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Neues Leben in eine sterbende Kirche?

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Am 19. April bestieg George Carey in der prachtvollen Kathedrale von Canterbury den Thron des heiligen Augustinus. Carey ist nun 103. Erzbischof von Canterbury, Primas der anglikanischen Kirche und Blickpunkt von 65 Millionen Gläubigen in 28 Schwesterkirchen der ganzen Welt.

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Am 19. April bestieg George Carey in der prachtvollen Kathedrale von Canterbury den Thron des heiligen Augustinus. Carey ist nun 103. Erzbischof von Canterbury, Primas der anglikanischen Kirche und Blickpunkt von 65 Millionen Gläubigen in 28 Schwesterkirchen der ganzen Welt.

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Die Persönlichkeit Careys unterscheidet sich in vielem von den letzten Oberhirten in Canterbury. Mit 55 Jahren ist George Carey, der fortan als George Cantaur unterzeichnet, der jüngste Primas seit Erzbischof Edward Benson, dessen Inthronisation 1883 vor sich ging. Seit Jahrhunderten ist Carey der erste Primas, der nicht die Paradeuniversitäten von Oxford oder Cambridge absolviert hat. Seine Wiege stand in der Londoner City, er ist also ein echter Cockney.

Der (gleich Premier John Major) frühe Schulabgänger gelangte erst auf Umwegen zum aktiven Christentum und zum Priestertum. Nach kurzer seelsorglicher Tätigkeit unmittelbar nach seiner Priesterweihe bestand seine Laufbahn zum größten Teil in der theologischen Professur an verschiedenen Seminaren. Carey ist Autor von acht Büchern überChristo-logie, Ökumene, Säkularismus und das Wesen des Glaubens.

Als vor neun Monaten der Nachfolger von Primas Robert Runcie gewählt wurde, erhielt der bislang eher unbekannte Carey den Vorzug vor den großen Favoriten Erzbischof John Habgood von York, Richard Harris von Oxford und Robert Eames, Primas von ganz Irland. Zu diesem Zeitpunkt war Carey erst drei Jahre Ober-hirte von Bath und Wells.

Diese Unerfahrenheit führte dazu, daß Carey als Erzbischof designatus ins Fettnäpfchen getreten ist. Die Idee, daß nur ein Mann Christus repräsentieren könne, so sagte er im „Reader's Digest", sei „Häresie". Auch als er später diesen Ausdruck in „theologischen Irrtum" änderte, glätteten sich die Wellen der Aufregung in der Öffentlichkeit keineswegs. Inzwischen hat „Arsenal-Anhänger" Carey seinen Lapsus eingestanden und im Femsehen seine Äußerung im Wortschatz des britischen Volkssports als „spektakuläres Eigentor" bezeichnet.

Carey übernimmt ein schweres Erbe. Die Staatskirche ist zu tief in ihre internen Kontroversen verstrickt, um als Anziehungspunkt für Gläubige und Ungläubige zu wirken. Wöchentlich verlassen nach einer jüngsten Studie tausend Anglikaner ihre Kirche. Im vergangenen Jahrzehnt mußten über 1.000 Kirchen geschlos-

sen werden, der Besuch der Gotteshäuser war niemals so schwach.

Im Femsehen sprach der Primas seine Hoffnung aus, daß die Jugend wieder in die Gotteshäuser zurückfinde. Er legt Wert auf neue Formen der Liturgie und glaubt, die Kirche könne von „evangelischen und charismatischen Formen der Gottesverehrung und dem Mystizismus der orthodoxen Ostkirchen" viel lernen. „Viel in unserem Gottesdienst ist langweilig, öde und lange. Das Wunder der Christenheit besteht darin, daß die Menschen überhaupt noch kommen."

Carey wird dem „evangelischen" Flügel der anglikanischen Kirche zugezählt, der den Schwerpunkt auf die Heilige Schrift legt. Runcie gehörte zu den sogenannten Liberalen, die von jeder Generation eine neue angemessene Interpretation von Schrift und Tradition fordern. Die dritte Gruppe,

die „Katholischen", stellt Bibel und Überlieferung auf die gleiche Stufe. Runcie tat alles, um eine Spaltung zu vermeiden. Seine größten Probleme waren die strittigen Fragen: Zulassung von Frauen zum Priestertum (während die Anglikaner in den USA bereits Frauen zu Bischöfen weihen) und Homosexuelle als Seelsorger.

Durchgreifenden Entscheidungen ging Runcie um der inneren Einheit und der ökumenischen Bande willen aus dem Weg. Er sah keine „theologischen Hindemisse" für Frauen, suchte das Problem hinauszuschieben. Carey wird es letztlich nicht anders halten. Homosexualität sei nach Runcie keine Sünde, doch ein Hindernis auf dem Weg zum Priestertum. Carey hat aus seiner Ablehnung von „gay priests" kein Geheimnis gemacht.

Die Einheit der Christen ist auch Anliegen Careys, wenngleich er in ökumenischen Belangen weniger enthusiastisch als Runcie wirkt. Auf jeden Fall erwarten Kennereine starke Führung durch Carey. Nach eigenem Bekenntnis sucht Carey den Konsens, „aber wenn ich überzeugt bin, daß ein bestimmter Weg der richtige ist, dann setze ich mich dafür ein". Gerade das wurde an Runcie vermißt.

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