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Nicht mit oberflächlichen Wahrheiten zufrieden sein!

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Er war kein politisierender Kleriker, sondern ein unbequemer Mahner: Ein demnächst erscheinendes Buch zeigt Jerzy Popie-luszkos Leidenschaft für die Wahrheit.

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Er war kein politisierender Kleriker, sondern ein unbequemer Mahner: Ein demnächst erscheinendes Buch zeigt Jerzy Popie-luszkos Leidenschaft für die Wahrheit.

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Zehn Monate ist es her, daß die Meldung von der Ermordung des polnischen Priesters Jerzy Popieluszko rund um die Welt gegangen ist. Am 19. Oktober wurde er auf der Heimfahrt nach einem Gottesdienst, den er in Bromberg gehalten hatte, von Polizisten entführt, mißhandelt und ermordet.

Uberraschend wurden die Schuldigen verhaftet und schon am 27. Dezember vor Gericht gestellt. Nach 26 Tagen Verhandlung wurden die Angeklagten am 7. Februar 1985 zu Freiheitsstrafen zwischen 14 und 25 Jahren verurteilt.

In unserer Zeit, in der wir laufend von Berichten über Skandale, Katastrophen und Gewaltakte in Atem gehalten werden, erscheinen diese Vorgänge schon fast vergessen. Es ist daher verdienstvoll, daß sie der Herder-Verlag in der demnächst erscheinenden Dokumentation „Das war Popieluszko” in Erinnerung ruft.

Am meisten haben mich darin die Predigten (in Auszügen auf dieser Seite) dieses mutigen Mannes fasziniert. Welche Klarheit, welche Konsequenz, welch tiefes Vertrauen auf Gottes Wirken spürt man aus den Worten dieses jungen (Popieluszko starb 37jäh-rig) Priesters heraus! Zu bedenken ist dabei, unter welchen Bedingungen er sich traute, Unliebsames zu äußern: Dauernde Beschattung durch die Polizei, Verhaftung, Bedrohung waren Teil seines Alltags.

Wer diese Predigten liest, versteht, daß Popieluszko den Behörden ein Dorn im Auge gewesen sein muß. In einem Spinnengewebe von Lüge, manipulierter Information und gezielter Propaganda ist das öffentliche Kundtun der Wahrheit das Ärgernis schlechthin.

„Die Wahrheit ist unsterblich und die Lüge stirbt eines schnellen Todes”, stellt Popieluszko einmal fest. Ein Widerspruch zu seinem Schicksal? Ist doch er von den — wenn auch desavouierten — Vertretern eines lügnerischen Regimes zum Schweigen gebracht worden.

Nein, denn seine Worte leben weiter. Wer sie liest, ist persönlich betroffen. Gelten sie doch auch für uns im Westen. Schweigen wir nicht auch allzu leicht, wenn in unserem zwar liberalen, aber mit seinen allgegenwärtigen Klischees ebenso unwahrhaftigen Milieu die Wahrheit laufend relativiert, belächelt und damit auf sanftem Weg beiseite geschoben wird? Da gilt Abtreibung als Befreiung der Frau, Wettrüsten als Beitrag zur Friedenssicherung, Experimente mit Embryos als Dienst am wissenschaftlichen Fortschritt...

Wir Menschen im Westen applaudieren den Propheten gegen die Unterdrückung im Osten - zurecht, weil sie die Wahrheit sagen und das Wirken Gottes in unserer Zeit bezeugen. Wir sollten sie aber auch als Appell an uns Wohlstandschristen verstehen: Auch unsere Gesellschaft bedarf des mahnenden, prophetischen Wortes. Wie sagte doch Popieluszko? „Wir sind berufen, die Wahrheit mit unserem ganzen Leben zu bezeugen.”

Die folgenden Texte stammen aus „Das war Popieluszko”, eine Dokumentation, die demnächst bei Herder erscheint.

Ein Kampf um die Größe und Würde des Menschen

Man kann viele Beispiele nennen, die das Kreuz unseres Volkes, unserer Heimat sichtbar machen: Das größte Kreuz ist das Verstoßen gegen die prinzipiellen Rechte der menschlichen Person, denn mit diesen sind andere verbunden.

Wo die menschlichen Rechte auf Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit nicht beachtet werden, dort gibt es keinen Frieden und wird es keinen geben. Man muß zuerst den Menschen ihre Grundrechte sichern und erst dann mit vereinten Kräften den Bau des Friedens beginnen.

In unserer Heimat werden diese Rechte nicht respektiert, denn in den Internierungslagern und Gefängnissen sitzen viele tausend Menschen. Die Massenmedien verbreiten viel Unwahrheit, und die Gerechtigkeit leidet an allen Ecken und Enden.

Ein Kreuz für unsere Heimat ist die Tatsache, daß man seit Jahrzehnten mit einer seltenen Sturheit den Menschen, vor allem der Jugend, Gott zu nehmen versucht und eine Ideologie aufzwingt, die mit der tausendjährigen christlichen Tradition unseres Volkes nichts zu tun hat.

Die geplante Entchristianisie-rung, der Kampf gegen Gott und alles, was Gottes ist, ist zugleich ein Kampf gegen die Größe und Würde des Menschen, denn die Größe des Menschen liegt darin, daß er in sich die Würde des Kindes Gottes trägt.

Ein Kreuz ist das Fehlen der Wahrheit. Die Wahrheit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie weiterbesteht und immer ans Licht kommt, auch dann, wenn man versucht, sie sorgfältig und planmäßig zu verbergen. Die Lüge stirbt immer eines schnellen Todes...

