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NEUGIERDE UND ABENTEUERLUST

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Sie schauen so gut erholt aus, waren Sie auf Urlaub?" „Nein, Urlaub kann man das eigentlich nicht nennen. Wir waren heuer nur im Waldviertel; wegen der Schwiegermutter und der Kleinen."

Diese, durchaus aus dem alltäglichen Leben aufgegriffene Passage ruft uns eine weit verbreitete Einstellung ins Bewußtsein: Mit Urlaub verbinden viele von uns automatisch den Begriff Reisen und zwar möglichst weit weg, möglichst exotisch, vielleicht auch möglichst teuer, zumindest wenigstens kostspielig klingend. □ Damit wäre ein mögliches Reisemotiv lokalisiert, welches man kurz Prestigemotiv nennen kann, und welches gar nicht so selten den wahren Grund für ausgedehnte Reisen darstellt.

Als kleine Hilfe zur Selbstdiagnose, das heißt inwieweit Sie selbst vom Prestigemotiv befallen sind, können Sie sich die Frage stellen, ob beziehungsweise wie oft Sie sich auf Reisen beim Videofilmen, Fotografieren, Mitbringselsammeln und Ansichtskartenschreiben bei Gedanken ertappen, wie „die zu Hause" darauf wohl reagieren werden und wem allen Sie von Ihrer Reise erzählen werden.

Das Vorhandensein von Prestigemotiven muß an und für sich nicht prinzipiell negativ gewertet werden, soferne beim Versuch der Erfüllung die eigenen Möglichkeiten nicht überfordert werden, und man sich nicht der Selbsttäuschung hingibt, daß so eine Reise in jedem Falle ein entspannender und erholsamer Urlaub sei.

□ Ein völlig anderes Motiv zum Reisen in ferne Länder findet man bei vielseitig interessierten und neugierigen Menschen. Diese fahren nicht weg, um nachher zu berichten, wo sie überall waren, sondern um an Ort und Stelle - also im „Hier und Jetzt" - die Fremde zu erleben. Es interessiert sie alles, Was um sie herum vorgeht, von den anderen Menschen angefangen über ungewohnte Sitten und Bräuche bis hin zur Natur, Architektur, Speisenzubereitung et cetera.

Diese Art von Reisenden genießen ein- oder zweimal im Jahr für relativ kurze Zeit das Neue und andere der Fremde und sind die andere Zeit über recht gerne in ihrer Heimat und dort meist auch ganz zufrieden. So positiv hier die, als Kurzzeittourist gewonnenen Eindrücke in der Fremde auch bewertet werden; letztlich erbringt der Vergleich mit dem eigenen Lebensraum und den eigenen Gewohnheiten die Erkenntnis: „... zum Anschauen und Besuchen war es wunderbar, aber auf Dauer dort leben möchte ich um nichts in der Welt."

□ Im Unterschied zu diesem Neugiermotiv steht bei einer anderen

Klasse von Reisemotiven, nämlich den Fluchimotiven das Verlassen der augenblicklichen Situation im Vordergrund. Fluchtmotivierte Fernreisende haben nicht so sehr ein bestimmtes Reiseziel vor Augen, als vielmehr die Intention, sich auf eine sozial anerkannte und von der Umwelt meist akzeptierte Vorgangsweise von zu Hause beziehungsweise von der Firma und/oder dem Berufsleben kurzfristig abzusetzen.

Nun, nicht jeder, der auf Reisen geht, vermeidet damit heimatliche Konfrontationen. Es gibt noch weitere handfeste Motive zum Reisen:

□ Stellen Sie sich vor, Ihr größtes Hobby wäre Hochseefischen, Wellenreiten oder Vulkane fotografieren. Manchmal lassen sich spezifische Hobbys nur in der Ferne verwirklichen und sind damit der konkrete Grund für eine Reise. Ähnlich außengesteuert kann ein Reisemotiv auch darin gelegen sein, daß man liebe Verwandte oder Bekannte besuchen möchte und sich damit auf zwei Wochen nach Elba begibt, soferne die Tante eben in Elba und nicht in Neulengbach wohnt.

□ Eine weitere Motivgruppe wird durch den Wunsch geprägt, in die Ferne zu fahren um dort etwas zu erleben. Hier geht es also nicht um die Befriedigung von Neugierde, sondern konkret um das Erleben von Abenteuern verschiedenster Arten.

Menschen mit dieser Reisemotivation sparen oft ein ganzes Jahr oder länger für ihre eine große Reise und verhalten sich dann auch in der Ferne oftmals gänzlich anders als zu Hause. Psychologen bezeichnen dies als Ausbrechen aus dem Alltag beziehungsweise den gewohnten Normen und können meist (beruhigend) feststellen, daß nach der Rückkehr dann zu Hause wieder die gewohnte Ordnung mit ihren Regeln und Normen gilt.

Eines der wohl häufigsten Reisemotive ist die für viele Menschen gleichlautend zu bezeichnende Ab sieht nach Tapetenwechsel. Viele sehnen sich nach zehn oder elf Monaten gleichförmiger Arbeit nach Kontrast. Hatten wir Wärme und Sonne, sehnen wir uns nach Schnee und Kälte und umgekehrt.

Dieses Kontrastphänomen zeigt sich auch des öfteren in der psychotherapeutischen Praxis bei Verfahren, wo Klienten in der Vorstellung oft zur aktuellen Realität geradezu gegenläufige Kontrastbilder beschreiben und sich in diesen Situationen dann ganz besonders wohl fühlen. Wenn Sie sich also dabei beobachten, daß Ihr Fernweh nach Sonne und Meer mit zunehmender Kälte immer größer wird, dann ist dies durchaus „normal" und „in Ordnung".

Vielleicht geben Sie Ihrem Reisebedürfnis einfach nach und genießen den dringend notwendigen Tapetenwechsel voll bewußt als Kontrastprogramm zum Alltag - am besten gemeinsam mit einem guten Freund oder Partner.

Dann wird Reisen - auch aus psychologischer Sicht - zu den positiven Dingen in Ihrem Leben zählen; auch wenn es das Waldviertel ist.

Der Autor lehrt am Institut für Psychologie der Universität Wien und ist Psychotherapeut mit eigener Praxis.

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