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Nicht nur ein Strohfeuer

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Bis Ende Juni wartet die Ausstellung über „Die verbrannten Bücher“ im internationalen Kulturzentrum in Wien, mit Burgstars wie Klausjürgen Wussow, Erika Pluhar oder Fritz Mu-liar auf, ist Kulisse für Vorträge von Erwin Ringel, Wilfried Daim, Hans Weigel. Thema der Matineen und Lesungen, Podiumsgespräche und Plattenvorführungen sind die Opfer einer Zeit, die mit einer kultischen Verbrennung aller Werke von regimefeindlichen, „artfremden“ Dichtern, Forschern und Musikern ihr irrationales Wüten begann, dessen logische Konsequenz die „Endlösung“, der Tod von Millionen, war.

Veranstalter ist die israelitische Kultusgemeinde, die zu einem Zeitpunkt an die Realisierung ging, als von „Holocaust“ noch keine Rede war. Die ersten Veranstaltungen wurden regelrecht gestürmt, das Programm für Schüler an den Vormittagen mußte ausgeweitet werden.

Bücherverbrennung - das entsprang nicht nur dem irrationalen Haß gegen „artfremde“ Literatur. Es war Ausdruck geistiger Vergewaltigung, der erste öffentliche Schritt in Richtung Auschwitz. Die Schriften Sigmund Freuds wurden „wegen Uberschätzung des Trieblebens“, die Romane Erich Kästners „wegen Frechheit und Anmaßung“ verbrannt, verboten, und aus den Bibliotheken entfernt. Tausende Titel von Schriftstellern, Komponisten, Textautoren, Lyrikern und Forschern fanden sich auf den Fahndungslisten der Reichsschriftkammer. Rund 2500 Intellektuelle versuchten im Exil ihr Leben zu fristen.

Die Bücherverbrennungen sind auch 1938 auf dem Boden der „Ostmark“ bezeugt.

Doch dokumentiert die Ausstellung auch ein Kapitel originär österreichischer Geschichte: Wien und die Juden - dazu gehören nicht nur Pro-grome im Mittelalter, unter diesem Stichwort findet man auch die Blütezeit eines durch das Toleranzpatent Josephs II. weitgehend gleichbe- , rechtigten Wiener Judentums. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts-ais die Hauptstadt zur Weltstadt explodierte - wurde Wien auch für die jüdische Bevölkerung des Vielvölkerstaates zum Anziehungspunkt. Eine kleine jüdische Gemeinde von mehreren tausend Menschen wuchs zum zehnprozentigen Bevölkerungsanteil. Ein Großteil lebte in ärmlichen Verhältnissen, viele konnten sich im kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Leben durchsetzen - Victor Adler gehört hier genannt, Arthur Schnitzler, Gustav Mahler.

In den Schlußjahrzehnten der Monarchie verschärfte sich die Stimmung gegen die Juden Wiens. Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, allgemeine Verunsicherung und Versagen der Demokratie - das alles war Nährboden für den Weg zur „Bücherverbrennung“. Peter Altenberg, Theodor Csokor, Robert Musil, Stefan Zweig, Bertha von Suttner -sie alle fielen dem „Bannspruch“ zum Opfer, weil sie Juden, Pazifisten oder „entartete Dekadente“ waren.

Die Ausstellung über die verbrannten Bücher kam gerade zur rechten Zeit. Aber auch viele andere Veranstaltungen beweisen, daß die „Holo-caust“-Serie ein Interesse wachgerufen hat, das keinesfalls sofort wieder einschlief.

Sie machten einen recht selbstbewußten Eindruck, die angehenden Graphiker und Designer. Und die Fragen, mit denen Zeugen der Zeitgeschichte wie Rosa Jochmann oder Alfred Maleta überschüttet werden, bestätigen den ersten Eindruck: dieses Podiumsgespräch am 25. April 1979 ist alles andere als eine lästige Pflichtübung.

Justizminister Broda muß sich an diesem Nachmittag in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt den Vorwurf der Laxheit gegenüber neonazistischen Gruppen mehrmals gefallen lassen: „Wie konnte es überhaupt so weit kommen?“, „Warum unternimmt man nicht mehr gegen den Bodensatz einer Ideologie von gestern, die auch morgen wieder fruchtbar werden kann?“, „Warum kann die .Deutsche Nationalzeitung' ungehindert erscheinen?“

Fast zwei Monate sind seit dem „Holocaust“-Film vergangen. Sie wurden in dieser Schule genützt -von den Historikern, die sich ausführlich mit den sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für den Aufstieg des Nationalsozialismus beschäftigen; von den Rejigionsleh-rern, die sich mit Rassismus und Intoleranz, mit dem „Sündenbock“ Syndrom ganz im allgemeinen auseinandersetzten; aber auch von einigen Schülern. Sie sammelten aktuelle Beispiele für Demokratiefeindlichkeit und Vorurteilsstrukturen der Gegenwart, versuchen der Attraktivität eines Regimes auf die Spur zu kommen, das trotz Bombenkrieg und KZ-Enthüllungen für viele nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat.

Am Ende dieser Forumsdiskussion waren die Referenten jedenfalls einig: sie hatten bei einer Modell-Veranstaltung dabei sein können, die alle „Holocausf'-Skeptiker zum Verstummen bringen müßte. Doch auch die gegenteiligen Erfahrungen bei solchen Zeitgeschichte-Diskussionen sind möglich: „Wer spricht von Dresden und den Umsiedlungen?“ tönt es mitunter entgegen. Oder: „Wenn alle Erwachsenen gegen die Nazis sind, dann ist es nur logisch, daß wir Jugendliche dafür sind“ -Oder: „Immer nur das Wühlen in der Vergangenheit!“

Solch gebündeltes Unbehagen an „Holocaust“ gehört gleichfalls zu den konkreten Erfahrungen bei der schulischen „Nachbetreuung“ in Sachen „Holocaust“. Auch hier paßt das übliche Bild: „die“ Journalisten, „die“ Politiker, „die“ Gastarbeiter - sehr rasch entpuppt sich die Anti-„Holo-causf'-Stimmung als Mosaikstein eines viel größeren Unbehagens. Und wieder zeichnen sich Fern Wirkungen ab - bestürzte Lehrer schließen die Diskussion mit einem Angebot: Ab nächster Woche soll es regelmäßig am Donnerstag in der letzten Unterrichtsstunde Begegnungsmöglichkeiten mit Politikern, Entwicklungshelfern oder Sozialarbeitern geben.

So konträr die Erfahrungen, es sind zwei Beispiele, die für Hoffnung Anlaß geben und zu einer ganzen Reihe von ähnlichen Indizien gehören, die sich unter der Rubrik „ .Holocaust' und die weiteren Folgen“ aufzählen lassen. Allein in Wien haben rund 50 Schulen von einem Angebot des Unterrichtsministeriums Gebrauch gemacht, Zeitgeschichte-Vertreter oder Augenzeugen einzuladen. Tausende

„Holocausf'-Informationsmappen wurden zugestellt.

Die Lehrerausbildung wird einmal mehr kritisch unter die Lupe genommen, ein Lehrer-Fortbildungsseminar über „Faschismus und moderne Gesellschaft“ war überlaufen, die Fortsetzung wurde urgiert. Noch ist es zu früh, um eine definitive „Ho-locausf'-Bilanz ziehen zu können. Doch Zuversicht scheint begründet.

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