6912772-1981_15_01.jpg
Digital In Arbeit

Nicht ein Gott der Toten

Werbung
Werbung
Werbung

Dieses Jahr werden sie uns in der Woche vor Ostern fehlen, die feierlich gewandeten, gemessen auf und ab promenierenden Familien. Während die „Stille Woche“ der Christen ringsum an Lärm erstickte, erbrachten diesb Juden am Ufer des Lago Maggiore im Vorjahr den Beweis dafür, daß die Stimme Gottes für sie nicht erstickt ist. Es war Passah, das höchste Fest im Jahr des Israeliten, nicht länger und nicht kürzer als die Zeit, mit der Christen die letzten Stationen ihres Herrn zum Kreuz und zum Ostermorgen mitgehen, eine Woche lang.

Die meisten derer, die dort schritten, haben in ihren Familien unermeßliches Leid durch die Hand von Hitlers Schergen erlitten. Sie aber, die Überlebenden und Nachkommen, gehen nicht auf die Friedhöfe zu den Toten, sondern in die

Synagogen und hören von der Zuversicht ihres Volkes auf Gott.

Beider, der Christen und Juden wie aller Menschen Leben ist ein Leben zum Tode hin. Während die Hochreligionen Asiens diesen Termin ignorieren oder umdeuten, während Philosophen und Phantasten je nach Geschmack das wahre Leben ins Diesseits oder ins Jenseits verlegen, hält allein die Bibel der Sterblichkeit des Menschen furchtlos stand.

Im Scheol, dem Reich der Toten, kann man Gott nicht preisen. So die Juden. Der Tod ist mit der Sünde des Menschen in die Welt gekommen. So der Apostel Paulus. Nur Leben ist die Zeit, in der wir den Anruf Gottes beantworten können - die Toten sind unserer Verantwortung entzogen, die Mitlebenden aber haben auf sie Anspruch. „Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ So sprach Jesus. Nicht etwa: Was ihr an Trauerarbeit - so heilsam sie sein mag - für eure Toten leistet!

„Gott ist ein Gott der Lebendigen und nicht der Toten.“ Diese Antwort Jesu an die Sadduzäer, welche mit einem spitzfindigen Beispiel die Unmöglichkeit der Auferstehung „beweisen“ wollten, gilt auch im umgekehrten Fall. Da nämlich, wo der gutgläubige Versuch immer aufs neue unternommen wird, nun gerade die Auferstehung beweisen zu wollen. Der Blick wird auf Gott gerichtet, fort von uns.

Alle Wunder und Weisen Jesu, mit denen er Kranken, Verfemten und - eben - auch Verstorbenen zur Teilnahme am Leben verhalf, hatten und haben, wo sie aufs neue unter uns geschehen, nur das eine Ziel: die Macht des lebendigen Gottes zu preisen, der „solche Dinge unter den Menschenkindern tut“.

Jesu eigene Auferweckung schließt sich hier bruchlos an, ihr wiederum die Verkündigung der Gemeinde von dem lebendigen Herrn, die bis zur Stunde Menschen am wahren, vollen Leben teilhaben läßt. Leben, das nicht verdirbt und sich auch durch offenbare wie heimliche Verführer nicht vom Kurs abbringen läßt.

Ostern fordert uns heraus, das ist gewiß. Aber nicht zu einer Entschleierung der Rätsel um Tod und Leben, sondern zu neuem Mut, mitten in unserer Welt, die zwischen Ewigkeitseuphorien und Vergänglichkeitspessimismus schwankt, im Namen des lebendigen Gottes, der seinen Sohn aus dem Tode rief, dem Leben zu dienen.

Denn das ist gewiß: wir selbst können Gott niemals mehr wert sein, als uns die Nächsten wert sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung