020002020

Reform ist das Schlagwort der Volksrepublik China für 1983. Der Weg scheint frei, nachdem mit Marschall Je Jiangying ein wichtiger Widersacher von Deng Xiaopings Reformkurs zurückgetreten ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Rücktritt des greisen Marschall Ye Jianying von seinem Amt als Vorsitzender des Volkskongresses der Volksrepublik China ist der letzte Schlag der Pragmatiker um Deng Xiaoping gegen die alte Garde harter Mao- isten und Linker.

Marschall Ye war schwer zu bezwingen. Schon während der Kulturrevolution bewies er seltene politische Uberlebensfähigkeit, die er damals nür mit Zhou Enlai und wenigen.anderen’teilte, die dem Fallbeil der Radikalen um Maos damaliger Frau, Jiang Quing, entkommen konnten.

Nach Maos Tod jedoch tat er sich mit dessen Nachfolger Hua Guofeng zusammen um die sogenannte „Viererbande“ auszuschalten. Seitdem war er auch Protektor des in der darauffolgenden Zeit schwer unter Beschuß geratenen Hua.

Ye wehrte sich vor allem gegen die allzu rasche Entglorifizierung Maos durch die neue Führungselite um Deng. Die radikalen Reformpläne für Wirtschaft und Politik des Landes mißfielen ihm ebenfalls, und so gelang es ihm, durch passiven Widerstand viele Pläne Dengs und seiner Leute zu durchkreuzen.

Vor allem die Verminderung des Machtbereichs der Armee war Grund großer Zerwürfnisse zwischen den beiden politischen Giganten Deng und Ye.

Der Marschall genoß innerhalb der Volksbefreiungsarmee hohes Ansehen und darauf sind wohl die in den letzten Jahren häufigen Attacken aus Militärkreisen gegen die Politik Deng Xiaopings, Zhao Ziyangs und Hu Yaobangs zurückzuführen. Nur der beinahe unantastbare Schutz durch Ye Jianying ermöglichte diese Angriffe.

Nun aber mußte Ye seinen Rücktritt einreichen, und damit ist wohl eines der größten Hindernisse für den Reformkurs Chinas aus dem Weg geschafft. Mit 86 Jahren und seiner Abneigung gegen Reformen hatte er zwar Veränderungen nicht aufhalten können, jedoch die Verwirklichung solcher Pläne gebremst.

Das Dreigestirn des modernen China, Deng Xiaoping, Premier Zhao Ziyang und KPCh-General- sekretär Hu Yaobang machten in letzter Zeit kein Hehl aus ihrem Wunsch, Ye in Pension zu sehen.

An der Basis ist schon alles für eine größere Säuberung der Partei von passiven und allzu linken Kadern vorbereitet: In den letzten Monaten wurden viele Provinzgouverneure und Parteisekretäre ausgetauscht; die neuen Leute an den entscheidenden Posten sind allesamt Dengs Favoriten und werden alles unternehmen, um die Wünsche ihres Herren zu erfüllen.

Reform ist das Schlagwort Chinas für 1983. Die Reorganisation der Landwirtschaft von den strikten Volkskommunen zurück zur Familie, die ihr zugeteiltes Land bearbeitet und dabei Produkte auf den freien Märkten verkaufen darf, hat große Erfolge gezeitigt und den Lebensstandard der

Landbevölkerung gesteigert.

Aber auch Geschäfte, Dienstleistungsstellen, Industriekonzerne und sogar Künstlergruppen übernehmen mehr Verantwortung für ihre eigenen Geschäfte und Gewinne.

Eine andere wichtige Reform stellt die Wiedereinführung der Lohnsteuer als hauptsächliche Verdienstquelle für den Staat dar. Dies ist ein großer Unterschied zum staatlichen Anspruch auf alle Löhne mit Rückzahlungen an die Produktionseinheiten, wie das bis jetzt der Fall war.

Das große Problem, das die Regierung in Peking beunruhigt, ist die Frage nach der Fähigkeit der Manager. Deswegen hat Hu Yaobang auch bei einer kürzlichen Ansprache vor zu übereilten Reformen und Veränderungen innerhalb der Wirtschaftsstruktur gewarnt, mit dem Hinweis auf Chaos und Verwirrung.

Die Frage ist nun, ob diese Reformen nicht eine Rückkehr zu kapitalistischen Methoden bedeuten. Produktionsmittel bleiben nach wie vor in den Händen des Staates. Dennoch erlauben heute geltende Verordnungen Privatbesitz von landwirtschaftlichen Maschinen, sogar bis hin zum Traktor. In den Städten wiederum entstehen Dienstleistungskooperativen und andere kooperativ betriebene Wirtschaftszweige, die eher kollektives Besitzer- tum aufweisen denn Staatseigentum.

Sollte sich, wie es Deng und seine Leute wünschen, mehr oder weniger die ganze Partei hinter den Reformkurs stellen, dürfte sich in China in naher Zukunft vieles ändern. Dennoch darf man nicht vergessen, daß von heute 39 Millionen Parteimitgliedern etwa 16 Millionen während der Kulturrevolution rekrutiert wurden.

Diese Kader wehren sich zumeist passiv, reformistische Direktiven aus der Hauptstadt innerhalb ihres Machtbereichs zu verwirklichen. Ihnen gilt auch der Hauptangriff Dengs gegen Linke und unfähige Bürokraten. Mit der höchstgestellten Schutzfigur in Pension, scheint ihr Schicksal zumindest in absehbarer Zukunft besiegelt zu sein.

Sollte es den Linken jedoch im Falle eines plötzlichen Todes Dengs gelingen, sich um den entwürdigten Hua Guofeng zu scharen und die Macht an sich zu reißen, würde dies China wiederum ins Chaos stürzen. Dies ist die einzige, wenn auch sehr unwahrscheinliche Befürchtung mancher Politiker in Peking.

• Die Nachfolge Yes hat vorübergehend Peng Zhen angetreten. Er ist ein Vertrauter Deng Xiaopings und war ebenfalls während der Kulturrevolution entmachtet worden.

Im Mai oder im Juni wird dann ein neues Staatsoberhaupt während der sechsten Plenartagung gewählt werden. Dabei wird erwartungsgemäß das Amt des Staatspräsidenten wieder eingeführt werden, das erste Mal seit Liu Shaoqi diesen Titel bis zu seinem Sturz beim Ausbruch der Kulturrevolution 1966 führte. Peng Zhen ist Favorit für das neue Amt.

Gelingt es der jetzigen Führungsspitze Chinas, den Schwung der Reformen zu beschleunigen und passive Hindernisse weiter aus dem Weg zu räumen, könnte sich das Gesicht Chinas in Kürze verändern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung