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„Nicht jeder Jude ist ein Menachem Begin'

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„Splitterbomben statt ,Mischpoche' und ,Zo-res”\ so der Titel eines Artikels von Hans Weigel in der FURCHE Nr. 35, in dem dieser in scharfer Weise mit Menachem Begin, Israel und seiner Politik ins Gericht ging. Hier antwortet ihm nun ein in Tel Aviv lebender Israeli: FURCH E-Korrespondent Schraga Har-Gil.

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„Splitterbomben statt ,Mischpoche' und ,Zo-res”\ so der Titel eines Artikels von Hans Weigel in der FURCHE Nr. 35, in dem dieser in scharfer Weise mit Menachem Begin, Israel und seiner Politik ins Gericht ging. Hier antwortet ihm nun ein in Tel Aviv lebender Israeli: FURCH E-Korrespondent Schraga Har-Gil.

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Mit viel Nostalgie habe ich die Abschiedselegie des Herrn Hans Weigel an das 19. Jahrhundert und seine österreichischen Juden gelesen. Mit Leichtigkeit könnte man auch die deutschen Juden hinzufügen, und das Bild hätte sich nicht verändert. Gern würde ich mich in jene Zeit zurückversetzen, wenn ich dazu alt genug wäre. Doch die jüdischen Witze und der Idealismus des 19. Jahrhunderts wurden im 20. Jahrhundert durch Hitler und seine Mitläufer zynisch zerstört.

Und als der Holocaust überstanden war und sich die Uberlebenden wieder sammelten, entstand die bittere Frage: Wohin? Nur die wenigsten der deutschen und österreichischen Juden hatten den Mut oder den Wunsch, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, auch wenn ihre Väter und Vorväter dort gelebt hatten. Denn sie konnten es nicht verkraften, den potentiellen Mördern und deren Mithelfern, Mitwissern am Mord ihrer Familien tagtäglich in die Augen blicken zu müssen, ohne dabei unwillkürlich immer wieder an die Tragödie erinnert zu werden.

Ein Teil dieser Juden ist damals und schon vorher nach Palästina gegangen in der Hoffnung, als Gleiche unter Gleichen zu leben. Doch der Zionismus, von dem Hans Weigel träumt, der starb in den Gaskammern von Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern. Nicht aus Idealismus kamen Juden nach Palästina, sondern weil die meisten hier ein besseres Leben erwarteten als woanders.

Doch im Laufe der Jahre haben diese Juden eine eigene Mentalitat und ein eigenes Selbstbewußtsein entwickelt. So sind sie heute nicht mehr stolz, wenn irgendein Dirigent wie Lorin Maazel oder ein Regisseur wie Leopold Lindt-berg mosaischen Glaubens sind. Wenn die heutigen Israelis auf jemanden stolz sind, so sind sie es auf einen Künstler von Rang aus Israel, der hier auch seine künstlerische Karriere gemacht hat.

Seit 1948 haben die Juden einen eigenen Staat und sind auf seine Leistungen, die zum Teil ihrer Geschichte wurden, stolz. Uns war es völlig unwichtig, ob man die Juden in der Diaspora in Witzen als Feiglinge darstellte oder nicht. Österreicher oder Deutsche, die sich an den Judenvernichtungen beteiligt hatten, können das ja nicht als Heldentat hinstellen.

Aber das soll nicht bedeuten, daß ich als Israeli alle Deutschen, Österreicher in einen Topf schmeißen will. Denn solche Verallgemeinerungen verfehlen immer ihr Ziel und spielen in Wirklichkeit nur hartgesottenen Nazis in die Hände, wo immer die auch zu finden sind.

Solche Verallgemeinerungen hatten gerade immer Antisemiten aller Schattierungen angewandt: Wenn irgendein Jude jemanden betrogen hatte, waren eben alle Juden Betrüger. Oder wenn sich irgendein Jude vor dem Militär drückte, waren alle Juden Drük-keberger.

