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Neujahrsgruß eines Juden
Es ist seit einiger Zeit Brauch geworden, daß hohe Politiker zum Jahreswechsel der Juden, der ja bekanntlich im Herbst stattfindet, Grüße den jüdischen Mitbürgern entbieten.
Obwohl ich nur ein einfaches Mitglied der Wiener Kultusgemeinde bin, drängt es mich doch, diesen schönen Brauch umzukehren und meinen christlichen Mitbürgern zum Neujahr 1979 beste Wünsche und Grüße zu übermitteln - mit der Hoffnung auf Frieden und Wohlstand im neuen Jahr.
Wenn wir uns gemeinsam die Situation am Jahreswechsel betrachten, so können wir als verantwortungsbewußte Menschen nicht froh, noch ausgelassen und unbeschwert dieses Datum feiern. Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Elend, Kriege und Aufstand allerorts kennzeichnen die düstere Lage.
Darf ich als Trost meinen christlichen Mitbürgern sagen, daß zum selben Zeitpunkt, da das Weihnachtsfest gefeiert wurde, wir Juden heuer das Chanukka-Fest feierten - in Erinnerung an die Befreiung Jerusalems im Jahre 165 vor Christus. Damals suchte man im total zerstörten und entweihten Tempel nach einem Kultgegenstand, der die Katastrophe überdauert hätte. Man fand im Keller ein kleines Krüglein mit geweihtem öl - unversehrt. Dieses kleine Krüglein öl erlaubte die Wieder-
entzündung des Lichtes im Tempel. Und in der Dunkelheit ward Licht...
Diese Erinnerung soll uns daran mahnen, daß es immer, auch in ausweglos erscheinenden Zeiten, ein Licht gibt, wenn man nur hoffen will.
Ich glaube, daß wir alle diese Geisteshaltung dringend brauchen. Wir wollen und müssen hoffen, wenn wir überleben wollen.
Offen gesagt, bin ich als Jude eifersüchtig darauf, daß die Kirche einen so wundervollen neuen Papst bekam - der richtige Mann zur richtigen Stunde! Ich bin sicher, daß er eine neue Note, eine Vertiefung des Glaubens bringen wird. In seiner Heimat ist die Marienverehrung eine ganz wichtige Stütze des Glaubens. Möge die wunderbare Symbolik dieser Verehrung auch in unserer so verbogenen , freien Welt“ dazu führen, daß die Frau wieder die Ehrfurcht und Anerkennung bekommt, die ihr zusteht!
Auch auf den Oberhirten Wiens, Kardinal König, bin ich neidig. Welch ein Mensch, voll Güte und Verstand! Auf so einen Kirchenfürsten könnt Ihr Christen und ganz Österreich stolz sein.
Da unser gemeinsamer Weg die Hoffnung ist, sei ein für uns beide kühner Gedanke gewagt: Warum sollte der erwartete Messias der Juden und der wiedererwartete Messias (Christus) der Christen nicht dasselbe Antlitz tragen?
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