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Digital In Arbeit

Nicht die Reichen sind die Armen...

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Österreichs oberster Zahlmeister, Hannes Androsch, hat es vor kurzem bewiesen: Eine Steuersenkung hat überhaupt keinen Sinn. Wenn der Finanzminister auf vier Milliarden Schilling Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer, also auf etwa sieben Prozent des gesamten Aufkommens, verzichtet, so würde sich daraus für jeden österreichischen Steuerzahler im Durchschnitt eine monatliche Ersparnis von nicht einmal 100 Schilling ergeben.

Dem Staat aber würden diese Mittel abgehen, sie würden - wie könnte es anders sein? - ausgerechnet bei der Arbeitsplatzsicherung fehlen. Und sind nicht sichere Arbeitsplätze wichtiger als eine derartige Bagatelle von Steuerersparnis?

Prompt war aus Gewerkschaftskreisen zu hören: Ja wenn das so ist... vier Milliarden gegenüber nicht einmal 100 Schilling... und dies noch dazu auf Kosten des sicheren Arbeitsplatzes... man wird sich die Sache noch einmal gründlich überlegen müssen.

Der österreichische Durchschnittsverdiener ist kosterniert: Da gerät er Jahr für Jahr in eine höhere Steuerprogression, liefert infolge der Inflation selbst bei gleichbleibendem Realeinkommen eine immer größere Portion seiner Ein-

künfte dem Staat ab. Und wenn dann die Steuer gesenkt wird, der Finanzminister seine Inflationsgewinne also wieder hergeben soll, dann schaut nichts heraus dabei?

Daß in der Behauptung des Finanzministers tatsächlich ein wahrer Kern steckt, weiß man aus diversen vorangegangenen Lohnsteuersenkungen. Der Staat hat auf einige Milliarden „verzichtet“ - und die Steuerersparnis des einzelnen war kaum der Rede wert. Jedenfalls wurde für den Durchschnittsverdiener die Steuerprogression niemals wieder auf das Niveau früherer Jahre reduziert.

Es ist immer das gleiche Spiel, das wir bereits aus den Tagen des Finanzministers Reinhard Karnitz kennen: Karnitz hat noch im Zuge seiner Steuersenkungen tatsächlich eine echte Progressionsentschärfung versucht. Jedesmal aber hat die Sozialistische Partei - angeblich im Namen der sozialen Gerichtigkeit - ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, daß die Steuersenkung in erster Linie den untersten Einkommen zugute kommen soll, sodaß sie für die mittleren Verdiener kaum noch fühlbar war. Und so ist es seither geblieben.

Im ersten Moment nimmt sich der sozialistische Standpunkt tatsächlich sozial aus. Was dabei aber übersehen wird, ist das Faktum, daß alle sogenannten Steuersenkungen keine echten Reduktionen der Steuerlast gebracht haben, sondern lediglich dazu dienen sollten, die unsichtbaren Steuererhöhungen im Gefolge des Zusammenwirkens von Progression und Inflation wieder wenigstens teilweise zurückzunehmen. Auch Karnitz wollte nichts anderes - allerdings ging es damals nicht um eine während seiner Amtsperiode verschuldete Geldentwertung, sondern um die vorhergegangene Kriegs- und Nachkriegsinflation.

Nun ist es aber die Tücke des Progressionstarifs, daß im Zuge der Inflation die mittleren Einkommen - also auch bereits diejenigen eines Facharbeiters, eines mittleren An-

gestellten oder eines selbständigen Handwerkers - in Steuersätze hineinrutschen, die seinerzeit für Spitzenbezüge der obersten Managerklasse vorgesehen waren.

Durch diese Verzerrung entstand, was die Steuerexperten „Mittelstandsbauch“ nennen: Die Progressionkurve steigt bereits bei eher bescheidenen mittleren Einkommen stark an, sodaß die Maximalsätze relativ früh erreicht werden und sich die Kurve dann wieder verflacht Es wäre daher Aufgabe der Steuerkorrekturen gewesen, den Status quo ante weitgehend wiederherzustellen und die mittle-, ren Einkommen in erster Linie zu entlasten.

Dies wäre keineswegs unsozial. Aus folgendem Grund: Wenn sich beispielsweise im Donautal eine

Überschwemmungskatastrophe ereignet und die Regierung für diesen Zweck eine Milliarde flüssig macht, so muß dies eben den Katastrophenopfern zugute kommen. Man kann dann nicht argumenti-ren, daß es im Donautal ohnehin nur große Bauern gäbe und man daher das Gros der Katastrophenmilliarde den Bergbauern geben müsse, obwohl diese gar nicht unter der Überschwemmung zu leiden hatten. Damit würden die Donautalagrarier weitgehend unentschädigt bleiben, doch auch den Bergbauern

würde nicht mit Bagatellbeträgen aus der Finanz-Gießkanne geholfen sein.

Die Opfer der Progressionsüberschwemmung sind aber die mittleren Einkommen, und es ist weder ihnen noch den niedrigen Einkommen geholfen, wenn es aus der Gießkanne der Tarifkonjunktur auf alle lediglich tröpfelt.

Ein Beispiel: Der Bezieher eines Monatslohns von rund 4000 Schü-ling (ganz präzise: 3.986,66 Schilling) zahlt unter Berücksichtigung des Alleinverdienerabsetzbetrages ganze 12,50 Schilling Steuer. Wenn man diese um zehn Prozent reduziert, ja selbst wenn man sie zur Gänze streicht, so ist ihm damit kaum geholfen.

Bei 5000 Schilling Monatslohn beträgt die Steuerlast rund fünf Prozent oder 267 Schüling. Auch hier ist die Belastung noch erträglich, eine Reduktion kaum relevant. Zu bald danach aber steigt die Progression rasant an: Mit 10.000 Schilling muß man nahezu schon ein Fünftel seiner Einkünfte an den Staat abführen, mit 15.000 Schilling ein Viertel und mit 20.000 Schilling beinahe 30 Prozent. Dann verflacht die Progressionskurve und bei 40.000 Schilling zahlt man ungefähr 40 Prozent.

Der große Sprung erfolgt also bereits bei einem Einkommen unter 10.000 Schilling. Hier wird die Belastung mit nahezu einem Fünftel des Lohns - wozu bekanntlich auch noch die Sozialabgaben kommen - bereits unerträglich. Sie erreicht ein Niveau, das sogar in der steuerfreudigen NS-Zeit einem kaufkraftmäßig unvergleichlich höherem Einkommen zugedacht war.

Eine sinnvolle Steuersenkung müßte daher endlich einmal primär den in geradezu grotesker Manier überbesteuerten mittleren Einkommen zugutekommen, denn wenn dies nicht geschieht, läßt sich jede Steuerkorrektur ad absurdum führen: Es werden Milliarden mit der Gießkanne nutzlos vergeudet.

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