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Nicht nur ein Gelehrter

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Mit Albin Lesky, der am 28. Februar 1981 im 85. Lebensjahr in Innsbruck gestorben ist, hat Österreich einen seiner bedeutendsten Gelehrten verloren.

Sechs Ehrendoktorate in- und ausländischer Universitäten, die Mitgliedschaft in acht Akademien und höchste Auszeichnungen wie das „Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft“ und der Orden „Pour le mėrite“ der Bundesrepublik bezeugen den Eindruck, den seine Leistung als Forscher und Darsteller auf dem Gebiet der klassischen griechischen und römischen Literatur in aller Welt gemacht hat.

Aber Lesky war nicht nur Gelehrter. Nicht weniger als das Streben zu erkennen und zu verstehen brannte in ihm der Drang, zu erziehen und zu bilden. Die Idee, die ihm dabei vor der Seele stand, war das Menschenbild des deutschen Humanismus im Sinne Goethes und Humboldts, erweitert um die durch die Romantik und in ihrem Gefolge hinzugewonnene historische Dimension.

Mit dem letzten ist gesagt, daß Lesky nicht in unfruchtbarer Fixierung auf eine vergangene Epoche verharrte, sondern mit allem Neuen, das ihm entgegentrat, sich auseinandersetzte. Er hat dabei die höchsten Tugenden seiner Griechen betätigt, die Besonnenheit und die Gerechtigkeit.

Von den Anfängen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an hat Lesky nicht nur in originaler Arbeit geforscht, sondern auch die Arbeiten der Fachgenossen im weitesten Umfang beobachtet und registriert. Er war sich nicht zu gut, auch noch als er schon selbst im Vordergrund stand, jahrelang über die neue Literatur zu Homer und zu den griechischen Tragikern zu berichten, stets bemüht, jedem Standpunkt gerecht zu werden und überall das Fruchtbare hervorzuheben.

Mit ungeheurer Arbeitskraft und stupendem Gedächtnis hat er sich so die Voraussetzungen geschaffen zu großen Werken überschauender Gesamtdarstellung: über die griechische Tragödie, in knapperer Form auch zu Homer, und vor allem für seine große „Geschichte der griechischen Literatur“, ein Werk, das auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat und, im Original oder in englischer, italienischer, spanischer, neugriechischer Übersetzung, überall den Studierenden ein Lehrbuch, den Forschern eine unentbehrliche Hilfe geworden ist.

Mit mutiger Weisheit hat Lesky darauf verzichtet, das Wesentliche und das Unwesentliche in gleicher Breite vorzuführen, dafür aber überall nicht bloß das Gesicherte vermittelt, sondern auch in die offene Problematik eingeführt. Das mächtige Werk ist seit 1957 schon in 3. Auflage (1963, 1972) erschienen, jedesmal neu bearbeitet und erweitert, die erstaunliche Leistung eines einzelnen im Zeitalter des Teamworks.

Dasselbe gilt von dem Buch „Die tragische Dichtung der Hellenen“, das ebenfalls dreimal, jeweils neu bearbeitet, erschienen ist.

Leskys Forschungsarbeit war aber keineswegs auf diese Gebiete beschränkt. Von Jugend auf hat er die Philologie im Sinne von Wilamowitz als einen Teil der Wissenschaft vom Altertum betrieben. Unter den Lehrern, bei denen er in seiner Heimatstadt Graz studierte, hat er als den, dem er am meisten verdankte, den Archäologen He- berdey genannt, der freilich seinerseits auch ein ausgezeichneter Philologe war.

Die Vertrautheit mit der Archäologie, aber auch mit der vergleichenden Religionswissenschaft, hat ihn zum berufenen Mythenforscher gemacht und so hat er auf vielen Gebieten der Altertumswissenschaft bedeutende Beiträge geliefert, überall mit weiter Umschau energische Gedankenführung verbindend.

Auch die deutsche' Literatur erregte sein produktives Interesse, insbeson

dere Goethe, „der Hellene“, wie er ihn nennt. Das romantische Element ist durch E.T.A.Hoffmann vertreten.

Was Lesky geschrieben hat, wird weiter von ihm zeugen, ein nicht weniger bedeutender Teil seines Wirkens lebt in der Erinnerung seiner Schüler fort und aller, die ihn sonst gehört haben. Er war der geborene Lehrer und ein Redner von seltener Begabung. Seine Vorträge, aufs genaueste vorbereitet, sorgfältig aufgebaut, wurden frei gesprochen, so daß das Kunstvolle als ein Spontanes umso stärker wirkte.

Diese seinę Gabe setzte er für alles ein, was ihm am Herzen lag. Das war vor allem die humanistische Schule, in der - ihrer Idee nach - Kultur des Geistes vermittelt wird statt totem Wissen. Dem diente nach seiner Überzeugung der Unterricht in den alten Sprachen. Lesky ist es zu verdanken, wenn heute in Österreich noch an vielen Orten Griechisch unterrichtet wird.

Voraussetzung für einen fruchtbaren Unterricht sind Lehrer, die Kontakt mit der Wissenschaft haben. So verstand Lesky auch seinen Dienst an der Wissenschaft letztlich als Arbeit am Menschen. Eine gesunde Wissenschaft gehörte für ihn zur Diätetik des öffentlichen Lebens.

In dieser Überzeugung hat er mit ganzem Einsatz an der Selbstverwaltung und Selbsterneuerung der Universität mitgewirkt und akademische Ämter verwaltet. Als Rektor der Universität Wien im Studienjahr 1963/64 hat er die Fünfhundertjahrfeier des nächsten Jahres vorbereitet und bei der Feier selbst in seiner Festrede ein Bekenntnis zur Humboldtschen Universitätsidee abgelegt, zur Einheit von Lehre und Forschung, zur Gemeinschaft von Lehrern und Lernenden.

Zu der seither versuchten Institutionalisierung dieser Partnerschaft mußte er damals noch nicht Stellung nehmen; er sah in ihr jedenfalls keinen Vorteil für die Sache.

Das höchste Forum der Wissenschaft war für ihn die Akademie der Wissenschaften, der er seit 1942 als korrespondierendes, seit 1950 als wirkliches Mitglied angehörte. Auch den Aufgaben, die ihm dort erwuchsen, hat er sich mit voller Hingabe gewidmet, in Kommissionen, als Sekretär der philosophisch-historischen Klasse, als Vizepräsident und, auf eigenen Wunsch nur ein Jahr, als Präsident.

Für seine letzten Lebensjahre zog er sich nach Innsbruck zurück, wo er nun nach langem Leiden, das er mit hohem / Mut und ungetrübtem Geist ertrug, von uns gegangen ist.

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