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Nicht nur für die Kompromißmaschine

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Der Umweltschutz hat auf der heimischen politischen Prioritätenliste — zumindest vorübergehend — seinen Spitzenplatz eingebüßt. Das machen nicht nur die diversen Meinungsbefragungen deutlich, aus denen Arbeitsplatz und Geldwert als vorrangige Anliegen des Österreichers hervorgehen. Auch die Arbeitsziele des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz scheinen sich — mangels politischer Unterstützung — zu verlagern. Die anfänglichen Bemühungen um einen „harten“, sprich: die expansiven Wohlstandsideologien beschneidenden Umweltschutz fanden zwar noch in einem — mehrfach zusammengestutzten — Gesetzentwurf eine vergängliche Buhestätte. Nunmehr tritt aber an die Stelle der politischen Aktion immer mehr politische Pädagogik: die Betreuung und Aufklärung der Bevölkerung vor mannigfaltigen Gefahren, wie Alkohol und Nikotin. So verdienstvoll dies alles ist, der mit dem Umweltschutz verknüpften Gefahrenlage wird es nicht gerecht.

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Der Umweltschutz hat auf der heimischen politischen Prioritätenliste — zumindest vorübergehend — seinen Spitzenplatz eingebüßt. Das machen nicht nur die diversen Meinungsbefragungen deutlich, aus denen Arbeitsplatz und Geldwert als vorrangige Anliegen des Österreichers hervorgehen. Auch die Arbeitsziele des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz scheinen sich — mangels politischer Unterstützung — zu verlagern. Die anfänglichen Bemühungen um einen „harten“, sprich: die expansiven Wohlstandsideologien beschneidenden Umweltschutz fanden zwar noch in einem — mehrfach zusammengestutzten — Gesetzentwurf eine vergängliche Buhestätte. Nunmehr tritt aber an die Stelle der politischen Aktion immer mehr politische Pädagogik: die Betreuung und Aufklärung der Bevölkerung vor mannigfaltigen Gefahren, wie Alkohol und Nikotin. So verdienstvoll dies alles ist, der mit dem Umweltschutz verknüpften Gefahrenlage wird es nicht gerecht.

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Daß Tagespolitik und objektive politische Erfordernisse nicht immer eins sind, ist eine Binsenweisheit. Besonders dort, wo objektive Maßstäbe und Grenzen fehlen, schielt auch die Politik auf minimalen Widerstand und maximalen Wählergewinn. Die gegenwärtige Umweltschutzpolitik ist dafür ein Beweis. Die Neuformulierung ihrer ursprünglichen Zielrichtung ist daher — wenn man über die kommenden Monate hinausdenkt — besonders dringlich. Man sollte sie nicht zur Gänze der sozialpartnerschaftlichen Kompromißmaschine überlassen, zumal wir doch in Österreich eine Verfassung haben, die nicht nur zu staatlichen Feierstunden hervorgeholt werden sollte, sondern ganz allgemein eine Konstituante für Gesellschaft und Politik darstellt. Das Wirksamwerden des Verfassungsgesetzgebers auf dem Gebiet des Umweltschutzes setzt allerdings die Klärung vielfältiger Rechtsfragen voraus. Nur so besteht Gewähr, daß seine Äußerungen sich nicht in unverbindliche Deklarationen verflüchtigen, sondern als sachgerechte Direktiven den zukünftigen Gang des Umweltschutzes in Österreich bestimmen.

Eine wesentliche verfassungsprinzipielle Bezugsebene des Umweltschutzes bildet die Grundrechtsordnung. Das Spannungsverhältnis, das sich hier auftut, ist evident. Auf der einen Seite steht die sich im besonderen aus der Verbindung von Erwerbsfreiheit und Eigentumsschutz ergebende verfassungsrechtliche Systementscheidung für die Privatwirtschaft und damit ein Wirtschaftssystem, das sich, bei allen sozialen Eingriffs- und Korrekturmöglichkeiten des Staates, am Marktmechanismus ausrichtet. Auf der anderen Seite fallen bis nun wesentliche Umweltfaktoren, wie Luft und Wasser, als „freie Güter“ der Gewinn- und Nutzenmaximierung zum Opfer und müssen von der Allgemeinheit als „soziale Kosten“ getragen werden. Eine wirksame Steuerung dieser ökonomisch bedingten Umweltbedrohung kann staatlicherseits nur insofern erreicht werden, als die Berücksichtigung des Phänomens sozialer Kosten über die Rechtsordnung in die Wirtschaft hineingetragen wird. In Österreich herrscht, dieser Feststellung entsprechend, grundsätzliche politische Übereinstimmung darüber, daß die Kosten des Umweltschutzes nach dem Verursacherprinzip primär von den für die umweltschädigenden Einflüsse Verantwortlichen zu tragen sind. Die Durchsetzung dieses zwar, schlagkräftigen, im Detail jedoch noch kaum durchdachten Prinzips dürfte aber noch manche Schwierigkeiten mit sich bringen. So ist in technischer Hinsicht das Problem zu lösen, in welcher Form die Umweltbeeinträchtigung quantifiziert werden kann, damit deren Kosten auf den Verursacher überwälzt werden können.

