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... nicht informiert, sondern manipuliert, geistig geknetet und umgeformt...

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Die Frage steht im Raum: Werden jene Grundwerte, die - über alle weit-anschaulichen Gegensätze hinweg -gemeinsamer Besitz aller Österreicher sind, durch Hörfunk und Fernsehen in diesem Land genug geachtet und gefördert? Ohne gemeinsame Grundwerte kann eine Gemeinschaft auf die Dauer nicht Bestand haben.

Werden im Monopolbetrieb ORF Grundwerte wie Staat, Demokratie, Religion, Freiheit, Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe in ihrer Bedeutung erkannt? Der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Alexander Mitscher-lich hat erst kürzlich gesagt, ohne gemeinsame Wertvorstellungen und ohne das Anerkennen ihres verpflichtenden Anspruchs müsse jede Gesellschaft an ihrem ungehemmten Egoismus zugrunde gehen. Hat nicht der ORF die Aufgabe, diese gemeinsamen Grundwerte abstützen zu helfen, so wie es beispielsweise auch die Schule, bedingt- durch eine verfassungsmäßige Verankerung der Erziehungsziele tun muß?

Das ORF-Gesetz und die Programmrichtlinien des österreichischen Rundfunks scheinen nicht auszureichen,. dieser Anforderung gerecht werden zu können. Ich will mich mit dem überspitzt formulierten Vorwurf, Hörfunk und Fernsehen „verseuchten die Denkwelt unserer Gesellschaft“ vorerst nicht identifizieren, weil man damit übersähe, daß sich ohne Zweifel die Mehrheit der Programmverantwortlichen und der Mitarbeiter im ORF nach besten Kräften bemüht, ihrer Aufgabe zu entsprechen, v

Aber auch die gängige Meinung von der Objektivität des Hörfunks und Fernsehens, die nur ein rein technisches Mittel zur Beförderung von Information und Unterhaltung ein Zuhörer und Zuseher^seien, ist eine gefahrliche Illusion. Tests haben nämlich ergeben, daß zwar Informationssendungen des Fernsehens im Zuschauer oft ein optimales Informationsgefühl vermitteln und sich rund 80 Prozent der Zuschauer „bestens informiert“ fühlen; bei Überprüfung des tatsächlichen Informationswertes der Sendung zeigte es sich jedoch, daß die Fernsehsendung nur für 20 Prozent der Zuschauer einigermaßen verständlich war.

Trifft der Vorwurf nun den ORF oder den Zuschauer? Die Wissenschafter, die den Test durchführten, bestätigen dem Zuschauer größtmögliche Konzentration, besten Willen und intensive Motivation. Wird also das schlimme Ergebnis durch eine besondere Art von Manipulation des Zuschauers bewirkt? Dadurch, daß man über den Bildröhrenkonsumenten ein Füllhorn technischer Tricks und filmischer Gags ausschüttet, daß man den Flimmerkonsumenten mit raffiniertem Augenkitzel überfällt und einen Bilderzauber über ihn hereinbrechen läßt,' der ihn gar nicht merken läßt, daß er eigentlich nicht informiert und eigentlich auch gar nicht unterhalten wird, sondern letzten Endes manipuliert, geistig geknetet und umgeformt: nicht zu jenem neuen Menschen, den wir uns alle wünschen, sondern zur einheitlich geformten Wachsfigur, die über jedem Feuerchen beliebig anders modelliert werden kann.

Sicherlich geschieht die Manipulation nicht mit Absicht. Gerade deshalb ist sie aber besonders gefährlich. Denn der freie und demokratische Staat, den wir gemeinsam schätzen und verteidigen, lebt vom informierten, bewußt entscheidenden Bürger; und dies umso mehr, als für den einzelnen die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge immer weniger durchschaubar werden.

Uber alle weltanschaulichen Gruppierungen hinweg sollte es über diesen Fragenkreis einen Konsens geben. Das Schlagwort von der „Transparenz“ politischen und gesellschaftspolitischen Geschehens sollte nämlich nicht nur von der Politik gelten, sondern auch von jenem Monopolmedium, das über sie berichtet.

Ein Beispiel: nach einem Fernsehinterview traf ich einen Freund! Gestern habe er mich am Bildschirm gesehen, begrüßte er mich. Ob der von mir vertretene gesellschaftspolitische Standpunkt auch seiner gewesen sei, fragte ich ihn. Eigentlich wisse er nicht mehr so genau, was ich gesagt habe, antwortete er, aber er habe sich gefreut, mich im Fernsehen zu sehen, er habe auch gleich seine Frau geholt, die in der Küche gewesen sei, damit auch sie mich sehen könne...

