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Nicht immer die Autofahrer

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Um zu verhindern, daß aus innerstädtischen Hauptstraßen Rennbahnen werden, überlege er die Abschaffung der grünen Wellen — dieser Genieblitz ist wirklich und tatsächlich einem Interview entnommen, welches der Wiener Bürgermeister Leopold Gratz der „Arbeiter-Zeitung“ gewährt hat, und nicht etwa den Parodien eines Qualtinger. Die Idee, daß man, um Autorasen in verkehrsarmen Zelten zu verhindern, das Verkehrschaos in den Stoßzeiten noch vergrößert, hat sicherlich einen gewissen Anspruch auf Originalität.

Allerdings ist sie weder revolutionär noch logisch. Revolutionär nicht, weil grüne Wellen in Wien — und nicht nur da — ohnehin eine Rarität sind, deren schüchterne Ansätze immer wieder rasch verkümmern. Mit der Logik hapert es noch mehr: Wenn die grüne Welle richtig geschaltet ist, nämlich so, daß sie bei Einhaltung der gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit, nicht aber bei deren Überschreitung funktioniert, ist gerade sie das beste Rezept gegen Schnellfahren. Zur Überschreitung des Tempolimits provoziert man hingegen den Autofahrer dann, wenn bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit knapp vor Erreichen einer Kreuzung die Ampel auf Gelb oder Rot springt. Gerade das verleitet viele Fahrer dazu, aufs Gaspedal zu steigen, um doch noch über die Kreuzung zu kommen. Zur Bekämpfung der Autoraserei brauchen wir also mehr, nicht weniger grüne Wellen.

Der Verdacht liegt nahe, daß hier wieder einmal Unvermögen und Indolenz zu einer prinzipiellen Entscheidung hinauf stilisiert werden sollen. Man will also in Zukunft offenbar die Planlosigkeit der meisten Ampelschaltungen zur verkehrspolitischen Raffinesse „umfunktionieren“.

Man könnte den neuesten Vorschlag Leopold Gratz' freilich auch als publizistischen „small talk“ abtun, nur dazu bestimmt, wieder einmal Schlagzeilen zu machen, paßte er nicht so fatal zu so vielem, was in letzter Zeit in Österreich, speziell aber in Wien, als verkehrspolitisches Konzept angesehen wird, nämlich das Bestreben, dem Autofahrer das Fahren möglichst zu vermiesen.

Dies beginnt mit dem Abschleppen falsch geparkter Autos zu Luxuspreisen, welches in Wien eine Zeitlang nicht gezielt pädagogisch — nämlich im Extremfall eines wirklich verkehrsbehindernden Abstellens —, sondern systematisch betrieben wurde: Jeden Tag wurde ein anderer Rayon ausgesucht und jedes nicht ganz korrekt geparkte Auto — auch wenn dieses keineswegs den Verkehr behinderte — rigoros abgeschleppt. Glücklicherweise hat der Verwaltungsgerichtshof diesen Mißbrauch einer an sich richtigen Maßnahme doch eingedämmt.

Es setzt sich fort mit der sehr problematischen „Entflechtung“ des Verkehrs durch Schaffung von abgegrenzten Sonderspuren für den öffentlichen Verkehr. Bürgermeister Gratz hat bereits angekündigt, die Mittel aus der geplanten neuen Autosteuer in erster Linie für diesen Zweck einsetzen zu wollen.

Abgesehen davon, daß dies nur in einer beschränkten Zahl von Straßen überhaupt durchführbar ist, kann damit der den heutigen Erfordernissen völlig inadäquate öffentliche Verkehr noch lange nicht saniert werden — dies um so mehr, als der für August geplante neue Horrortarif von zehn Schilling für einen Straßenbahnfahrschein die Attraktivität dieses Verkehrsmittels nicht gerade erhöhen dürfte. Seit 1945 bedeutet dies bereits eine Steigerung auf das Vierzigfache!

Zu der „Vermiesungspolitik“ gehört auch die projektierte Erhöhung des Strafrahmens für Organmandate — auch derjenigen für Falschparken — auf 300 Schilling, eine bundesgesetzliche Maßnahme, auf welche besonders seitens der Gemeinde Wien gedrängt wird. Wir können sicher sein, daß diese auch nicht davon Abstand nehmen wird, den Strafrahmen voll auszuschöpfen und zu kassieren, so viel sie kann.

Nun werden die meisten Parkvergehen ja nicht aus Bosheit oder Faulheit begangen, sondern weil sich der Autofahrer in einer Notsituation befindet und gar nicht anders kann, wenn er seinen Berufspflichten nachkommen will. Den guten Ratschlag, den Wagen zu Hause zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen oder aber die teuren und nicht immer gerade in Reichweite liegenden Parkgaragen zu benützen, kann leicht derjenige geben, dem selbst jederzeit ein Dienstwagen samt Chauffeur und reservierten Parkplätzen zur Verfügung steht.Denn die Zeiten, in denen ein Bürgermeister Körner mit der Straßenbahn ins Rathaus gefahren ist, sind vorbei. Wer es aber heute mit den öffentlichen Verkehrsmitteln versucht, der kehrt meist reumütig ans Volant zurück und nimmt lieber die verstopften Straßen in Kauf.

Die Vermiesungspolitik ist kein Verkehrskonzept. Dafür, daß die Gemeinde Wien mit dem Bau der U-Bahn um 20 Jahre zu spät begonnen hat, soll nun der Autofahrer bestraft werden. Hingegen wird der U-Bahn-bau auch weiterhin sehr halbherzig vorangetrieben, zugunsten solcher Liebkind-Projekte wie Donauinsel und UNO-City vernachlässigt.

Dazu kommt noch das administrative Versagen beispielsweise bei den temporären Absperrungen wegen Bauarbeiten. Daß gegenwärtig Gasrohre ausgewechselt werden, ist zweifellos lobenswert. Daß aber zu diesem Zweck ganze Straßenzüge von Anfang Juni bis Ende Oktober gesperrt werden — alle auf einmal statt einer nach dem anderen —, ist sinfach ein Skandal.

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