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Nicht nur Erinnerung

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An den drei Hauptportalen des Salzburger Domes sind die Jahreszahlen angebracht, die für die Kathedrale der Salzburger Erzdiözese von Bedeutung sind: 774 — 1628 — 1959.

• Vor 1200 Jahren, am 24. September 774, wurde die sterbliche Hülle des Bistumsgründers Rupertus in festlicher Prozession in den neu erbauten Dom, der mit seinen 91 Metern Länge ein gewaltiges Gebäude gewesen sein muß, übertragen und dort in der Krypta beigesetzt.

• 1628 — mitten im 30jährigen Krieg — wurde der Dom in der heutigen Gestalt nach den Plänen des Italieners Solari fertiggestellt.

• 1959 konnte der während des Zweiten Weltkrieges stark beschädigte Dom wieder in neuem Glanz seine Funktion übernehmen.

Der römische Kurienkardinal Maximilian de Fürstenberg feierte in Anwesenheit der Kardinale von Wien, Köln und Berlin sowie fast aller Bischöfe des deutschen Sprach- raums und der Bischöfe der Partnerdiözesen Taegu/Korea, Ikela/ Zaire, San Ignacio/Bolivien dieses einzigartige Ereignis. Im Mittelpunkt der Feiern stand eine gemeinsame Sitzung der Bischöfe aus den deutschsprachigen Ländern, die ausschließlich liturgischen Fragen gewidmet war. Bei diesem Treffen waren die westdeutsche und die österreichische Bischofskonferemz vollzählig und die Schweizerische Bischofskonferenz sowie die Ostberliner Ordinarienkonferenz durch bischöfliche Delegierte vertreten. Ferner nahmen die Bischöfe von Bozen, Brixen und Luxemburg an diesem Treffen teü. Die Bischofskonferenz der Bundesrepublik führte außerdem in der Zeit vom 24. bis zum 26. September ihre Tagung in der Salzachstadt durch. Welcher Ort wäre für diese Tagungen tatsächlich besser geeignet als der Sitz jenes Erzbischofs, der den Titel eines „Primas Germaniae” bis heute trägt?

Diese großartige Feier weist erneut darauf hin, welche Bedeutung der Bischofssitz des hl. Rupertus nicht nur für Österreich, sondern auch für den deutschen Sprachraum und weit darüber hinaus besitzt.

739 war Salzburg als Bistum durch den hl. Bonifazius gegründet worden, der es in seine große Bistumsorganisation, die sich über ganz Bayern und Österreich erstreckte, einbezog, als eine Art Rom jenseits der Alpen. 798 erhob Karl der Große Salzburg zum Erzbistum. Es war ein ungeheures Gebiet, das diesem Erzbistum unterstand: Passau, Regensburg, Chiemsee, Brixen waren seine Suff ragane. Gewaltig war seine Wirkung als Zentrum der Ostmission. Eine einheitliche Kultur bahnte sich von der Salzachstadt den Weg in die Berge und in die ungarische Tiefebene bis zum Plattensee. Schon damals offenbarte diese Stadt, was sie immer sein sollte: ein neuralgischer Punkt in der Geschichte Mitteleuropas und insbesondere Österreichs. Über Salzburg gingen die Sendboten des Christentums in’die Täler und Siedlungen der Alpen und in die Tiefebene Ungarns, über Salzburg drangen die Reformideen Clunys nach Österreich, über Salzburg kam das Barock, von Salzburg aus ging im 19. und im 20. Jahrhundert die große Reform der österreichischen Klöster aus. Die ältesten Kirchen Wiens, St. Peter und St. Rupert, deuten mit ihren Namen auf diese Missionstätigkeit Salzburgs nach dem Osten hin.

Durch ein Jahrtausend sollte Salzburg das größte Bistum Österreichs bleiben, der Salzburger Erzbischof der einzige Metropolit sein, der damals auf österreichischem Boden residierte. Durch eine überaus geschickte Politik sollte es diesem Erzbistum gelingen, sich der Union der Länder, die unter dem Haus Habsburg entstand, zu entziehen und lange, bis 1803, ein selbständiges

Fürstentum zu bleiben, das durcl eine solide materielle Grundlage — in den Salzburger Bergen fand mar Gold und Salz — diese Unabhängigkeit unterbauen konnte. Der Erzbischof dieses deutschen Rom, wie Salzburg oft genannt wurde, könnt« sich durch eine lange Zeit ein« große Unabhängigkeit sowohl geger das Haus Habsburg wie auch dei römischen Zentrale der Christenheil gegenüber bewahren. Denn währenc die meisten Bischöfe der Donaumonarchie vom Landesfürsten ernannt wurden und in späterer Zei durch Rom, besaß das Salzburgs Metrolopitankapitel bis in-die Anfänge unseres Jahrhunderts ein uneingeschränktes Wahlrecht (noch Prälat Seipel sah sich 1917 als ein aussichtsreicher Kandidat dieses Kapitels an), das nach dem neuen österreichischen Konkordat zwar stark eingeschränkt wurde, aber bis heute noch fortbesteht. Durch eine geschickte Politik hat das Erzbistum alle Klöster, die sonst in Österreich eine so große Rolle spielten, von seinem ureigensten Herrschaftsgebiet ferngehalten, um hier immer die erste Rolle selbst zu spielen. Weder gibt es große Benediktinerklöster (mit Ausnahme der Erzabtei St. Peter, die älter ist als das Bistum und Michaelbeuern) noch Augusti ner-Ohorherren, noch Prämonstra- tenser, noch Dominikaner, noch Jesuiten im Lande Salzburg.

