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Neues gelernt mit dem Mut der Verzweiflung

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Mehr als 2.200 arbeitslose Oberösterreicher sind oder waren in einer Arbeitsstiftung. Drei Viertel der Abgänger haben eine neuen, qualifizierteren Job gefunden.

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Mehr als 2.200 arbeitslose Oberösterreicher sind oder waren in einer Arbeitsstiftung. Drei Viertel der Abgänger haben eine neuen, qualifizierteren Job gefunden.

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Heinz, 34, steigt seit neuestem aufs Dach. Zwölf Jahre lang ist er im Schichtbetrieb im Wolfsegger-Kohlerevier in den Stollen eingefahren. Dann war plötzlich Schluß mit den rußgeschwärzten Händen, die er schon als Kind an seinem Vater gekannt hat. Die Gruben wurde geschlossen. Heinz, Vater von drei Kindern, hat umgesattelt. „Mit dem Mut der Verzweiflung" erlernte er den Dachdeckerberuf. „Ich war anfangs skeptisch, aber die von der Stiftung haben gesagt, ich kann das!"

„Eigentlich" wollte Erika, 27, schon immer etwas mit Kindern zu tun haben. Seit acht Monaten ist die Endfertigerin in einem Traktorenwerk arbeitslos und macht derzeit einen Kurs für Tagesmütter. „Viele Frauen, die zu uns kommen, möchten einen Sozialberuf erlernen. Leider haben wir viel zu wenig Ausbildungsplätze!" klagt Ursula Pirkl-bauer von der Frauenstiftung Steyr.

„Einmal ein Voestler, immer ein Voestler", ist Hannes überzeugt. Der 46jährige Mühlviertier pendelte täglich 56 Kilometer „ins Werk" nach Linz. Bis er vor zwei Jahren mit 400 anderen „konjunkturbedingt freigesetzt" wurde. Seit zehn Wochen benützt er den Werksbus wieder, steigt jedoch jetzt bei einem anderen Werkstor aus. Und manchmal trifft er abends einen früheren Kumpel,

der eine spezialisierte Reinigungsfirma gegründet hat. „28 Teilnehmer an der Stahlstiftung haben sich inzwischen selbständig gemacht und 32 Prozent aller Abgänger, konnten wir nach Umschulung wieder im Konzern unterbringen", kommentiert Brigitte Mühlböck, Geschäftsführerin der Stahlstiftung, die neuen Arbeitnehmerlaufbahnen in Oberösterreich.

Was sich so locker und erfolgsorientiert anhört, bedurfte Mut zur Veränderung, Bereitschaft zur Flexibilität und zum Lernen und vor allem tatkräftiger Unterstützung.

Arbeitsstiftungen können den Schock des einzelnen über eine Kündigung in Zeiten einer konjunkturellen Talsohle mildern. Sie haben sich auch als taugliches Instrument zur Mithilfe an einem sanften Strukturwandel erwiesen. Indem sie arbeitslos gewordene Arbeitnehmer motivieren und fördern, marktorientiert einen neuen, höherqualifizierten Beruf zu erlernen.

Die Stiftungen haben sich beim Abbau von Mitarbeitern als Alternative zu traditionellen Sozialplänen etabliert. „Jetzt schwärmen Leute dafür, die früher bei uns nicht einmal das Wort in den Mund nehmen wollten", entmythologisiert der Chef des Oberösterreichischen Landesarbeitsamtes. „Stiftungen sind hilfreich, um Menschen, die sonst nicht so leicht einen Arbeitsplatz fänden, wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Zaubermittel gegen Arbeitslosigkeit sind sie keines."

Arbeitsstiftungen funktionieren nach einem einheitlichen Konzept: Nach einer (meist sechswöchigen) Orientierungsphase, in der sich die Teilnehmer mit Hilfe eines Trainers über ihre beruflichen Fähigkeiten und Möglichkeiten klar werden, entscheiden die „Stiftlinge", ob sie I ohne weitere Zwischenschritte

eine neue Arbeitsstelle anstreben

£)utplacement), eine Aus- oder Weiterbildung machen (Bildungsplan) oder I die Gründung eines eigenen Unternehmens in Auge fassen (Projektvorbereitung).

Die Arbeitsmarktverwaltung kann laut Arbeitslosenversicherungsgesetz Maßnahmen von Unternehmen, die es gekündigten Mitarbeitern erleichtern, wieder einen Arbeitsplatz zu finden, durch einen verlängerten Bezug des Arbeitslosengeldes unterstützen (maximal drei Jahre).

Die Ausbildungskosten (30.000 bis 70.000 Schilling pro Jahr und Teilnehmer) trägt das Unternehmen, das meist auch Sachleistungen (Büro, Schulungsräume, Lehrpersonal) beistellt. Die Stiftungsmittel werden ergänzt durch einen Solidaritätsbeitrag der Belegschaft (zehn bis 60 Schilling pro Monat), die Stiftlinge selbst bringen die Zinsen aus der gesetzlichen Abfertigung ein. Das Wirtschaftsressort des Landes Oberösterreich schießt 25 Prozent der Ausbildungskosten (maximal 25.000 Schilling) zu. Bei „stiftungsähnlichen Maßnahmen", zum Beispiel für eine ganze Begion, kommt das Arbeitsamt zur Gänze auch für die Ausbildungskosten auf.

Die ersten Arbeitsstiftungen in Oberösterreich entstanden im Bereich der verstaatlichten Industrie. Pionierarbeit leistete dabei die 1987 gegründete „Stahlstiftung" der ehemaligen Voest-Alpine AG. Rund 1.300 ehemalige Mitarbeiter/innen haben sie bisher in Anspruch genommen. Zehn weitere Stiftungen, auch von privat geführten Unternehmen und Firmenkooperationen, sind gefolgt. Für viele Menschen in Oberösterreich sind die Arbeitsstiftungen in einer Zeit der Unsicherheit zu einem Element der Hoffnung geworden.

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