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Nicht nur graue Theorie

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Paul M. Zulehner ist seit dem Sommersemester 1984 Pastoraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien, die heuer ihr 600jähriges Bestehen feiert (siehe dazu auch Seite 8).

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Paul M. Zulehner ist seit dem Sommersemester 1984 Pastoraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien, die heuer ihr 600jähriges Bestehen feiert (siehe dazu auch Seite 8).

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FURCHE: Sie haben mit dem Sommersemester 1984 Ihre Lehrtätigkeit als Pastoraltheologe in Wien aufgenommen. Die Zahl der Studenten an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien beträgt derzeit etwa 1.500. Für welches Berufsziel werden diese Theologen in erster Linie ausgebildet?

PROFESSOR PAUL M. ZULEHNER: Diese jungen Menschen müßten in ihren kirchen-und gemeindefördernden Tätigkeiten in der Lage sein, die Kirche, also das in Jesus gekommene und für uns zugleich noch ausstehende Reich Gottes, in der Gesellschaft präsent zu machen. Kirche, wie sie hier gemeint ist, kann nicht nur der Gesellschaft gegenüber gedacht werden. Vielmehr sollen wir Christen imstande sein, in möglichst vielen Bereichen des politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens das zu verkörpern, was Jesus gewollt hat.

Wenn man davon ausgeht, daß eine universitäre Ausbildung ein möglicher Weg (unter anderen, vielleicht besseren, weil gemeindenäheren) der Vorbereitung auf dieses Ziel ist, dann kommt sicher der Pastoraltheologie neben und in Zusammenarbeit mit den anderen theologischen Fächern ein wichtiger Platz in dieser Ausbildung zu. Dabei soll nicht übersehen werden, daß ja schon das Elternhaus, Jugendgruppen, die Schule, eine Pfarrgemeinde, in der einer mitgelebt und mitgearbeitet hat, die Studentinnen und Studenten geprägt haben.

FURCHE: Trotzdem hätte man den Eindruck, daß die Probleme der beruflichen Praxis an die in der Seelsorge Tätigen erst nach Beendigung des Studiums hautnah herantreten. Gibt's da Hilfen von Seiten der Universität?

ZULEHNER: Ich selbst habe bei meiner Tätigkeit in der Diözese Passau mich sehr um praxisbegleitende, weiterbildende Lernprozesse für Priester und Pastoralassistenten bemüht und halte dies für sehr ergiebig. Wieweit diese Erfahrungen lediglich für die Diözese Passau gelten, kann ich zur Zeit noch nicht absehen, weil ich mit den diözesanen Vorgängen in Wien noch zu wenig vertraut bin.

FURCHE: Müßte nicht ein intensiverer Austausch zwischen den theoretischen Konzepten der Pastoraltheologie und der etwa in den Gemeinden gelebten Praxis stattfinden?

ZULEHNER: Es gehört zum Stil der Pastoraltheologie, die kirchliche Praxis, wie sie stattfindet, anzuschauen, zu erforschen und an einer Weiterentwicklung dieser Praxis in die Zukunft hinein mitzuwirken. Dabei ist es häufig so, daß nicht nur die Praktische Theologie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit profitiert, sondern eben auch die Praktiker ihrerseits von den Pastoraltheologen. Das habe ich in den letzten Jahren durch vielfältige Arbeitsaufträge im deutschsprachigen Raum erlebt. Natürlich braucht nicht verschwiegen werden, daß wir Pastoraltheologen wegen unserer unvermeidlich auch kritischen Arbeit gelegentlich als störend empfunden werden, und es soll auch nicht krampfhaft geleugnet werden, daß die Pastoraltheologie nicht immer genügend ins Leben der Menschen und der Kirche „eintaucht" und somit „graue Theorien" liefert. Jedenfalls bin ich an einer engen Zusammenarbeit mit der Praxis der

österreichischen Kirche sehr interessiert; und ich habe keine Sorge, daß es diese nicht geben wird.

FURCHE: Die auch in Osterreich nach dem Katholikentag wieder stärker aufgewertete Volkskirche setzt aber doch für ihre Amtsträger ein anderes Berufsbild voraus als das vorher von, Ihnen beschriebene?

ZULEHNER: Manchmal gewinnt der geduldig forschende Experte den Eindruck, daß viele unter „Volkskirche" eine „Zwei-Klassen-Kirche" meinen (was sie keinesfalls sein muß, den sie kann ja auch „gemeindlich" strukturiert sein). In einer solchen Zwei-Klassen-Kirche sind dann die Priester (und zu Zeiten des Priestermangels mit wachsenden Aufgaben einige Laien) Subjekt, Träger der Seelsorge, während das Volk nur als Empfänger der Heilsgaben der Kirche beteiligt ist. Die Bibel und auch das II. Vatikanische Konzil haben aber eine andere Vision von Kirche.

FURCHE: Ist Ihrer Meinung nach eine umfassendere Einbeziehung humanwissenschaftlicher Fächer für eine Ausbildung in den pastoralen Berufen notwendig?

ZULEHNER: Der Dialog der Theologie mit den verschiedenen Wissenschaften vom Menschen ist heute dringlicher denn je. Er muß auch prinzipiell möglich sein, weil ja das Thema der Theologie, ähnlich der Soziologie, der Psychologie, der Literaturwissenschaft oder der Anthropologie sowie der bildenden Künste, der konkrete Mensch in dieser einmaligen Geschichte ist, die ja zugleich immer auch Heils- und Unheilsgeschichte ist. Die Theologie kann daher von den anderen Humanwissenschaften viel über den Menschen erfahren; umgekehrt gehört es aber auch zu den Aufgaben der Theologen, ihren kritischen Beitrag zu den humanwissenschaftlichen Erkenntnissen beizusteuern. Es kann daher keine Frage sein, daß die Humanwissenschaften in der Theologenausbildung eine wichtige Rolle spielen; das Konzil hat dies im Dekret über die Priesterausbildung auch ausdrücklich verlangt. Auf dem Wiener Lehrstuhl für Pastoraltheologie wurde diese Aufgabe in den letzten Jahren durch Lehraufträge wahrgenommen. Ob-dafür in den nächsten Jahren genug staatliche Mittel bereitgestellt werden können, ist nicht sicher. Entfallen dürfte die Auseinandersetzung der Theologiestudenten mit den Humanwissenschaften aber deshalb nicht.

FURCHE: Welche Arbeitsmöglichkeiten stehen den Laientheologen im kirchlichen Bereich, insbesondere in der Erzdiözese Wien, derzeit offen?

ZULEHNER: Die finanzielle Situation der österreichischen Diözesen setzt ja der Anstellung beliebig vieler Hauptamtlicher engere Grenzen als in der finanziell kräftigeren bundesdeutschen Kirche. Das ist auf den ersten Blick bedauerlich. Doch erleichtert dies auf pragmatische Weise die Beantwortung der Frage, ob wir in unseren europäischen Kirchen nicht schon insgesamt zu viele Pastoralexperten arbeiten lassen, die der Entwicklung einer Kirche des Volkes eher im Weg stehen als sie fördern.

Mit Professor Paul M. Zulehner sprach Leo-nore Rambosek.

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