Der Salzburger Erzbischof, der schon bald den Titel eines „Legatus natus” erhielt und damit das Recht, Purpur zu tragen, und der schließlich auch den Titel eines „Primas Germaniae” übernahm, konnte durch lange Zeit ein außergewöhnliches Recht für sich in Anspruch nehmen: das Recht, die Bischöfe der von Salzburg gegründeten Bistümer Gurk, Lavant und Seckau zu ernennen, eine Tatsache, die Pius IX. ver- anlaßte, den Salzburger Metropoliten scherzhaft als einen „mezzopapa — einen halben Papst” zu bezeichnen. Diese Gebiete der von Salzburg gegründeten Bistümer waren durch viele Jahrhunderte geradezu winzig. In den übrigen Gebieten des Salzburger Erzbistums, die sich um diese Zwergbistümer lagerten, fungierten diese von Salzburg ernannten Bischöfe als Generalvikare und Weihtbischöfe des Metropoliten der Salzachstadt. Dank der klugen Politik Salzburgs konnte sich dieser kleine Kirchenstaat auch aus den Wirren des 30jährigen Krieges heraushalten und in dieser Zeit der allgemeinen Verwüstung den heutigen Salzburger Dom erbauen und die Salzburger Universität gründen.

Im Lauf der Geschichte erlitt dieses große Gebiet der Erzdiözese Salzburg natürlich so manche Einbuße. Passau, das vergeblich versuchte, aus dem Salzburger Metropolitanverband auszuscheren, konnte endgültig die Gebiete Ober- und Niederösterreich unter seinen Krummstab bringen, bis Friedrich III. zwei kleine Bistümer, Wien und Wiener Neustadt, davon ausklammerte, Karl VI. Wien 1722 zum Erzbistum erhob und sein Gebiet vergrößerte, und Josef II. endgültig Passau aus Ober- und Niederöster reich verdrängte, Linz und St. Pölten als Bistümer gründete und Wien zum Metropolitansitz dieser Provinz erhob. Erst seit damals besitzt Österreich neben Salzburg noch einen zweiten Metropoliten. Durch die

Refonmen Josefs II. wurden auch die Gebiete der Bistümer Seckau und Gurk wesentlich vergrößert. Aber bis heute blieben Salzburg die Metropolitanrechte über diese Gebiete. Innsbruck und Feldkirch kamen als neue Suffragane in unseren Tagen dazu. Das eigentliche Gebiet des Erzbistums erstreckt sich bis in unsere Tage nicht nur bis zu den Grenzen Salzburgs, sondern geht westlich nach Tirol hinein bis zum kleinen Fluß Ziller, der alten Grenze der römischen Provinzen Noricum und Raetium. 1803 verlor Salzburg seine politische Unabhängigkeit,

1816 kam es endgültig zu Österreich, allerdings ohne das Berchtesgadener Land. (Wohin hätte sich Hitler in den ersten Jahren seiner Herrschaft zurückgezogen, wenn Berchtesgaden zu Österreich gekommen wäre?)

So ist Salzburgs politische Bedeutung endgültig verschwunden, sein einst so großes geistliches Herrschaftsgebiet stark verkleinert worden. Aber ungeschmälert .geblieben oder vielleicht sogar gewachsen ist die geistige Bedeutung dieses Erzbistums. Daß sich in unseren Tagen über hundert Bischöfe am Sitz des „Primas Germaniae” versammeln, nicht nur, um die Erinnerung an die Eröffnung des ersten Salzburger Domes zu feiern, sondern auch, um die endgültige deutsche Bearbeitung des neuen missade romanum zu genehmigen, jenes Buches, das Form und Verlauf des katholischen Gottesdienstes regelt, ist von entscheidender Bedeutung. Viele Experimente wurden auf dem Gebiet der Liturgie in den letzten Jahren durchgeführt. Viele Eigenmächtigkeiten verwirrten so manche Seele. Die schöne römische Klarheit des neuen missale romanum in deutscher Sprache wird diesen Wirren ein Ende setzen. Und so wird dieses neue Meßbuch, wie der jetzige Erzbischof von Salzburg feststellte, Zeugnis geben, daß die Kirche lebt und ihren Mittlerdienst zwischen Mensch und Gott so wahrnimmt, daß der Mensch von heute den Gottesdienst in der Gemeinschaft der Gläubigen besser mitvollziehen kann. Wieder beweist Salzburg, daß es ein neuralgischer Punkt in der Geistesgeschichte Mitteleuropas ist.

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