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Nicht geschossen ist auch gefehlt

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Militärischer Widerstand gegen das „Dritte Reich“, auch wenn die politische Führung kapituliert: Nicht in Österreich, in der Schweiz hat man sich dazu verschworen.

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Militärischer Widerstand gegen das „Dritte Reich“, auch wenn die politische Führung kapituliert: Nicht in Österreich, in der Schweiz hat man sich dazu verschworen.

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„Ich bin kein Romantiker, der glaubt, der Tod sei schön und leicht. Ich fürchte mich sicher nicht weniger als irgendeiner vor dem Leiden und Sterben. Ich weiß auch nicht, ob ich mich im Grauen der Schlacht oder im Konzentrationslager mutig verhalten würde. Allein das kann keiner von sich behaupten. Es wird deshalb vorerst genügen, wenn wir bereit sind, das Wagnis zu unternehmen im Vertrauen auf die Hilfe, die uns unser Glaube im schwersten Augenblick geben wird.“

Das war nicht im März 1938 — und es war auch kein Österreicher, der das niedergeschrieben hat. Es war aber auch keiner der Männer des 20. Juli 1944. Zeitlich lag es dazwischen — 16. Oktober 1940 —, und geschrieben hat es ein Schweizer Offizier: der damalige Hauptmann i. G. Alfred Ernst, nachmals einer der ranghöchsten und vor allem einer der profiliertesten Offiziere der Schweiz.

Als er die eingangs zitierten Zeilen in einem Brief an seinen „Diskussionspartner“ Oberst i. G. Roger Masson schrieb, war er aber in Haft: Ernst war als Mitglied des sogenannten „Offiziersbundes“ festgenommen worden, der sich verschworen hatte, dem nationalsozialistischen Deutschen Reich in jedem Falle militärischen Widerstand zu leisten, auch wenn die politische Führung der Schweiz zur Kapitulation bereit sein sollte; in einem solchen Falle war an eine selbständige Auslösung des Abwehrkampfes und sogar an eine Ausschaltung der politischen Führung gedacht.

Die - durchwegs jungen - Mitglieder des „Offiziersbundes“ waren mit ihren Absichten sehr weit gegangen, für eine Demokratie eindeutig zu weit. Der österreichische Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner wollte allerdings bei einem zum Gedenkjahr 1938/88 veranstalteten Symposion an der Landesverteidigungsakademie auch die „besonders heikle Frage“ eines militärischen Widerstandes ohne diesbezüglichen Entschluß der an sich dafür kompetenten politischen Führung nicht von vornherein aus jeglicher Diskussion ausgeschlossen wissen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die nachher vielkritisierte Eigenmächtigkeit des österreichischen Generaltruppeninspektors Erwin Fussenegger während der Ungarn-Krise des Jahres 1956; Fussenegger habe damals offensichtlich auf seine Art die Lehre aus dem März 1938 und der nach dem Krieg diesbezüglich aufgetretenen Kritik am unterbliebenen militärischen Widerstand zu ziehen versucht.

Fussenegger hat sich dabei allerdings gewiß eher an Henri Gui-san als an den „Offiziersbünd-lern“ orientiert: der Schweizer General — bekanntlich hat die Schweiz jeweils nur einen, und auch das nur in Kriegszeiten — hatte in einer Phase des deutlichen Schwankens der politischen Führung die gesamte militärische Spitze der Schweiz auf dem Rütli versammelt. In einem historisch gewordenen Appell hatte er seine Offiziere auf Widerstand in jedem Falle eingeschworen; von einer Ausschaltung der eigenen politischen Führung war aber keine Rede gewesen. Diese Grenze überschritten erst die „Offiziers-bündler“.

