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Nicht kapitulieren — agieren

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Vor fast fünf Jahren, zum Genfer Salon 1968, hatten etwas über zwei Dutzend Autokonstrukteure aus mehreren Ländern der Welt feierlich versprochen, sich der Sicherheit unserer Fahrzeuge besonders anzunehmen. Gewiß, manches ist sowohl in punkto aktiver als auch passiver Sicherheit geschehen. Einige Typen sind verkehrssicherer geworden, aber von einer koordinierten Aktion sieht man nichts, die berühmte „WP 29“ (eine Gruppe von Experten, die auf internationaler Ebene in Sachen Autosdcherheit arbeitet) hat noch keine spektakulären Ergebnisse gezeitigt. Kürzlich taten sich wieder

— diesmal nur sieben — Autogewaltige (je ein Italiener und Engländer, drei Franzosen und zwei Deutsche), die Chefs der größten europäischen Autofabriken, zusammen, um ein „Komitee der Autokonstrukteure der EWG“ mit dem Ziel des Erfahrungsaustausches, der Grundlagenforschung und der Ausarbeitung einheitlicher technischer Vorschriften (!) zu bilden. Die Ergebnisse dieser Bestrebungen sollen den einzelnen Regierungen und beruflichen Organisationen zugeleitet werden. Die Beschränkung auf „Sieben Weise“ (und Mächtige) ist gegenüber dem ersten Versuch zweifellos ein Fortschritt, nur: damals, 1968, war die Sicherheit das alleinige Ziel der Kooperation. Diesmal ist neben den Straßenverkehrsunfällen (lies Sicherheit der Autos, denn nur diese kann Autokonstrukteure im Zusammenhang mit Unfällen interessieren) auch das ungemein große, weltweite und noch dazu sehr umstrittene Gebiet des Umweltschutzes mit einbezogen worden.

Selbst wenn wir annehmen wollen, daß diese sieben Männer- der- Praxis— in vernünftiger Zeit Ersprießliches leisten werden — im Augenblick, da die Regierungen einzelner Staaten befaßt werden, dürften die Vorschläge und Empfehlungen — mehr ist im Anfang ja nicht zu erwarten

— für Jahre in den Schubladen verschwinden. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zwingen zu dieser Annahme. Dazu kommt die bestürzende Tatsache, daß sich sogar Experten über grundsätzliche Fragen nicht einigen können: Erst kürzlich fanden in der Schweiz, und vor-her in den USA und in Deutschland, Tagungen in Fragen Sicherheit und Umweltschutz statt, wobei sich her- : ausstellte, daß „keine gesicherten Ergebnisse über die Schädlichkeit des Bleigehaltes im Benzin für die i menschliche Gesundheit vorliegen“, i Fachleute, wohlgemerkt, Professoren i an Hochschulen, Vorstände von For- ! schungsinstituten, stellen einander : widersprechende Behauptungen auf: : die einen meinen, es sei fünf Minu- : ten vor zwölf in Fragen der Luft- ' Verschmutzung (wobei die Zahlen- ' angaben, inwieweit das Auto, die In- : dustriesehlote oder der Hausbrand ] an ihr beteiligt sind, oft stark diffe- i rieren) und daß wir alle in Kürze ; eines qualvollen Erstickungstodes sterben müssen, andere bezeichnen ( solches als Hysterie und nur an we- , rügen Punkten der Welt, etwa in Los , Angeles mit seinen einmaligen Ver- ■ hältnissen, sei über die unange- 1 nehme Geruchsbelästigung hinaus, i die von niemandem geleugnet wird, 1 eine wirkliche Gefahr für die Men- ^ sehen gegeben.

Die Beispiele ließen sich beliebig i erweitern: Die einen — immer sind i es kompetente Leute und nicht i „irgend jemand“ sehen in den , Spikes den Feind Nr unserer Straßen, andere behaupten, die Schädenseien minimal und könnten in Hinblick auf die erhöhte Sicherheit auf i vereisten Straßen hingenommen werden. Die einen schwören auf Geschwindigkeitsbeschränkungen, andere verdammen sie. Es gibt fer- i ner in der Schweiz eine Gruppe seriöser Männer, die seit vielen Jahren die Rechtslenkung im Rechtsverkehr propagieren und ihre Theorie in einem umfangreichen Buch wissenschaftlich untermauert haben, aber es gibt auch sehr angesehene Autofachleute, die für diese Idee bestenfalls ein mitleidiges Lächeln übrig haben.

