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„Nicht ausgehöhlt”

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Die Völkergemeinschaft hat sich jetzt die Aufgabe gestellt, den eklatanten Bruch des Völkerrechts durch den Irak zu bekämpfen. Wir Österreicher sind nun damit konfrontiert, unsere Aufgabe so wahrzunehmen, wie wir sie gleichzeitig als neutraler Staat und als UNO-Mitglied wahrzunehmen haben.

Hier ist die Rechtslage durch die UN-Mitgliedschaft sehr klar: Die Neutralität wird nicht berührt, wenn gemeinsame Maßnahmen dieser Völkergemeinschaft durchgeführt werden.

Es ist vollkommen falsch, wenn jetzt immer gesagt wird, die Neutralitätwerde ausgehöhlt oder verwässert oder abgeschafft. Neutralität ist in einem solchen Fall nicht vorgesehen, nicht juristisch, aber auch nicht moralisch und politisch. Denn neutral sein heißt ja, an einem Konflikt, an einem Krieg, an einer Krise zwischen zwei oder mehreren streitenden Ländern oder Völkern nicht teilzunehmen.

Hier geht es nicht um einen Krieg zwischen zwei oder mehreren Völkern, sondern hier geht es darum, daß sich die Vereinten Nationen gemeinsam gegen einen Staat wenden, der das Völkerrecht gebrochen hat.

Für die Zukunft unseres Landes und auch für unserer Neutralität ist vollkommen klar und außer Streit, daß Österreich so wie in der Vergangenheit an einem Krieg zwischen zwei oder mehreren Ländern nach wie vor nicht teilnehmen wird, nicht teilnehmen kann und auch nicht teilnehmen will.

Kein neutraler europäischer Staat ist haargenau deckungsgleich mit dem anderen vergleichbar. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Land Mitglied der Vereinten Nationen ist oder nicht.

Die Schweizer haben jetzt durch maßgebliche finanzielle Beiträge ihren Beitrag zur Kampfführung der Allierten gegen Saddam Hussein geleistet. Ein anderes neutrales Land, Schweden etwa, hat Sanitätskontingente abgestellt, um in einem Feldspital unter britischer Führung in der Golf-Region zu arbeiten, und hat ebenfalls maßgebliche finanzielle Hilfe gestellt und hat - besonders bemerkenswert -die Kriegsmateriallieferungen an die Allierten fortgesetzt.

Das ist ein wesentlicher Unterschied etwa zu unserem Verhalten. So weit sind wir nicht gegangen, würden wir auch gar nicht gehen. Wir haben uns dafür entschieden, ebenfalls finanzielle Beiträge für humanitäre Hilfe abzustellen. Wir haben auch klar festgelegt, daß wir selbstverständlich keine geächteten atomaren, biologischen oder chemischen Waffen über unser Territorium transportieren lassen. Wir haben ebenso klargestellt - was erst in den letzten Tagen wiederum erneut festzuhalten war -, daß etwa in Österreich produziertes Kriegsmaterial ebenfalls nicht an Golf-Staaten geliefert werden soll. Jeder der Neutralen geht hier seine eigenen Wege.

Es ist ja nicht so, daß es keine Präzedenzfälle gäbe. Aus dem Zweiten Weltkrieg sind j a Beispiele bekannt.

Ich meine, wir haben von den drei Möglichkeiten, nämlich: humanitäre Hilfe, Bemühungen auf diplomatischem Gebiet und Zulassen von gewissen Transporten über oder durch unser Land auf Ansuchen der Allierten, das Feld abgesteckt, in dem wir mitwirken können. Darüber hinaus gehen wir nicht.

Ich bin nicht der Auffassung, daß man jetzt sich hinsetzen und eine Neuinterpretation oder Neudefinition der österreichischen Neutralität unternehmen soll. Diese Neutralität als eine wichtige Säule unseres Staatsgefüges und auch als wichtige Säule des Bewußtseins der Österreicher in ihrem Staat soll und darf nicht durch Diskussionen oder Neuinterpretationen in Frage gestellt werden. Neutralität heißt ja nicht Wegschauen bei Rechtsverletzungen, aber Neutralität heißt sicherlich, die Begünstigung des einen oder des anderen zu unterlassen, wenn der eine mit dem anderen im Krieg oder im Streit liegt und zwar direkt wie indirekt. Ich meine, daß das auch in der Zukunft eine sehr taugliche Position für den Staat Österreich ist.

Diese Position ist im Prinzip unverändert. Was sich verändert hat, sind bestimmte Umfeldbedingungen, der Wegfall des Ost-West-Konflikts, hoffentlich können wir das auch weiterhin so sagen, oder eben die Golf-Ereignisse.

Für mich heißt die Formel nicht Neuinterpretation der Neutralität, sondern Beibehaltung der Neutralitätspolitik unter der jeweils vernünftigen, und für unseren Staat bestmöglichen Würdigung und Wertung von Entwicklungen und Themen, die von außen auf uns zukommen.

Redaktionell redigierter Auszug aus dem Hörfunk-Gespräch „Im Journal zu Gast” mit Bundeskanzler Franz Vranitzky am 16. Februar 1991.

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