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Digital In Arbeit

Nicht mit der Methode die Inhalte übernehmen

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Eine Anfrage der lateinamerikanischen Ordensoberen und eine weltweite Umfrage bei den Marxismus-Experten des Jesuitenordens waren dem im folgenden auszugsweise wiedergegebenen Rundschreiben des Generaloberen vorausgegangen. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, ob ein Christ sich die marxistische Analyse zu eigen machen sollte. Die Aussagen sind so allgemeingültig, daß sie überden lateinamerikanischen Raum hinaus Bedeutung haben.

Es scheint mir zuerst einmal, daß wir für unsere Gesellschaftsanalysqteine gewisse Anzahl methodologischer Gesichtspunkte übernehmen können, die mehr oder weniger aus der marxistischen Analyse stammen, unter der Bedingung, daß wir ihnen keinen exklusiven Charakter einräumen: so z. B. die Aufmerksamkeit auf ökonomische Faktoren, auf Eigentumsstrukturen, auf ökonomische Interessen, die hinter Handlungen gewisser Gruppen stehen ...

In der Praxis ist es allerdings selten, daß die Anwendung der „marxistischen Analysen“ lediglich die Anwendung einer Methode oder eines „Zugangs“ bedeutet; im allgemeinen wird damit auch der eigentliche Inhalt der Erklärungen übernommen, die Marx für die soziale Wirklichkeit seiner Zeit gegeben hat, und auf unsere Zeit angewandt.

Hier ist eine erste Bemerkung am Platz: In der Sozialanalyse kann es keinerlei a priori geben; es kann Hypothesen und Theorien geben, aber alles muß geprüft, nichts kann einfach vorausgesetzt werden.

Tatsächlich kommt es vor, daß man die Marxistische Analyse oder Elemente derselben als a priori verwendet, so als ob sie nicht mehr auf ihre Richtigkeit geprüft, sondern höchstens illustriert werden müßten.

Manchmal verwechselt man sie zu Unrecht mit der Option des Evangeliums für die Armen; doch besteht hier sicherlich kein direkter Zusammenhang. Wir müssen bei ökonomischen und soziologischen Erklärungen stets die Dinge genauestens prüfen und nach vorbildlicher Objektivität trachten.

Nach Meinung vieler Christen, die selber der marxistischen Analyse positiv gegenüberstehen, impliziert dieselbe zwar weder den „dialektischen Materialismus“ und noch weniger den Atheismus, wohl aber den „historischen Materialismus“; einige glauben sogar, daß sie mit ihm identisch sei.

Alles Soziale also, einschließlich Politik, Kultur, Religion wie auch das Gewissen, wird verstanden als durch die Ökonomie bestimmt .. .

Diese Sicht der Dinge widerspricht dem christlichen Glauben, zumindest dem christlichen Menschenbild und der Ethik. Wenn es also stimmt, daß wir ökonomische Faktoren in jeder Erklärung der sozialen Wirklichkeit sehr beachten müssen, so haben wir uns vor ei ner Analyse zu hüten, die die Idee einer Determination durch die Ökonomie in diesem beschränkenden Sinn einschließt ...

Ich schließe mit (folgenden) Bemerkungen. Zuerst: Bei allen Vorbehalten gegenüber der marxistischen Analyse haben Wir die Gründe ihrer Anziehungskraft zu erkennen und zu würdigen; Christen sind leicht und mit Recht sensibel für den Entwurf der Befreiung des Menschen von Herrschaft und Unterdrückung, für das Versprechen,» Wahrheit zu schaffen durch Anprangern von Ideologien, die sie verdecken und verfälschen; für den Vorschlag soziale Barrieren zu überwinden.

Lassen wir also niemand im Glauben, diese Ziele könnten durch ein einfaches (oder gar dem zu verfolgenden Tief entgegengesetztes) Mittel erreicht werden, aber entmutigen wir auch niemals Ihre zielstrebige Verfolgung ...

Zweitens muß ganz deutlich gesagt werden, daß die marxistische Analyse nicht die einzige ist, die dauernd mit ideologischen und philosophischen • Voraussetzungen vermengt wird, die hinterrücks eingeschleust werden.

So beinhalten insbesondere jene Sozialanalysen, die gewöhnlich in der liberalen Welt angewandt werden, eine individualistische und materialistische Weltansicht, die für christliche Werte und Verhaltensweisen ebenso zerstörerisch ist . . .

Schließlich müssen wir uns mit Entschlossenheit all jenen entgegenstellen, die unsere Vorbehalte gegenüber der marxistischen Analyse zum Anlaß nehmen, das Engagement für die Gerechtigkeit oder für die Sache der Armen, die Verteidigung ihrer Rechte durch die Ausgebeuteten, ihreberechtigten Forderungen, als marxistisch oder kommunistisch zu verurteilen oder zumindest so einzuschätzen.

Konnten wir nicht oft genug Formen des Anti-Kommunismus beobachten, die nichts anderes sind als Mittel, das Unrecht zu decken? Bleiben wir auch unter diesem Gesichtspunkt wir selber, lassen wir es nicht zu, daß man unser kritisches Urteil über Marxismus und marxistische Analyse mißbraucht!

Auszug aus KSO Nr., 7/81

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