Ein Kreuz ist das Fehlen der Freiheit. Dort, wo es an Freiheit fehlt, gibt es keine Liebe, keine Freundschaft und das sowohl unter den Familienmitgliedern als auch in der Gesellschaft und zwischen den Nationen. Man kann nicht unter Zwang jemanden lieben oder mit ihm in Freundschaft leben...

Jeder der hier Stehenden könnte eine unendliche Zahl von Kreuzen nennen, die er selbst erlebt hat oder deren Zeuge er besonders während der letzten zehn Monate war. Das waren Monate ständiger Unruhe, der Mißhandlung, Furcht und ungewissen Zukunft.

Alle diese Kreuze unseres persönlichen und gesellschaftlichen Lebens müssen zur Auferstehung der freien und gerechten Heimat führen. Seit Christus am Kreuz gestorben ist, können uns keine Leiden und Erniedrigungen mehr schänden. Die Schande fällt auf diejenigen zurück, die sie verursachen.

Und so wie Christus auf dem Kreuzweg nicht umgekehrt ist, so wird auch unser Volk, von Christus gestärkt, den Weg nicht aufgeben, auch wenn es bis zur Auferstehung auf seinen wunden Knien rutschen müßte.

So wollen wir Gott um Hoffnung bitten, denn nur mit Hoffnung gestärkte Menschen können alle Schwierigkeiten überwinden. Wir wollen Gott um die innere Freude bitten, denn sie ist die gefährlichste Waffe gegen den Teufel, der von seiner Natur her traurig ist. Gott bewahre uns vor Rachsucht und Haß. Wir bitten um diese Freiheit, welche die Frucht der Liebe ist. Amen.

Aus einer Predigt im September 1982

Wehe den Machthabern...

Wehe der Gesellschaft, deren Angehörige die Tapferkeit nicht zum Prinzip ihres Handelns machen ! Das wären keine Staatsbürger, das wären gewöhnliche Sklaven. Wenn der Bürger auf die Tugend der Tapferkeit verzichtet, wird er zum Sklaven und bereitet sich selbst, seiner Persönlichkeit, der Familie, der Berufsgruppe, dem Volk, dem Staat und der Kirche höchste Schande, selbst dann, wenn er sich von Angst und Furcht um sein tägliches Brot leiten ließe.

Aber Wehe auch den Machthabern, welche die Bürger um den Preis der Einschüchterung und sklavischer Angst gewinnen wollen! ... Wenn die Obrigkeit eingeschüchterte Bürger regiert, verliert sie ihre Autorität, verarmt das nationale und kulturelle Leben, werden auch die Werte des Berufslebens herabgesetzt.

Als Warnung soll uns die Tatsache dienen, daß die Nation stirbt, wenn es ihr an Mut fehlt, wenn sie sich belügend sagt, daß alles in Ordnung ist, aber alle wissen, daß es schlecht ist, und wenn sie sich mit unvollständigen Wahrheiten zufriedengibt. Es möge uns jeden Tag das Bewußtsein begleiten: Wenn wir nach Wahrheit verlangen, müssen wir selbst in Wahrheit leben.

Aus einer Predigt im Mai 1984

Die Herrschaft der Lüge täglich entlarven

Um geistig frei zu bleiben, muß man in der Wahrheit leben. Leben in Wahrheit bedeutet, sie zu bezeugen, zu bekennen und in jeder Situation nach ihr zu verlangen. Die Wahrheit ist unveränderlich. Die Wahrheit kann nicht mit dieser oder jener Entscheidung, mit dieser oder jener Bestimmung vernichtet werden.

Unsere Sklaverei besteht hauptsächlich darin, daß wir uns der Herrschaft der Lüge unterwerfen, daß wir sie nicht entlarven und nicht tagtäglich gegen sie protestieren. Wir protestieren nicht, wir schweigen oder täuschen vor, daß wir an sie glauben. Dann leben wir in der Verlogenheit.

Die Wahrheit mutig zu bezeugen, ist ein Weg, der direkt zur Freiheit führt. Ein Mensch, der die Wahrheit bezeugt, ist ein freier Mensch, sogar in der Situation der äußeren Gefangenschaft; sogar in einem Internierungslager oder in einem Gefängnis.

Würde die Mehrheit der Polen in ihrer jetzigen Lage den Weg der Wahrheit betreten, würde diese Mehrheit das nicht vergessen haben, was für sie noch vor einem Jahr die Wahrheit war, würden wir schon jetzt ein geistig freies Volk sein. Und die äußere und politische Freiheit müßte früher oder später kommen, als Folge dieser Freiheit des Geistes und der Treue zur Wahrheit.

Eine prinzipielle Frage bei der Befreiung des Menschen und der Natur ist das Uberwinden der Angst. Die Angst wird durch die Bedrohung verursacht. Wir haben Angst vor Leiden, vor dem Verlust unserer Güter, der Freiheit, Gesundheit oder Arbeitsstelle.

Wir überwinden die Angst, wenn wir mit dem Leiden oder Verlust einer Sache zugunsten höherer Werte einverstanden sind. Wenn die Wahrheit für uns zu solch einem Wert wird, daß wir bereit sind, dafür zu leiden und Risiko zu tragen, dann werden wir die Angst, die unmittelbare Ursache unserer Versklavung, überwinden. Christus hat seine Jünger oft daran erinnert: „... Habt keine Angst. Habt keine Angst vor denjenigen, die den Leib töten, aber nicht mehr tun können...”

Aus einer Predigt im Oktober 1982

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