Darüber hinaus tauchen auch grundrechtliche Fragen auf. Läßt es sich mit der schon erwähnten verfassungsrechtlichen Systementscheidung für die Privatwirtschaft in Einklang bringen, wenn durch die Einbeziehung der „sozialen Kosten“ als Kostenfaktor im Wege der Gesetzgebung bestimmte Unternehmen auf dem Markt nicht mehr konkurrenzfähig sind? Oder wenn mit dem gleichen Ergebnis bestimmte Techniken zu Lasten rivalisierender anderer gefördert werden, beispielsweise durch Übernahme von Entwicklungskosten durch den Staat, Durchführung eigener Forschung, Errichtung von Schutzzöllen oder Steuererleichterung für umweltfreundlich hergestellte Produkte. Wie sind noch krassere Eingriffe in die Unternehmensführung, etwa das Verbot der Herstellung bestimmter umweltschädigender Produkte oder das Gebot bestimmter technischer Herstellungs- und Verfahrensweisen zu beurteilen? Wer kommt im Bereich der Landwirtschaft für den zu erwartenden Produktionsausfall bei Verzicht auf umweltschädigende Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel auf? Hier stehen insgesamt noch verfassungspolitische Grundentscheidungen aus, deren Auswirkungen auf das grundrechtlich abgesicherte Wirtschaftssystem noch kaum abzuschätzen sind. Denn jede gesetzliche Verschärfung der Erlaubnisgrenze, etwa im Immissionsrecht, bedeutet zugleich eine Erschwerung der privaten Kapitalverwertung. Sieht man diese im Sinne der Art. V und VI Staatsgrundgesetz 1867 zumindest dem Grundsatz nach als verfassungsgesetzlich garantiert an, müßte folgerichtig für staatliche Eingriffe unter dem Titel des Verursacherprinzips, die den Kern von Erwerbsfreiheit und Eigentumsschutz berühren, eine Entschädigung gefordert werden. Zumindest aber müßte durch gesetzliche Maßnahmen, wie Irivestitionshilfen, Subventionierung, Zweckzuschüsse, steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten Vorsorge getroffen werden, daß substantielle Belastungen umweltrelevanter Wirtschaftszweige im Interesse der Allgemeinheit ausgeglichen werden. Eine eindeutige Klarstellung dieser Fragen kann letztlich nur durch den Verfassungsgesetzgeber erfolgen. , i ,

Über diese spezifische Grundrechtsproblematik des Verursacherprinzips hinaus, die auch die Verfas-sungsdogmatik in Zukunft noch stark beschäftigen dürfte, führen allgemeine Überlegung und rechtspolitische Forderungen nach einer grundrechtlichen Absicherung des Umweltschutzes. Die Verfassung selbst enthält gegenwärtig — zumindest ausdrücklich — keinen auf das physische Wohlbefinden des einzelnen bezogenen Integritätsschutz. Gerade im Interesse einer aktiven Umweltschutzpolitik wäre aber, wie schon erwähnt, ein eindeutiges Bekenntnis des Verfassungsgebers wünschenswert. Die Zweckmäßigkeit einer verfassungsgesetzlichen Positivierung des Umweltschutzes wird dabei vor allem auch unter dem Gesichtspunkt zu beurteilen sein, inwieweit dadurch eine stärkere Publizität dieses Grundwertes erreicht werden kann. Vorweggenommen sei, daß die inhaltliche Bedeutung des Umweltschutzes, die:, auf Verfassungsebene über die unmittelbare ökologische Dimension“ weit hinausgeht und unter dem Schlagwort „Lebensqualität“ auch politisch-demokratische Bedeutung besitzt, sich in der Zusammenschau sämtlicher Verfassungsprinzipien entfaltet und daher in dieser Breitenwirkung kaum durch eine singulare verfassungsgesetzliche Stipulation zur Geltung gebracht werden kann. Die angesprochene Aktivierung des Umweltschutzes kann daher vor allem als der Versuch einer weiteren juristischen Präzisierung verstanden werden. Ein Weg dazu wäre die Schaffung eines ökologischen Grundrechtes, das dem Einzelnen einen Anspruch auf saubere Luft, reineres Wasser und Ruhe sichert. Der Umweltschutz als einklägbares Recht würde aber die politischen Prioritäten vom Gesetzgeber auf das Verfassungsgericht verschieben. Dies erscheint unter dem Aspekt der Gewaltenteilung als bedenklich. Zudem würde eine solche Aufgabe die „zurückhaltende Judikatur“ des österreichischen Verfassungsgerichtshofes bei weitem überfordern.

Als realistischer Weg für die grundrechtliche Verankerung des Umweltschutzes bietet sich daher seine Positivierung als Einrichtungsgarantie an. Damit wäre einerseits die bereits bestehende einfach-gesetzliche Rechtsmasse im Dienst des Umweltschutzes in ihrem Bestand gesichert und zugleich in programmatischer Form die verfassungsgesetzliche Verpflichtung zu ihrem weiteren Ausbau festgelegt. Letzlich hätte eine solche Einrichtungsgarantie eine wichtige Funktion im Rahmen der Grundrechtseffektuie-rung wahrzunehmen. Gerade die Belastung der liberalen Grundrechte wird im Hinblick auf den Umweltschutz in Zukunft noch zunehmen. Denn eine höhere Lebensqualität wird ohne Verzicht auf gewisse Konsumgewohnheiten und Produktionskapazitäten kaum erreichbar sein. Bei der Abwägung grundrechtlich gesicherter Einzelinteressen, wie Eigentumsschutz oder Erwerbsfreiheit, mit den limitierenden Erfordernissen des Umweltschutzes wirc einer entsprechenden Einrichtungsgarantie die Funktion einer vorr Verfassungsgerichtshof wirksarr handhabbaren. Interpretationsmaxime zukommen. Zu hoffen ist daß er sie auch tatsächlich benütz und damit das hoffentlich balc realisierte Anliegen des Verfassungsgesetzgebers unterstützt.

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