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Neuer Stellenwert"

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„Die Investitionsentscheidungen der Elektrizitätswirtschaft bis 1985 sind längst gefallen", führte Generaldirektor Gruber von der NEWAG kürzlich auf einer Tagung über Energieprognosen aus. „Worüber wir uns heute den Kopf zerbrechen müssen, das sind die Investitionen für die Jahre 1985 bis 1990."

Da Milliardenbeträge in langfristige Großprojekte investiert werden, erwarten sich die Anbieter von Energie eine möglichst genaue Auskunft darüber, wieviel Energie in Zukunft nachgefragt werden wird.

Eine klare Sache, würde man denken. Also her mit den Prognostikern. Sie werden schon die richtigen Auskünfte geben. Nun gerade die Erfahrungen mit den Prognoserevisionen in jüngster Vergangenheit zeigen, daß die Prognosefachleute durchaus nicht über eine Zauberformel verfügen, mit der es möglich wäre, zukünftige Ereignisse vorherzusehen. Und dies ist nicht nur eine zufällige Panne.

Sehen wir uns einmal an, wie Energieprognosen gemacht werden: Jede Aussage über zukünftige Ereignisse basiert auf der Beobachtung der Vergangenheit. Aus dem bisher regelmäßigen Zusammentreffen bestimmter Erscheinungen lassen sich Schlußfolgerungen (Vermutungen) über das Bestehen von Beziehungen zwischen diesen Größen ziehen.

Ein typisches Beispiel dafür ist der enge Zusammenhang zwischen Energieeinsatz und wirtschaftlicher Leistung. Je höher die wirtschaftliche Leistung, umso höher auch der dafür notwendige Energieeinsatz.

Die Kenntnis dieser Beziehung bildet nun den Kern der gängigen Energieprognosen. Man hatte viele Jahre hindurch beobachtet, daß jedem Wirtschaftswachstum ein Energiewachstum ungefähr derselben Größenordnung entsprach. Unter der Annahme, daß sich im Umfeld der Wirtschaft keine entscheidende Veränderung im Prognosezeitraum ergeben würde, konnte auch für die Zukunft mit dem Fortbestehen dieser Beziehung gerechnet werden.

Prognosen sind somit „Wenn-dann-Aussagen": „Wenn sich die Rahmenbedingungen für den Prognosezeitraum nicht entscheidend ändern und wenn die Wirtschaft in den kommenden Jahren etwa jährlich um 4 Prozent wächst, dann können wir mit einer Energieverbrauchssteigerung von ebenfalls 4 Prozent rechnen." Also: Wenn die Annahmen zutreffen, dann läßt sich eine bestimmte Aussage für die Zukunft ableiten.

Die kontinuierliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den 20 Jahren vor 1973 brachte einen enormen Gleichklang in der Entwicklung der wesentlichen Größen. Prognosen waren daher zuverlässig, weil sich die Rahmenbedingungen der Wirtschaft nur geringfügig änderten.

Aus dieser Zeit beziehen wir auch heute noch unsere Einstellung zum Stellenwert von Prognosen. Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft haben sich angewöhnt, Prognosen als De-facto-Aussagen über zukünftige Ereignisse anzusehen.

Seit 1974 hat sich die Situation aber grundlegend geändert: Energie hat einen neuen Stellenwert in unseren wirtschaftlichen Überlegungen bekommen; sie ist sehr kostbar geworden, was sie vorher nicht war.

Das bedeutet aber, daß ein Großteil der Wenn-Annahmen der Prognosen nicht mehr zutrifft. Damit ist aber der Prognostiker - wenn er sich des gängigen Instrumentariums bedient - überfordert. Er hat nämlich zuwenig Information über die heute entscheidenden Zusammenhänge.

Durch die enorme Wertsteigerung der Energie wird nämlich eine andere Beziehung zur Schlüsselgröße: die Relation zwischen Energiedienstleistung und Energieverbrauch.

Solange Energie billig war, wurden kaum Anstrengungen unternommen, diese Beziehung zwischen Energieverbrauch und Energiedienstleistung besonders günstig zu gestalten. Je teurer aber die Energie wird, umso wirtschaftlicher wird eine bewußte Verringerung des Energieeinsatzes bei gegebener Energiedienstleistung.

Für Fragen der zukünftigen Energieversorgung bedeutet das konkret, daß wir nicht danach fragen sollten, wieviel Energie wir in Zukunft unter der Annahme eines bestimmten Wirtschaftswachstums brauchen werden. Es gilt vielmehr die Frage zu beantworten, wieviel Energie und welche Art von Energie wir in Zukunft verbrauchen und wieviel wir einsparen wollen.

Daß es letztlich um (politische) Entscheidungen geht, wird auch aus der enormen Bandbreite der möglichen Energiezukünfte deutlich. Prognostiker, die sich vor allem auf die Verlängerung der vergangenen Trends stützen und sich nur relativ wenig von Energieeinsparungen erwarten, gelangen zu zukünftigen Verbrauchsziffern, die weit über den heutigen Werten liegen. Ein jährliches Wachstum von vier Prozent bedeutet eine Verdoppelung bis zum Jahr 2000.

Vertreter jener Richtung, die auf massive energiesparende Investitionen setzen, kommen hingegen zu dem Ergebnis, daß selbst bei weiterhin anhaltendem Wirtschaftswachstum in Zukunft mit einem absoluten Rückgang des Energieverbrauchs zu rechnen sein wird.

In beiden Fällen wird es zu großen Investitionen kommen müssen. Wohin diese Investitionen jedoch fließen, ob in den weiteren massiven Ausbau der Produktionskapazitäten oder in die systematische Einsparung von Energie, das ist eine Frage der politischen Entscheidung, nicht der Prognose.

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