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Nįcht im Windschatten der großen Politik

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Meist denkt man heute, wenn von Schwarzafrika berichtet wird; an’Ostafrika, also insbesondere Kenia, Uganda, Tanzania, vielleicht auch an die weiter südlich gelegenen Staaten, die sich gern als „Frontstaaten” (gegen Rhodesien und Südafrika) bezeichnen. Das zentrale Westafrika scheint demgegenüber eher im Windschatten der politischen Dissonanzen unserer Tage zu liegen. Das ist nicht gerechtfertigt. Denn man erinnert sich noch gut an den Fall Biafra, der wohl offiziell beigelegt ist (wobei die Menschenrechte am Boden zerstört hegen blieben), aber keineswegs endgültig als bereinigt angesehen werden kann.

Eine Art von wirtschaftlicher Drehscheibe in Westafrika ist heute die Elfenbeinküste (Rėpubliąue de la Cöte d’Ivoire). Wer sich ungefährdet über Westafrika informieren will - in Guinea und anderen grausamen Diktaturstaaten geht so etwas nicht leicht-, der reist nach der Elfenbeinküste. Der Verfasser dieses Artikels hat in der letzten Zeit versucht, dort an die Quellen der heutigen Geschehnisse heranzukommen, dies auch in dem (sehr armen) Staat Obervolta, der nur über die Elfenbeinküste mit einer äußerst wichtigen Bahnlinie von Abidjan nach Ouagadougou gut erreicht werden kann, solange die im Bau befindliche transsaharische Straße nicht vollendet ist.

Die Elfenbeinküste war die erste französische Kolonie, die sich - 1960 - von Frankreich völlig gelöst und für unabhängig erklärt hat, ihr Staats- und Regierungschef Dr. Felix Houphou- et-Boigny regiert seither und genießt in ganz Afrika als Vorkämpfer afrikanischer Unabhängigkeit größtes Ansehen. Selbst so grausame Diktatoren wie „Kaiser” Bokassa, Staatschef der Zentralafrikanischen Republik, der ganze Mordorgien feierte und noch feiert (und den österreichischen Botschafter nach Terminvereinbarung für die Überreichung des Beglaubigungsschreibens einen Tag lang warten ließ) oder Idi Amin sind vor Hou- phouetrBoigny eher demütig, obwohl er bekanntermaßen beste wirtschaftliche und sogar politische Beziehungen zu Südafrika unterhält und den Anti-Südafrika-Rummel keineswegs mitmacht. Als Arzt und einstiger Minister für die Uberseegebiete in der Pariser Regierung ist er zweifellos ein Humanist, wie das bis zu einem gewissen Grad auch von Lėopold Senghor gesagt wird, der allerdings im Innern seines Staates durchaus nicht vor gröbsten Diskriminierungen Andersdenkender zurückscheut.

Houphouet-Boigny hat sich im Gegensatz zu den meisten Diktatoren der schwarzafrikanischen Staaten dafür entschieden, zuerst die Wirtschaft in Ordnung zu bringen und alle politi schen Ziele zurückzustellen, vor allem auch keine Stammesfehden aufkom- men zu lassen, und er begünstigte nicht einmal die Baoulė (auch Agni genannt), den Stamm, dem er selbst angehört. Die wirtschaftliche Lage der Elfenbeinküste ist daher wohl die stabilste in ganz Westafrika, was sich in der rapiden Entwicklung des Landes aus wirkt. Die Hauptstadt Abidjan hat heute schon fast eine Million Einwohner, während in den Handbüchern auch neueren Datums noch von

400.000 die Rede ist. Ein Kongreßzentrum wie jenes von Abidjan wird man selbst in Europa vergeblich in dieser luxuriösen Qualität suchen.

