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Nicht Gäste, nur Touristen

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Nichts mehr erinnert im Zeit- alter der Autobahnstaus und Charter-Invasionen an exotischen Stränden daran, daß die Tradition der Gastfreundschaft am Beginn allen Reisens stand. In allen Kul- turen existierte die Verpflichtung, dem Fremden Speise und Trank, einen Platz am wärmenden Herd- feuer oder ihm kühlen Baumschat- ten anzubieten, ihm eine Schlaf- stätte für die Nacht zu bereiten. Von dieser Gastfreundschaft hing bei Reisen in Regionen rauheren Klimas, in der Wüste, in endlosen Steppen oder im Gebirge das Über- leben ab.

Diese Verpflichtung zur Gast- freundschaft gewährte aber nicht nur Unterkunft, sondern auch Zu- flucht in Zeiten, als es noch keine gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Reisenden gab. Als durch immer weiterräumigen wirt- schaftlichen Austausch, durch reli- giöse und kulturelle Motive die Reisetätigkeit zunahm, mußten die Reisenden - Kaufleute, Diploma- ten, Pilger - untergebracht, ver- pflegt, vor Gewalttätigkeiten und Plünderungen geschützt werden.

Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Gastfreundschaft aus den Häu- sern und Unterkünften der Priva- ten, aus den Klöstern und aus den Herbergen der Städte verlagert, spontan geleistete Dienste wurden kommerzialisiert, von Gesetzen geregelt. Was ist in der Zeit des hektischen Reisefiebers, des touri- stischen Konsumierens von dieser selbstverständlichen Tugend übrig- geblieben, Fremde aufzunehmen und ihnen mit Toleranz und Ach- tung zu begegnen?

Heute schützen - schwierig ge- nug - internationale Abkommen die Fremden und ihre Rechte, Flücht- linge, Asylanten, Auswanderer lie- fern politischen Sprengstoff. Die Tradition der Gastfreundschaft ist aber auch denjenigen gegenüber abhanden gekommen, die als Ur- lauber, Touristen, Feriengäste vor- übergehend, freiwillig und für ihr gutes Geld zu Erholung und sport- licher Betätigung, zu Bildung und Geselligkeit fremde Länder besu- chen.

Freilich heißt Gast zu sein auch, die Gastgeber, ihre Gebräuche und Traditionen zu achten und zu re- spektieren. Heißt Kultur und Ge- schichte des bereisten Landes und seiner Bewohner kennenlernen zu wollen, sich einzufühlen und anzu- passen. Es kann nicht nur um die Konsumierung bezahlter Leistun- gen gehen, ohne daß die Gastgeber als eigenständige Menschen zur Kenntnis genommen werden.

Ist es aber andererseits wirklich selbstverständlich, daß im immer perfektionierteren Tourismusbe- trieb der Gast nur als „Melkkuh" gesehen wird, als in Kauf zu neh- mendes Übel, von dem allerdings das wirtschaftliche Überleben ab- hängt? Auch Gäste sind als Men- schen mit ausgeprägten Neigungen und individuellen Bedürfnissen anzusehen, denen ohne nationale und schichtspezifische Vorurteile begegnet werden sollte. Könnte es nicht sein, daß hinter Ferienhektik und Konsumurlaub die verdeckte Sehnsucht nach dem Erlebnis ech- ter Gastfreundschaft steht?

Schon bei den Griechen wurde der Gast als Abgesandter der Göt- ter empfangen, bei Homer etwa wird Odysseus nach seinem Schiffbruch von Nausikaa und ihrem Vater König Alkinoos gastlich aufgenom- men. Und nur durch die auch Bett- lern zustehende Gastfreundschaft gelangt Odysseus unerkannt in sei- nen Palast auf Ithaka, um seine tugendhafte Gattin Penelope zu sehen. In Athen hat es zu allen Zeiten zahlreiche Ausländer aus der damals bekannten Welt gegeben, die zwar politisch nicht gleichbe- rechtigt, aber in ihrem Leben, in Besitz, beruflicher Tätigkeit und Religionsausübung geschützt wa- ren. Diese Gastf reundschaf t und die damit einhergehende Toleranz ist den Griechen erhalten geblieben.

Die in einer ländlichen Zivilisa- tion verwurzelte slawische Gast- freundschaft geht von der Vor- stellung aus, daß der Gastgeber sich selbst durch die Aufnahme und Bewirtung des Gastes Freude be- reitet. Dementsprechend ausge- dehnt verliefen daher in früheren Zeiten Besuche, die die ländliche Abgeschiedenheit durchbrachen und von der großen Welt draußen berichten konnten. Üppig ist auch heute in den bescheidenen Verhält- nissen der Tisch gedeckt und das Ritual, den Gast immer wieder zum Zugreifen aufzufordern, besonders ausgeprägt.

Bei den arabischen Völkern, be- sonders bei beduinischen Stämmen in der Wüste, wurden und werden Gäste zu Schützlingen ihrer Gast- geber, denen beinahe heilige Vor- rechte zustehen. Die Gastgeber, ihre Familie und ihr Stamm, sind zur Sorge für den Schutz des Gastes verpflichtet. Diese Unantastbarkeit als einmal aufge- nommener Gast kann dem Frem- den manchmal das Überleben si- chern, und schiebt dem Recht des Stärkeren im Überlebens- kampf der Wüste einen Riegel vor. Diese Gast- freundschaft wird umsonst an- geboten, setzt aber voraus, daß der Gast sich in allem an die Wei- sungen des Haus- herrn hält und das Angebotene auch annimmt. Ableh- nung gäbe Anlaß zu Verdacht. Ein Lob für das gast- freundliche Haus und die Aufnah- me dort sind dann für den Gast ver- pflichtend.

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