6794172-1971_02_11.jpg
Digital In Arbeit

Neues Klavierkonzert und Mysterium

19451960198020002020

Man mag es als ein gutes Omen für Wiens Musikleben 1971 auf fassen, daß im ersten Abonnementkonzert des neuen Jahres, und zwar am Abend des 1. Jänner, gleich zwei neue Werke erstaufgefübrt wurden, und zwar durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Josef Krips. In diesem Konzert hat man jene Premiere nachgeholt, die eigentlich zu Beginn der Wiener Festwochen im Mai 1970 hätte stattfinden sollen: ein neues Werk von Frank Martin, das der Gesellschaft der Musikfreunde zum 100jährigen Jubiläum des Hansen-Baues am Karlsplatz gewidmet ist.

19451960198020002020

Man mag es als ein gutes Omen für Wiens Musikleben 1971 auf fassen, daß im ersten Abonnementkonzert des neuen Jahres, und zwar am Abend des 1. Jänner, gleich zwei neue Werke erstaufgefübrt wurden, und zwar durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Josef Krips. In diesem Konzert hat man jene Premiere nachgeholt, die eigentlich zu Beginn der Wiener Festwochen im Mai 1970 hätte stattfinden sollen: ein neues Werk von Frank Martin, das der Gesellschaft der Musikfreunde zum 100jährigen Jubiläum des Hansen-Baues am Karlsplatz gewidmet ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Sein neues (zweites) Klavierkonzert schrieb Frank Martin für und in Zusammenarbeit mit Paul Badura- Skoda, indem er sich der Eigenart des 35 Jahre jüngeren Interpreten anzupassen suchte — den er für einen besonders „heftigen”, temperamentvollen Pianisten hält. Gleich der erste Satz des 22-Minuten-Werkes hat einen dramatisch vorwärtsdrängenden Charakter. Er beginnt mit einem drohenden Paukensolo, „trok- kenen” dissonanten Akkorden und hämmernden Tonwiederholungen. Ein vom Altsaxophon vorgetragenes melodisches Motiv wird, nachdem es von einer Trompete „kontrapunktiert” wurde, bald wieder von dem herrischen Hauptthema verdrängt. In einem Fugato über rumpelnden Bässen dominiert das Intervall des Tritonus, des „Diabolus in musica”. Auch der „Lento” betitelte Mittelteil hat einen unruhig drängenden Charakter und weist nur wenige Momente meditativer Ruhe auf. Sein Hauptmotiv, eine Zwölftonreihe, wird jeweils um eine Terz höher transponiert, wodurch, bei viermali ger Wiederholung, die „Ausgangsbasis” wieder erreicht ist. Das Presto-Finale ist durch hämmernde Motorik charakterisiert und mündet in eine virtuose Solokadenz, die aber nur in der Lebhaftigkeit der Bewegung, keinesfalls in ihrer Stimmung, zum Happy-End des Schlußakkordes führt. — Verglichen mit Frank Martins 1. Klavierkonzert von 1934 und der Ballade für Klavier und Orchester von 1939 ist der Klavierpart des neuen Werkes virtuoser, in jeder Hinsicht anspruchsvoller, die ganze Komposition aber härter, dramatischer, eckiger, mit einem Wort: ein nicht nur neues, sondern auch neuartiges Werk des Achtzigjährigen, dessen ungewöhnlich schwieriger Solopart von Paul Badura-Skoda fulminant und bravourös vorgetragen wurde. Ein Bravo auch den Symphonikern und Josef Krips, der das schwierige Stück mustergültig einstudiert hatte.

Daneben hatte Paul Walter Fürst, Jahrgang 1926, Schüler von Joseph Marx und von Kurt Thomas in Frankfurt, derzeit als Wiener Phil harmoniker tätig, mit seinen „Farbspielen” op. 38 keinen leichten Stand. Immerhin bewies er, daß man mit normaler Notation, ohne Geräuscheffekte und ohne die einzelnen Or-

chesterinstrumente zu „verfremden”, auch heute noch interessante Musik zu machen vermag. Das einsätzige Zwölfminutenstück ist in fünf Teile gegliedert und versucht die Schwarzweißtechnik des Graphikers ins Musikalische zu übertragen. Im dritten Teil pausieren die Streicher, mit Ausnahme der Kontrabässe, im vier-

ten die Bläser. Der fünfte Teil demonstriert die Wechselbeziehung zwischen Rhythmus und Melos, indem der erstere immer mehr reduziert wird, die Melodie aber sich bis zu einer Sechstonfolge ausdehnt und schließlich ihre äußerste Dichte in einem Sekundschritt erreicht, womit das gutklingende, unterhaltsame Stück schließt.

Langanhaltender Beifall für alle Ausführenden, besonders für die beiden anwesenden Komponisten.

Wir haben in der Weihnachtsnummer der „Furche” eine ausführliche Einleitung zu Frank Martins „Mysterium von der Geburt des Herrn” gebracht, das unmittelbar vor den Festtagen im Großen Konzerthaus- saal seine Wiener Erstaufführung erlebte. Seit der szenischen Premiere vor zehn Jahren im Salzburger Großen Festspielhaus hat dieses Werk nichts von seiner Größe, seinem Reiz und seiner Eigenart verloren. Das „Herzstück” dieser Musik auf einen ausgedehnten Text des 15. Jahrhunderts ist ihre Harmonik, eine ganz eigentümliche und nur Martin gelungene Synthese von Melos und Klang. Ein anderes Charakteristikum ist Martins „Chromatis- mus” und ein kirchentönig gefärbtes Moll. Diese Stilmerkmale treten vor allem in der „menschlichen” Sphäre zutage. Die Teufel und ihr Gesinde gebärden sich lärmend dodekapho- niisch oder schreiend und produzieren einen dissonanten Höllenspuk. Im obersten Bereich herrschen reine Harmonien, die zu schreiben heute mehr Mut erfordert als so manches Experiment. Hier begegnet Martin ganz unverhofft Meister Mathis, man erinnere sich nur an das Engelskonzert… (Martin weist selbst auf die Gefahr eines gewissen „An- gélisme” hin.)

Die Aufführung unter Bruno Ma- dernas Leitung war so vollkommen und fesselnd, daß man die Szene kaum vermißte. Obwohl der. Orchesterpart und die Chöre von großer Bedeutung sind (Symphoniker, Jeunesse- und ORF-Chor), lag das Hauptgewicht und der Glanz dieser Wiedergabe doch auf den Solostimmen: allen voran der zauberhaft reine Sopran von Ileana Cotrubas (Eva und Maria) und der metallisch strahlende Tenor von Stanley Kolk (Erzengel Gabriel und Melchior). Zu treffsicherer Charakteristik setzten Kurt Ruzicka, Gerhard Stolze und Herbert Prikopa ihre Stimmen ein. Tugomir Franc gab der Partie Gottvaters und Simeons Kraft und Würde, Otto Wiener denen des Adam und des Joseph; Ingrid Mayer sang die Elisabeth und eine Prophetin, Hans Christian war der intelligent interpretierende Sprecher des Prologs und ließ in drei weiteren Rollen Wohlklang und Fülle vernehmen. Die Aufführung war ein großer Erfolg beim Publikem, das — leider — den Saal nicht ganz füllte. Helmut A. Fiechtner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung