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Digital In Arbeit

Nicht mehr als eine Fragestunde

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Alle Jahre wieder läuft ein parlamentarisches Ritual mit großem Zeitaufwand ab: die Budgetberatungen. Welchen Sinn haben sie -wenn sich ohnehin nichts inhaltlich ändert?

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Alle Jahre wieder läuft ein parlamentarisches Ritual mit großem Zeitaufwand ab: die Budgetberatungen. Welchen Sinn haben sie -wenn sich ohnehin nichts inhaltlich ändert?

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Es ist knapp vor 15 Uhr. Der Nationalrat debattiert die Budgetkapitel Justiz und Inneres. Auf der langen Regierungsbank unter dem Präsidium halten einsam Justizminister Christian Broda und Innenminister Erwin Lanc den Posten.

„Habt's schon Urlaubsverlängerung?", fragt SPÖ-Klubob-mann Heinz Fischer den stellvertretenden ÖVP-Fraktionsführer Robert Graf, auf die schütter be-• setzten Oppositionsbänke anspielend, über Fraktionsreihen hinweg scherzhaft, um selbstkritisch-launig hinzuzufügen: „Wir auch."

Nur 31 Volksvertreter, der Redner schon mitgezählt, sind im Sitzungssaal, etwa acht Dutzend Zuschauer auf der Galerie.

Die Journalistenlogen sind symbolisch besetzt: eine Vertreterin der Austria Presse Agentur folgt aufmerksam der Debatte. Und in einer der Glaskabinen harrt nimmermüd ein Hörfunkredakteur auf Horchposten aus.

Eine Momentaufnahme der Budgetberatungen, des Höhepunkts der parlamentarischen Arbeit eines Jahres — wie es offiziell heißt.

Alle Jahre wieder läuft dieses parlamentarische Ritual ab: mit großem Zeitaufwand. Uber acht Wochen nimmt jeweils die Behandlung des Haushaltsvoranschlages für das kommende Jahr in Anspruch.

Den Auftakt bildet die Budgetrede des Finanzministers, heuer am 20. Oktober, den Ausklang die Schlußabstimmung, diesmal am 17. Dezember. Dazwischen liegen sieben Tage, an denen das Budget im Plenum des Nationalrates diskutiert wird, und — über zwei Wochen verteilt — acht Tage, an denen im parlamentarischen Finanz- und Budgetausschuß der Haushaltsentwurf des Finanzministers zur Beratung steht.

Für die Abgeordneten aller Fraktionen ist das längst Routine. Die Rollen sind verteilt: hie Regierungspartei, da Opposition. Die Verfahrensregeln unserer parlamentarischen Demokratie schließen jede überraschende Wendung aus. Und das Ergebnis steht schon vor Eintritt in die Beratungen fest. Welchen Sinn haben sie dann — wenn sich am Budget nach achtwöchigem Uberlegen ohnehin nichts ändert?

Für Kurt Mühlbacher, den sozialistischen Obmann des parlamentarischen Budgetausschusses, ist es ein Formalakt. Vor Beginn der Beratungen werde der Haushaltsvoranschlag SPÖ-in-tern abgeklärt. „Dann wird das Budget verteidigt, die Beschlüsse werden durchgezogen."

Sie durchzurechnen, wäre rühmlicher. Dann könnten auch SPÖ-Parlamentariern einmal Fehler in der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung auffallen, die in Summe regelmäßig Jahr für Jahr das Budgetdefizit hinaufschnellen lassen. Budgetberater Mühlbacher, im Zivilberuf Betriebsberater, konnte und kann keine Fehler ausmachen. Steigt das Defizit, „dann haben wir uns alle verrechnet", erklärt er die Milliarden-Irrtümer.

Trotzdem hält er die Beratungen im Ausschuß für „sehr wichtig, weil das der Opposition Gelegenheit gibt, von den Ministern das zu erfragen, was ihr wesentlich erscheint".

Das ist auch für den ÖVP-Ab-geordneten Fritz König, Schriftführer im Budgetausschuß, das, was die Sitzungen noch sinnvoll macht: „Dort haben wir als Opposition ziemlich die einzige Gelegenheit, die zuständigen Ressortminister unmittelbarzu befragen und unmittelbare Antworten zu bekommen."

Sonst ist im parlamentarischen Ablauf das Frage-Antwort-Spiel derart ritualisiert, daß kaum spontan ein Thema aufgegriffen werden kann — sieht man vom schweren Geschütz der Dringlichen Anfrage ab.

Doch das geschieht praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Was den politischen Direktor des ÖVP-Klubs, Kurt Bergmann, überlegen läßt, „ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Hearings öffentlich zu machen". Er glaubt, daß „nach den Wahlen die Zeit wieder reif ist", sich über eine Verbesserung der Geschäftsordnung den Kopf zu zerbrechen.

Das Bürger-Unbehagen an der Parlamentsarbeit gehe teilweise auch auf das Konto der Medien, meint Bergmann: „Sie haben es nicht geschafft, zu erklären, was im Parlament wie vor sich geht."

Die Sphaukämpfe mit Schlagworten im Plenum, die vermittelt werden, erinnern an schlechtes Schulbeispiel: vorne redet einer — und keiner hört zu.

Die Volksvertreter „argumentieren ohne Echo, nicht um zu überzeugen, sondern um sich gegenüber den Wählern zu rechtfertigen'' (Bergmann). Und König verweist auf die sonst kaum gebotene Möglichkeit, „auch lokale Probleme anzuschneiden und sie öffentlich zu machen".

An den langen Abenden der Budgetdebatte kommt die Stunde der Hinterbänkler.

Allerdings: Eine Beratung im Sinne einer Veränderung oder Verbesserung des Budgets findet in den acht Wochen nicht statt. Deshalb konnte auch Heinz Fischer der ÖVP vorhalten, daß das von ihr kritisierte Budget nicht so schlecht sein könne, sonst hätte die Opposition ja Abänderungs-anträge vorlegen müssen.

Für Stephan Tull, seit seinem Bruch mit der SPÖ „wilder" Abgeordneter, geht dieser Vorwurf ins Leere: Abänderungsanträge der Opposition haben keinerlei Chance auf Berücksichtigung. Und Tull weiß, wovon er spricht: Er war ein Jahrzehnt sozialistischer Vorsitzender des parlamentarischen Finanz- und Budgetausschusses.

Um wirklich das Budget beraten und seinen Vollzug kontrollieren zu können, sollte seiner Meinung nach, ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, ein ständiger Haushaltsausschuß geschaffen werden. Nur so wäre es auch möglich, die verfassungsmäßige Budgethoheit des Nationalrates wieder mit Leben zu erfüllen.

FPÖ-Fihanzsprecher Holger Bauer, ebenso damit unzufrieden, wie die Budgetberatung derzeit verläuft, hält dies für einen „über-legenswerten Reformansatz", wenn zusätzlich „der Apparat des Parlaments so verbessert wird, daß die Abgeordneten nicht nur von der Regierungsbürokratie abhängig sind". Auch für eine Teilöffentlichkeit der Beratungen könnte er sich, im Gegensatz zu Mühlbacher, erwärmen.

Eine Neuordnung liegt im Interesse der Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie. Starres Ritual macht sie nicht lebendiger.

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