Aber auch etwa in Cameroun gibt es eine Universität, mit Spitzenkräften (meist Franzosen) und mit Einrichtungen, wie man sie in Europa schwer zu finden vermag. Unter dieser Entwicklung leidet die Landschaft. Die Urwälder gehen überall, auch etwa in Ghana, der Ausrottung entgegen, Löwen, Elefanten und Krokodile sind fast unsichtbar geworden. Dafür sind Gelbfieber und Schwarzwasserfieber ebenfalls ausgerottet.

Unbehaglich stimmt es aber doch, wenn es in all diesen Ländern keine freiheitliche Demokratie mehr gibt, Nicht nur, daß Guinea einer der grausamsten Diktaturstaaten der Welt ist, wo täglich Unschuldige hingemordet werden, daß Ghana, die Zentralafrikanische Republik, Benin, Tschad und auch Nigeria weit von parlamentarischer Demokratie entfernt sind (nur Gambia und Liberia können als solche bezeichnet werden), auch die angeblich so prowestliche Elfenbeinküste kennt nur eine einzige Staatspartei. Möglich, daß ohne solche autoritäre Züge in Schwarzafrika nicht regiert werden kann.

Die Elfenbeinküste strebt, wie alle schwarzafrikanischen Staaten, einen extremen Nationalstaat an, was sich aber hier weniger auf der politischen als a.uf der wirtschaftlichen Ebene zeigt. Da nach einer Erklärung von Houphouet-Boigny der Staatskapitalismus als absolutes Ziel gilt und der bürgerliche Kapitalismus ebenso abgelehnt wird wie der Liberalismus, kann es nicht überraschen, daß es einen Planungsminister (derzeit Hen- ri-Konan Bėdiė) gibt, der in diesem Sinn Akzente setzt. Zu den wichtigsten Planungen gehört dabei der Stausee von Mamingoui im Nordwesten des Landes mit einer endgültigen Oberfläche von der Größe Vorarlbergs, der schon seit sehr vielen Jahren durch die ihn speisenden Zuflüsse aufgefüllt wird und zwischen 1978 und 1980 das vorgesehene Ausmaß erreichen soll. Dabei ist schon heute die Stromversorgung gut, da ja viele Flüsse (nur noch teilweise als Urwaldströme zu bezeichnen) vorhanden sind und die

Elfenbeinküste kaum noch Anteil an der wüstenartigen Sahel-Zone hat.

Wenn der Staatskapitalismus bisher kaum negative Auswirkungen hat, wie das etwa in Gabun, Guinea und Tschad der Fall ist, so wohl auch wegen der hier besonders engen Verflechtung mit der französischen Wirtschaft. Überall spürt man die wirtschaftliche Vorherrschaft Frankreichs. Aber auch im Erziehungswesen und im Großhandel hat Frankreich eine dominierende Position. Der CFA-Franc ist zudem eine sehr beständige Währung. Andere Währungen spielen in diesem Raum der ehemaligen Communautė Franęaise keine Rolle. Die Preise sind freilich demgemäß sehr hoch. Dies ganz im Gegensatz zu Obervolta, das bettelarm ist, freilich dem Fremden wie auch dem Investor kaum etwas bietet. Dennoch hat der Wiener Bauunternehmer Dipl.-Ing. Buchwieser gerade in Obervolta, in Verbindung mit dem Aufbauwerk der (katholischen) Jungarbeiterbewegung, ein bewunderungswürdiges soziales Wohnbauprogramm verwirklicht.

In ganz Afrika fragt man sich, was in der Ära nach Houphouet-Boigny kommen wird. Hier ist aber Vorsorge getroffen, indem der Parlamentspräsident Philippe Yacė, der noch jung und im übrigen ebenso gemäßigt ist wie der heutige Staatspräsident, diesem im Amt nachfolgen wird, wie man regelmäßig im halbamtlichen Organ „Fraternitė Matin” nachlesen kann. Es könnte daher sein, daß die Elfenbeinküste auch weiterhin mäßigenden Einfluß ausüben wird.

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