Und wenn irgendein Jude Hans Weigel ist, so sind es wieder alle Juden? Und deswegen drängt es mich, Ihnen, Herr Weigel, zu antworten, obwohl ich Sie weder kenne noch Ihre künstlerischen Qualitäten anzweifle. Davon soll hier auch gar nicht die Rede sein. Als Künstler werden Sie von den Antisemiten einfach als Österreicher betrachtet, ebenso wie ein Albert Einstein als Deutscher galt und Christus als Weltheiliger.

Innerhalb der zionistischen Bewegung hat es lange vor der Staatsgründung 1948 eine Diskussion gegeben, wie groß dieser zu gründende Staat sein soll und wie man diesen schaffen kann. Wladimir Jabotinsky, Menachem Be-gins großer Mentor, prägte bereits vor Hitler die bekannte Losung „Mit Blut und Feuer ist Juda gefallen, mit Blut und Feuer wird es erstehen!”

Doch war nicht jeder Jude Jabotinsky, so wie heute nicht jeder Jude ein Menachem Begin ist. Trotzdem, Herr Weigel, halte ich es für eine Unterstellung der schlimmsten Sorte, Begin mit den Welthalunken Mussolini, Hitler, Beria und Eichmann zu vergleichen.

Sollten Sie sich dazu herablassen, manchmal meine Artikel zu lesen, können Sie sich davon überzeugen, daß ich bestimmt kein Begin-Anhänger bin beziehungsweise seinen Regierungsstil schätze. Begin hat dem jüdischen Volk Schaden zugefügt durch seine Politik, die vielleicht einmal zum Verderben des Judenstaates führen kann. Doch bis zu einem Hitler, sollten Sie, Herr Weigel, wissen, ist es noch sehr weit.

Ich sehe in Begin einen politischen Gegner. Und da fast die Hälfte des Staates gegen ihn ist, werden weder er noch seine Bundesgenossen ewig sich am Regierungsruder halten können. Menachem Begin (auch in den heißesten Sommertagen immer in Krawatte und Anzug) verkörpert bestimmt nicht jenes Israel, das wir angestrebt und für das wir gekämpft haben. Die Zeit bleibt nicht stehen, und vieles kommt eben nicht so, wie man es geplant hat.

Doch Ihre weitere Unterstellung, daß ein „Staat, der Jerusalem als Hauptstadt beansprucht und auf dessen Staatsgebiet Golgatha liegt”, grenzt an Ignoranz. Jerusalem ist seit Staatsgründung 1948 die Hauptstadt Israels. Jerusalem war von eh und je die Hauptstadt der Juden.

Wenn es eine Diskussion über Jerusalem gibt, so nur darüber, ob bei Bildung eines Palästinenserstaates beziehungsweise einer Autonomie das arabische Ostjerusalem im Rahmen einer gemeinsamen Stadtverwaltung ein Teil des Palästinenserstaates oder Autonomie bilden soll.7Doch an der Tatsache, daß Jerusalem Israels Hauptstadt ist, hat bisher kein Israeli gezweifelt, genauso wie es wohl kaum einem Österreicher einfallen würde, statt Wien, sagen wir, Klagenfurt zur Hauptstadt auszurufen.

Eine weitere Ihrer Blüten lautet: „Die hebräische Sprache ist die Sprache der Splitterbomben auf Frauen und Kinder.” Wirklich, Herr Weigel? Dann wäre ja Deutsch nur die Sprache der Gaskammern, Englisch nur die Sprache der Atombomben und Russisch nur die des Gulag___

Menachem Begin hat nicht die Bibel außer Kraft gesetzt, wie Sie schreiben; die Bibel besteht — ganz gleich, wer sie zitiert oder sie falsch oder richtig interpretiert. Denn die jahrtausendealte Bibel wird sowohl einen Begin als auch einen Hans Weigel überleben.

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