Was ich damit sagen will? Im Programmauftrag des ORF heißt es, der staatliche Monopolbetrieb Hörfunk-Fernsehen mit seinen mehr als 3000 Angestellten habe die Aufgabe, für „umfassende Information“ zu sorgen. Umfassende Information: das heißt wohl, daß die durch den ORF vermittelten politischen Hintergründe und Zusammenhänge für alle Zuschauer und Zuhörer einsehbar, speicherbar und anwendbar sein müßten. Aber bei wievielen Sendungen ist das wirklich der Fall? Es scheint geradezu das Gegenteil zu sein: daß eine Sendung umso mehr den Informationswert unterdrückt, je gefalliger sie ist. Wo bleibt da im ORF die wirklich umfassende Information im Sinne der Programmrichtlinien? Sollte man sich nicht doch in den verantwortlichen Gremien mehr anstrengen, sie zu erreichen? Sind die bisherigen Bemühungen schon ausreichend?

Die demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Machtgebilde steht heute außer Diskussion. Brauchen wir nicht auch mehr effektive demokratische Kontrolle im ORF - oder eine Art von Kontrolle, die mit Zensur nichts zu tun hat, sondern Grundwerte in den Vordergrund des Programm-Interesses stellt?

Wir reden immer vom „Wertzerfall“ in unserer Gesellschaft Wertzerfall gibt es dort, wo man nicht einsieht, daß es in einer Gesellschaft eine zweifache Art von Kontrolle geben muß. Eine Kontrolle, die hilft, den Menschen von unmenschlichen und undemokratischen Traditionen zu befreien; und eine Kontrolle, die immer wieder darauf hinweist, daß es in einer Gesellschaft auch allgemeingültige und bindende Grundwerte geben muß.

In diesem Sinne geht es heute um den Bestand des Staates und der Gesellschaft schlechthin. Heute geht es nicht mehr um die Form der Gesellschaft Heute geht es um den Bestand der Demokratie. Heute geht es nicht mehr um den wechselseitigen Freiheitsraum von Kirche und Staat, von Seelsorge und Politik. Heute geht es um die Existenzberechtigung des Religiösen in der Öffentlichkeit Heute geht es nicht mehr darum, daß jeder einzelne sein Leben so leben kann, wie er selbst will. Heute geht es bereits um das Recht, als Mensch so leben zu können, daß man es vor seinem Gewissen verantworten kann.

Uber das ORF-Gesetz und die Programmrichtlinien hinaus sollten sich in der Verwirklichung von Grundwerten im ORF, meine ich, alle Verantwortlichen in diesem Staate einig sein. Die gemeinsame Basis an Grundwerten wäre es wert, zu einer Ubereinstimmung zu kommen, die bestehende gesetzliche Formulierungen positiv auswertet.

Daß es einen solchen Konsens in den Grundwerten geben kann, zeigte erst kürzlich die Berichterstattung über den Terrorismus in Österreich. Da wurde keine Zensur geübt, aber in der gemeinsamen Sorge um den Weiterbestand dieses Staates fanden sich verantwortungsbewußte Journalisten und Politiker plötzlich auf einem gemeinsamen Weg.

Justizminister Christian Broda rüttelt bei der Durchsetzung seiner Ideen im Bereich von Ehe und Familie an einem Grundwert des Staates, man sollte in diesem Zusammenhang aber auch nicht vergessen, daß es Dr. B roda war, der die „stimulierende Berichterstattung mancher Medien über Gewalt und Brutalität als letztlich menschenunwürdig“ bezeichnete. Könnte man sich nicht, ausgehend von dieser Aussage, auf Grundwerte in Information und Unterhaltung des ORF einigen, die das Meinungsklima der Gesellschaft positiv beeinflussen?

Die Denkwelt unserer Gesellschaft darf nicht verseucht werden. Diese Sorge sollte allen weltanschaulichen Lagern gemeinsam sein. Man sollte dieses Problem daher auch gemeinsam diskutieren: nicht radikaler:Änderung wegen, nicht um an parteipolitischen Gesichtspunkten hängen zu bleiben, sondern um eine gemeinsame Auffassung über die positive Verwirklichung der Grundwerte in den Programmen des ORF zu finden. Letztlich bin ich überzeugt, orientieren sich alle Menschen aus den großen weltanschaulichen Lagern Österreichs an gemeinsamen Grundwerten und wollen sie auch verteidigen. Man sollte daher den Konsens auch in dieser Frage suchen. Ohne diese Übereinstimmung werden wir nämlich Friede und Ordnung, Zufriedenheit und Glück in unserem Staat nicht aufrecht erhalten können.

In einer Denkschrift an die Bischöfe Österreichs drückte kürzlich Direktor Eduard Ploier in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Katholischen Aktion seine Besorgnis über die Behandlung der Grundwerte im Medienbereich aus. Dies war für die FURCHE Anlaß, ihn um einen Beitrag zu bitten.

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