1938 hatte der damalige österreichische Generaltruppeninspektor Sigismund Schilhawsky auf die von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg an ihn gestellte Frage nach der Möglichkeit militärischen Widerstands mit einem klaren „Nein“ geantwortet. Rauchensteiner stellte dazu klar, daß die Verantwortung für die politische Entscheidung, 1938 keinen Widerstand zu leisten, naturgemäß bei der politischen Führung gelegen sei; diese habe allerdings das „Recht auf militärische Beratung“ gehabt und auch genutzt.Und auch in der militärischen Führung habe sich eben „kein Leonidas gefunden“—wie dies der ehemalige Armeekommandant Emü Spannocchi kürzlich für die politische Führung formuliert hatte. Mit dem Generalstabschef Alfred Jansa war ein potentieller Leonidas wenige Wochen vor dem Einmarsch der deutschen Truppen von seinem Posten abgelöst worden — formell unter Rückgriff auf ein von ihm schon frühzeitig abgegebenes Demissionsgesuch, de facto aber sehr wohl unter dem Druck Hitlers. Eine Tochter Jansas — beide Töchter nahmen ebenso wie die Töchter des damaligen Staatssekretärs Wilhelm Zehner am genannten Symposion teil - erzählte von der letzten Begegnung ihres Vaters mit Generaloberst Ludwig Beck: Während eines Manöverbesuchs in Ungarn 1937 habe sich während einer gemeinsamen Fahrt in einem ungarischen Armeefahrzeug die Gelegenheit geboten, offen miteinander zu reden. Ihr Vater habe Beck eindringlich beschworen, sie mögen beide - als Soldaten - doch alles unternehmen, den „drohenden Bruderkrieg“, auf den die politischen Führungen zusteuerten, doch noch zu verhindern. „Auch wenn wir diesen Krieg nicht wollen, müssen wir kämpfen — und wir werden auch kämpfen!“ habe Jansa klargestellt; Beck habe ihm daraufhin fest die Hand gedrückt und geantwortet, er verstehe ihn sehr, sehr gut...

Bemerkenswert und in gewisser Hinsicht auch überraschend die Tendenz der Plädoyers für oder gegen militärischen Widerstand im März 1938: Während der Militärhistoriker Christoph Allmayer-Beck angesichts des damaligen Kräfteverhältnisses und der politischen Rahmenbedingungen die Richtigkeit des Widerstandsverzichts unterstrich und damit offensichtlich Zustimmung insbesondere bei etlichen Alt-Offizieren fand, widersprachen etwa die Universitätsprofessoren Erika Weinzierl und Norbert Leser dieser Ansicht entschieden. Die aus der Jägersprache entliehene Formulierung Lesers „Nicht geschossen ist auch gefehlt“ verschärfte Weinzierl noch: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“. Die Lehre aus 1938 sei demgemäß, „es gebe nur eines: rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um dann letztlich, wenn es um die Existenz geht, mit allen Bürgern in der Lage zu sein, sich wenigstens deutlich für diese Unabhängigkeit zu wehren.“

Damit ist aber auch schon jener Bogen ins Heute angesprochen, dem doch bei allen Gedenkveranstaltungen zum März 1938 zumindest kein geringer Stellenwert zukommen sollte. In diesen Zusammenhang gehört auch die mahnende Erinnerung des Alt-Bundespräsidenten, er habe sich noch 1936 darüber gefreut, bei der Musterung als tauglich nur „zum Dienst mit der Schaufel“ eingestuft zu werden; einige Jahre später habe er lernen müssen, wie leicht es einem dann passieren kann, für den Militärdienst eines anderen Staates sehr wohl als tauglich auch zum Dienst mit der Waffe angesehen zu werden. Das solle man sich stets vor Augen halten, wenn es um den Wehrdienst für das eigene Land geht.

Auch in militärischen Belangen wird man wohl gut daran tun, in dem eben erst begonnenen Gedenkjahr 1938/88 „Aufarbeitung der Vergangenheit“ nicht im Sinne einer Schuldzuweisung (noch dazu an eine andere Generation), sondern als Bemühen um das Erkennen von Ursachen zu versuchen; und gar zu einfach wäre es, auf Schlußfolgerungen für das Heute zu „vergessen“.

Wer für den Verzicht auf militärischen Widerstand im März 1938 plädiert, sieht sich auch mit der Frage nach dem Heute konfrontiert; mit umgekehrtem Vorzeichen gilt das ebenso. Ex-Bundesminister Franz Olah kann für sich reklamieren, der von ihm vertretenen Forderung, „in solcher Lage muß man ganz einfach kämpfen, nicht nur dann, wenn man sicher ist zu siegen“ nicht nur 1938, sondern dann auch 1950 selbst nachgekommen zu sein. 1988 ist bloß eine neue Jahreszahl.

Oer Autor ist Leiter des Instituts für militärische Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie in Wien.

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