Soll man angesichts dieser Tatsachen also kapitulieren? Die Flinte ins Korn werfen? Sich mit 200.000 Verkehrstoten pro Jahr in aller Welt, mit den Millionen Verletzten und Verkrüppelten, mit den Milliarden an wirtschaftlichen Schäden, mit der Umweltverschmutzung und dem Lärm abfinden? Sollen wir resigniert die Waffen strecken, weil wir — leider — erkennen müssein, daß es in absehbarer Zeit keine echten Sicherheitsautos geben kann, denn sie wären viel zu teuer und viel zu schwer, daß es für die nächsten zehn Jahre keine Alternativen zu unseren jetzigen Autos, etwa allgemein verwendbare Elektroautos, geben wird? Daß die „Umstellung auf öffentliche Verkehrsmittel“ ein jahrelang dauernder, wenn überhaupt realisierbarer Prozeß ist?

Mitnichten! Das Warten, bis uns Vater Staat, die Autofabriken oder sonst wer helfen werden, ist sinn-und zwecklos. Jeder von uns, ob autofahrender oder zu Fuß gehender Straßenbenützer, ob Tramwayschaff-ner oder Kutscher, Radfahrer oder wer immer, kann zur Hebung der Verkehrssicherheit, zur Verringerung der Umweltverschmutzung, zur Linderung der Lärmplage wesentlich beitragen, er muß es nur ernstlich wollen, muß den normalen Hausverstand benützen, muß dem banalen, aber goldrichtigen Sprichwort nachleben: „Was du nicht willst, daß man dir tu'...“, mit anderen Worten, weniger an sich und mehr an die anderen denken, wie es sich übrigens gerade jetzt, vor Weihnachten, gehört.

Jetzt müßten folgerichtig die Ratschläge kommen, was man als einzelner Verkehrsteilnehmer tun oder lassen sollte. Wenn wir uns auf die Autofahrer beschränken und nur ein paar wenige Beispiele aus dem umfangreichen Komplex anführen wollen, beginnend bei der wörtlich und im übertragenen Sinne gemeinten „Rücksicht, Vorsicht und Nachsicht“, über das jederzeit geübte Bestreben, äurch striktes Rechtsfahren die Straßen kostenlos breiter zu machen, über die vom Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) oft propagierte Einsicht, daß es im Nebel wichtiger ist, gesehen zu werden, als selbst zu sehen, bis zur paradox scheinenden ratsache, daß „wärmeres Eis“ (bei remperaturen knapp über dem Gefrierpunkt) glatter und somit gefährlicher ist als tiefgekühltes. Auch das svar einer Aussendung des KfV jüngst :u entnehmen.

Und hier fällt ein Stichwort für sinen ganz allgemeinen Wink: Nutten wir doch eine Besonderheit der ist er reichischen Tages- und Wochen-seitungen: jede, die etwas auf sich lält, führt eine regelmäßig erschei-lende Autorubrik, in welcher Exper-;en, erfahrene Meister vieler Wett-Dewerbe, alles Männer der Praxis, 'einer sehr gut informierte Pesse-eute der Kraftfahrerverbände und ies Kuratoriums zu Worte kommen and wertvolle Winke für Anfänger ind Fortgeschrittene gelben. In ked-lem mir bekannten Lande tun die informationsmedien, einschließlich Rundfunk und Fernsehen, soviel für lie Hefbung der Verkehrssicherheit wie bei uns. Es vergeht kein Wochenende, an dem nicht das lebens-;efährliche Ignorieren von Verkehrsleichen, das Fahren unter Alkohol-jinfluß, das leichtsinnige Überschreien von Geschwindigkeitslimits, das emotionelle Reagieren auf Verkehrs-situationen, aber auch das gedankenlose, wiederholte Zuschlagen von Autotüren, die geradezu idiotische Raumverschwendung beim Einparken gegeiselt würden.

Die Motorjournalisten dürften nie müde werden, oft Gepredigtes für die Vergeßlichen und für die Neulinge immer aufs neue zu wiederholen und die Leser sollten, ob „alte Hasen“ oder Anfänger, ob motorisiert oder nicht, sich zu Herzen nehmen, was ihnen an Erfahrungen und guten Ratschlägen für ein paar Schilling ins Haus geliefert wird, nicht nur jetzt, da es üblich ist, mit guten Vorsätzen ein neues Jahr zu beginnen, sondern die ganzen kommenden Jahre hindurch. Eltern müssen ihren Kindern mit gutem Beispiel vorangehen, der Straßenverkehr dürfte nie zum Abreagieren aufgestauter Aggressionen oder sportlicher Ambitionen herabgewürdigt werden, nüchtern im weitesten Sinne des Wortes, und emotionsfrei, aber doch mit Phantasie in bezug auf alles, was geschehen könnte, müssen wir ständig an uns arbeiten. Autofahren ist Charaktersache, die steigende Verkehrsdichte verlangt von uns immer größere Disziplin. Und wenn durch diese Zeilen nur ein Zehntal Prozent der rund zweitausend jährlichen Verkehrstoten Österreichs gerettet werden könnte, ja selbst wenn es nur die Hälfte wäre (dann ist es eben „nur“ einer), vielleicht Sie oder ich, oder jemand, der uns nahe steht — dann hätten sie ihren Zweck vollauf erfüllt.

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