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Neuer Trend in Deutschland

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In knapp einem Jahr, im Februar 1987, sind die nächsten Bundestagswahlen fällig. Die Stimmungslage der deutschen Bevölkerung und damit auch die Ausgangslage der Parteien hat sich im abgelaufenen dreiviertel Jahr verändert. Man erinnere sich an die für die CDU ungünstigen Wahlausgänge im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, die zu einer krisenhaften Situation der Partei vor allem in ihrem Kerngebiet Rheinland geführt haben, wobei auch zunehmend Kritik an der Person des Bundeskanzlers Helmut Kohl und dessen Führungsstil laut wurde.

Daß die Unionsparteien aus dem Tief des letzten Jahres her-

ausgefunden haben, verdanken sie nicht zuletzt auch ihrer konsequenten Finanzpolitik. Zwar hat der Abbau der Staatsschulden, der bereits 1982/83 eingeleitet wurde, keine unmittelbare und spürbare Auswirkung auf den einfachen Wähler, doch die mittelbaren Folgen waren bereits 1985 zu bemerken: Eine Inflationsrate von rund 2 Prozent, die praktisch einer Preisstabilität gleichkommt und natürlich bei , den kleinen Einkommensbeziehern stabilisierend wirkt. Doch nicht nur allein die wirt-

schaftspolitischen Maßnahmen führten zu diesem Stimmungswandel, die Gründe liegen sicher tiefer. Es hat sich hier auch eine geistig-moralische „Wende" vollzogen, wie sie von der Regierung Kohl bei ihrem Amtsantritt 1982 gefordert wurde. Die meisten jedoch verstanden unter dieser Art von „Wende" eine Änderung in den Bereichen einer wertbezogenen Politik (Innen- und Sicherheitspolitik, Deutschlandpolitik, Abtreibungsfrage...).

Bei diesen Feldern ist die CDU zumeist hinter den eigenen Erwartungen und Ansprüchen zurückgeblieben, vielfach hat sie den Kurs der Vorgänger-Regierung fortgesetzt, und „Wenden" sind eher die Ausnahme geblieben.

Abgesehen von der bereits erwähnten Wirtschafts- und Finanzpolitik hat die Regierung Kohl kaum etwas zu dieser „Stimmungs-Wende" beigetragen, im Gegenteil, die letzten Bundestagswahlen waren schon ein Teil der bereits sich abzeichnenden

Wende weg von einer pessimistischen zu einer optimistischen Grundhaltung. Deutlicher kann man dies beim Abflauen der von starken Unheilsparolen geprägten Friedensbewegung, die selbst vor den Kanzeln nicht haltgemacht hat, erkennen.

Während die Querelen innerhalb der Koalitionsparteien, besonders zwischen der CSU und FDP, kaum an der Substanz rühren, vermittelt die SPD oft über erstaunlich lange Zeitspannen hin den Eindruck, als sei sie fast nur mit sich selbst befaßt. Durch die Erfolge in Nordrhein-Westfalen und im Saarland kam die SPD zwar in den Aufwind, der noch durch die Nominierung Johannes Raus zum Kanzlerkandidaten geschickt ausgenutzt wurde, doch war das nicht mehr als ein Zwischenhoch. Nachdem der Reiz des Neuen verflogen war, kam Rau bald durch ungeschickte Äußerungen in die Schußlinie des Bonner politischen Betriebes.

Dabei wurde immer wieder deutlich, und Rau macht daraus

keinen Hehl, daß ihn das angetragene Amt nicht sonderlich fasziniert, wobei durchaus familiärpersönliche Gründe mitspielen, die für ihn das Unternehmen Bonn zu einem Opfergang machen würden.

Aber auch politische Gründe sind stark vorhanden. Rau steht für ein Programm der linken Mitte und lehnt als praktizierender Christ die Abtreibungspraxis, wie sie von der rot-grünen Koalition in Hessen betrieben wird, ab. Mit dieser Koalition in Hessen, die sich laut Umfragen bei der Bevölkerung keiner großen Beliebtheit erfreut, tut sich die SPD schwer.

Sie weiß von den kritischen Stimmen aus Gewerkschaftskreisen und von alteingesessenen Sozialdemokraten, andererseits mußte sie zur Machterhaltung diesen Weg gehen. Gegen die SPD in ihrer derzeitigen Verfassung sind Bundestagswahlen eigentlich kaum zu verlieren.

Zweifel daran, daß die für die CDU politische Schönwetterlage die nächsten dreizehn Monate überdauert, sind trotzdem angebracht. Das politische Klima des Sommers wird vom Ausgang der Landtagswahlen in Niedersachsen, das des Herbstes von denen in Bayern beeinflußt werden, wobei ein Regierungswechsel in Niedersachsen (Ministerpräsident Ernst ' Albrecht, CDU) rechnerisch denkbar wäre. Und für Überraschungen war die deutsche Politik immer noch gut.

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