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Neuwahlspuk

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Was hält Bundeskanzler Kreisky und sein Team an der. Regierungsbank fest? — Verantwortungsbewußtsein für das Schicksal Österreichs zwischen Juni und Oktober 1975? Das Versprechen, die Legislaturperiode auslaufen zu lassen? Das Verlangen, die Macht bis zur Neige auszukosten oder der simple Justa- mentstandpunkt, daß die Opposition auf jeden Fall unrecht hat, selbst dann, wenn sie den Einladungen des Bundeskanzlers stattgibt?

Am 14. Jänner 1975 hat Bruno Kreisky jedenfalls klar und deutlich festgestellt, die Regierung klebe nicht auf ihren Sesseln, sie werde daher einem ÖVP-Antrag auf vorzeitige Auflösung des Nationalrates beitreten. Nur eine Woche später hat er zu erkennen gegeben, daß selbst seine klarsten Meinungsäußerungen nicht ernst gemeint sein müssen. Unruhe, so sagte er, würde das Land erfassen, sollte tatsächlich drei Monate früher gewählt werden; die Leute würden vor dem Wahltermin in den Urlaub flüchten (was sie ein Jahr zuvor — bei der Wahl des Bundespräsidenten — nicht taten); schließlich aber spiele es gar keine Rolle, wenn die derzeitige Bundesregierung ein paar Monate länger agieren würde. Hannes Androsch und Leopold Gratz, beide Mitglieder des SPÖ-Präsidiums, unterstrichen die Richtigkeit der jüngsten Kreiskyschen Argumentation, obwohl sie noch wenige Monate zuvor in dieser Frage ganz anderer Meinung waren. Das IFES-Institut des Abgeordneten Blecha hatte von einem auf den anderen Tag das Ergebnis einer Meinungsumfrage verraten, wonach eine klare Mehrheit der Bevölkerung plötzlich gegen eine Vorverlegung der Nationalratswahlen eintrat. Und die Familienstaatssekretärin Elfriede Karl wollte wahrgenommen haben, daß sie in Telephonanrufen bestürmt worden sei, die nächsten Nationalratswahlen nur jia nicht vorzuverlegen.

Am 28. und 29. Jänner tagte der SPÖ-Vorstand in Baden bei Wien, um die plötzliche totale Richtungsänderung der SPÖ-Spitze in der Frage einer Vorverlegung von Neuwahlen in ein geeignetes Parteienkommunique zu pressen. Gewählt wird also am 5. Oktober 1975. Neben schwerwiegenden wirtschaftlichen

Problemen, einem überschuldeten Staatshaushalt, wachsender ideologischen Spannungen in und außerhalb der Regierungspartei (Fristenlösung!) hat sich die SPÖ und die von ihr gestellte Bundesregierung eine neue Last aufgebürdet, an der sie in den nächsten Monaten schwer zu tragen haben wird: die Nachrede, Sesselkleber zu sein.

Die nun wahrscheinlich endgültig entschiedene Auseinandersetzung um den Wahltermin kennt zwei Sieger, von denen der eine — ÖVP- Bundesparteiobmann Karl Schlein- -zer — den Schauplatz strahlend verließ, während der andere — ÖGB- Präsident Anton Benya — mit einem blauen Auge davonkam. Ersterer hat der Bevölkerung bewiesen, daß seine Stärke im Finish liegen kann und hat den Bundeskanzler auf dessen ureigenstem Gebiet, der „Lavendelschmähtreiberei” (so der „Kurier”) geschlagen. Anton Benya dagegen hat in einem zu Jahresbeginn in der ÖGB-Zeitschrift „Solidarität” veröffentlichten Interview klipp und klar festgehalten, daß für ihn nur der Oktober als Wahlmonat in Frage fromme. Hätte er nicht Wochen später in einem „Kurier”-Interview den Mut des ÖVP-Obmanns, einen Auflösungsantrag einzubringen, in Zweifel gezogen und Schleinzer damit zur Offensive geradezu provoziert, so wäre er in seiner Partei und für die Öffentlichkeit als jener Mann festgestanden, der die Fäden tatsächlich zieht.

Da nun der Neuwahlspuk vorbei ist, stellt sich die Frage, was mit einer Vorverlegung der Wahlen allerdings hätte gewonnen werden können und was termingemäße Wahlen an Vorteilen bringen. Sicherlich ist die Bundesregierung unter der Belastung eines verlängerten Wahlkampfes außerstande, die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes mit dem notwendigen Mut zur Unpopularität anzugehen. Dazu war sie selbst in ihrer besten Zeit nicht couragiert genug. Sicherlich werden in den nächsten Monaten wirtschaftliche Probleme verschleiert werden, notwendige Entscheidungen hinausgezögert und vielleicht noch auf Pump sogar Neuwahlgeschenke verteilt werden. Das alles kostet viel Zeit und viel Geld, was in den Jahren nach der Wahl wieder eingebracht werden muß.

Diesen Nachteilen steht der Vorteil gegenüber, daß angesichts der offenkundigen Wahlmüdigkeit der österreichischen Bevölkerung eine Legislaturperiode verfassungsgemäß ausläuft. Es ist nicht notwendig, Sachfragen etwa nicht mehr zu erledigen, was diese Zeitung auch wiederholt gefordert hat. Die SPÖ möge ihre Mehrheit einsetzen, wenn Punkte des Regierungsprogramms noch nicht erfüllt sind. Das gibt der Öffentlichkeit auch die Chance, ihre Arbeit als Ganzes zu beurteilen.

Die Österreicher müsspn freilich mit einem permanenten, jetzt fast 250 Tage währenden Wahlkampf rechnen. Bundeskanzler Kreisky wird die nächsten Wochen damit zu tun haben, die Angriffe der Opposition abzuwehren. Karl Schleinzer wiederum wird sieh nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen dürfen, will er die Funktion des ersten Mannes in der nächsten Bundesregierung erreichen. Er hat den Sprung über seinen eigenen Schatten geschafft, die nächsten Monate werden ihm aber alles abverlangen.

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