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Nicht jede Bildung ist durch Zeugnis belegbar

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Wenn man heute von überall und immer mehr Bildung verlangt, dann entspricht dies gewiß den Anforderungen, die das Leben an uns stellt. Ständig stehen wir vor neuen Situationen, neuen Fragen und Problemen. Das Wissen und Können, das wir von unseren Eltern überliefert bekommen, reicht schon längst nicht mehr aus, um unseren Aufgaben gewachsen zu sein. Aber auch die perfekteste Schule und die besten Lehrer können unmöglich, sozusagen vorwegnehmend und in bester Voraussicht, dem jungen Menschen all das mitgeben, was er vielleicht auf Grund völlig neuer Gegebenheiten einmal brauchen könnte.

Eine Bildungsreform, die die Schule wohl als einen umfassenden und grundlegenden Bestandteil miteinbaut, sich aber zumindest in zweifacher Richtung ausweitet, wird unumgänglich notwendig werden. Zunächst gilt es, mit dem strapazierten Schlagwort „education permanente“, der permanenten, lebenslangen Bildung, dergestalt ernst zu machen, daß man noch gründlichere Überlegungen als bisher anstellt, in welcher Weise es dem Menschen ermöglicht werden kann, in einem höheren Ausmaße be-rufs- und lebensbegleitend an organisierten, längerdauernden Lernprozessen teilnehmen zu können.

Die Bildungsfreistellung, oder wie sie fälschlich immer wieder bezeichnet wird, der Bildungsurlaub muß durchaus nicht die einzige Möglichkeit sein. Zweifellos sind hier eine ganze Reihe von Problemen zu lösen und mit Forderungen allein ist sicher nichts getan. Man kann sich jedoch des Eindruckes nicht erwehren, daß man aas den bisherigen vielfach festgefahrenen Geleisen des Bildungswesens nicht herausfindet. So muß man zwangsläufig in der Bildungsfreistellung eine zusätzliche Belastung sehen und nicht eine Forderung nach Umstrukturierung im Bildungssystem überhaupt.

Die andere Ausweitung einer über die Schule hinausgehenden Bildungsreform betrifft den Bildungsbegriff selbst. Statt daß die Erwachsenenbildung neue Wege aufzeigt, neigt sie selbst dazu, ihre Tätigkeit immer mehr unter schulischen Aspekten zu sehen und zu betreiben. Bildung in ganz ernst zu nehmendem Sinn kann nicht nur durch schulische Prozesse erreicht werden. Es gibt sogar sehr entscheidende Bereiche im menschlichen Leben, wie Ehe und Erziehung, aber auch Moral, Weltanschauung und Religion, die sich weithin schulischen Lernprozessen überhaupt entziehen. Nun gehören ohne Zweifel klare Lernschritte und Kontrolle des Lernfortganges zu einer zeitgemäßen, zukunftsorientierten Erwachsenenbildung. Bedenklich stimmt es jedoch wenn vielfach die Kriterien eines, etwa des beruflichen Bereiches, einfachhin als das Geltende erklärt werden.

Bedenklich wäre es außerdem, wenn nur als Bildung gelten könnte, wofür man Zertifikate erwerben kann. Auf diesem Weg wird sich die längst notwendige und noch immer nicht völlig vollzogene Integrierung von Ausbildung und Schulung in den Bildungsbegriff nicht vollziehen können, sondern lediglich eine Verkürzung des Bildungsbegriffes auf Schulung stattfinden.

Alle diese Bemühungen werden jedoch kaum weiterführen - und das wissen wir zur Genüge aus jenen Ländern, in denen die Bildungsfreistellung bereits gesetzlich verankert ist und auch sonst die Erwachsenenbildung organisatorisch besser ausgebaut ist. Wenn es nicht gelingt, die Menschen selbst auf die Notwendigkeit einer ständigen, für sie adäquaten Weiterbildung zu überzeugen.

Auf die drohende Gefahr einer Krise, sollte dies nicht gelingen, haben Bildungsfachleute wiederholt hingewiesen. Dieser Gefahr kann nur wirksam begegnet werden, wenn eine tiefgreifende und umfassende Bildungsreform Hand in Hand geht mit einer persönlich stärkeren Motivierung der Bevölkerung. Pflichtveranstaltungen für Erwachsene sind auf keinen Fall eine Lösung. Vielmehr ist das Zusammenwirken vieler Kräfte - wissenschaftlicher, politischer, kirchlicher und sonstiger - nötig. Eine besondere Rolle kommt gerade dabei sicherlich den Massenmedien zu. Von ihnen werden rationale Argumente wie emotionale Animationen eher angenommen, als von „übergeordneten Institutionen“. Ziel wäre die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem ständige Weiterbildung geradezu als Kennzeichen für den modernen Menschen gilt.

Von dieser Basis aus scheinen Detailüberlegungen darüber angebracht, welche konkreten Aufgaben für die Erwachsenenbildung in den nächsten Jahrzehnten erwachsen. Man kann sich hier durchaus Forderungen ansehließen, die da heißen:

• verbesserte Bildungsinformation und Bildungsberatung für Erwachsene,

• Untersuchungen über Bildungsbedürfnisse und Bildungserwartungen und Barrieren,

• Schaffung einer verbesserten Infrastruktur, also vor allem Bau- und Ausbau von Bildungshäusern, Kulturzentren, Büchereien und Freizeiträumen,

• Erhöhung der Zahl der hauptberuflichen Mitarbeiter,

• weitere Verbesserung der Methoden,

• Verbesserung des Bildungsmanagements,

• intensivere Ausbildung der Erwachsenenbildner.

Dazu müßte man wohl noch ergänzen, daß eine besondere Sorge der Förderung der kreativen Fähigkeiten und der sorgsamen Pflege emotionaler Tiefenschichten des Menschen gelten sollte. Viele Krankheiten unserer Zeit haben wahrscheinlich in der Verkümmerung dieser Bereiche ihre Ursache. Nicht zuletzt dürften von daher auch die Möglichkeiten sinnvoller Freizeitgestaltung eher aufzuspüren sein als durch ein bloß quantitativ vermehrtes Veranstaltungsangebot. Wie überhaupt den tiefsten Anliegen, Sorgen und Problemen des heutigen Menschen nicht einfach durch eine Perfektionierung des menschlichen Verstandes Rechnung getragen werden kann.

Immer lauter und beharrlicher wird die Frage nach dem Sinn des Ganzen, die Frage nach dem Warum und dem Wozu. Das Gefühl der Sinnlosigkeit scheint die Zeitkrankheit schlechthin zu sein. Von daher eröffnet sich der eigentliche und weiteste Horizont zukunftsorientierter Erwachsenenbildung überhaupt. Wenngleich hier sich besonders der kirchlichen Bildungsarbeit eine vordringliche Aufgabe stellt, so dürften auch alle anderen Träger von Erwachsenenbildung am tiefsten Aspekt menschlicher Bildung nicht vorbeisehen.

(Der Autor ist Leiferdes katholischen Bildungswerks der Diözese Linz und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Kuratorium des ORF.)

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