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Nicht nur Hort für Enttäuschte

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Das Geburtstagsgeschenk der Nation an die ins Leben gerufene neue Partei hätte nicht passender sein können: Meinungsumfragen, beliebtes politisches Gesellschaftsspiel ohne absolute, langfristige Stichhaltigkeit, geben der Sozialdemokratischen Partei (SDP) die besten Chancen, reihen sie ein Stück hinter Labour und knapp nach den Tories ein. Zusammen mit den Liberalen würden sie die Regierung bilden - fänden die Wahlen heute statt.

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Das Geburtstagsgeschenk der Nation an die ins Leben gerufene neue Partei hätte nicht passender sein können: Meinungsumfragen, beliebtes politisches Gesellschaftsspiel ohne absolute, langfristige Stichhaltigkeit, geben der Sozialdemokratischen Partei (SDP) die besten Chancen, reihen sie ein Stück hinter Labour und knapp nach den Tories ein. Zusammen mit den Liberalen würden sie die Regierung bilden - fänden die Wahlen heute statt.

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Unter diesen Auspizien setzte Großbritanniens blutjunge politische Kraft an diesem 26. März 1981 ein historisches Datum. Seit sechs Dezennien hat es keine politische Gruppierung mehr geschafft, das Monopol der beiden Großen - Arbeiterpartei und Konservative - zu brechen. Die Liberalen, dort angesiedelt, wo sich die SDP etablieren will - im Zentrum -, kamen über eine nebensächliche Rolle kaum hinaus, durch das Mehrheitswahlrecht substantiell benachteiligt.

Jetzt sehen auch sie ihre Chance: die Allianz der Mitte im Bunde mit den Sozialdemokraten würde sie befähigen, die ominöse Schwelle von etwa 30 Prozent der Wählerstimmen zu überschreiten und damit im Parlament so vertreten zu sein, wie es der Wählerwille ausdrückt.

Mit einem Schlag hat sich die politische Szenerie auf der Insel verändert. Warnende Stimmen, die echte Bewährungsprobe für die SDP komme erst in einem langwierigen organisatorischen Aufbau und in einer mühseligen Wahlschlacht zum nächsten Urnengang in fast drei Jahren, werden von Begeisterung und Enthusiasmus übertönt.

Ein Refugium für die Unzufriedenen auf beiden Seiten des politischen Spektrums ist geschaffen. Und diese sind zur Stunde Legion. Die Arbeiterpartei ist innerlich zerstritten, der verbleibende rechte Flügel stemmt sich dem Linksdrall von Marxisten und Trotzkisten mit aller Kraft entgegen.

Den Konservativen mangelt nach einem Opfer fordernden Budget Anhängerschaft, sogar im engsten Führungskreis verstärkt sich die Überzeugung, daß Margaret Thatchers monetäre Kur die englische Krankheit nicht zu heilen vermag.

Unter- und Geringschätzung ist freilich nicht der richtige Weg, das frische Gebilde im Schoße Großbritanniens zu begrüßen. Thatcher, schon einen Parlamentarier an die Sozialdemokraten verloren, höhnt über den „netten“ Charakter der SDP. Schöne Worte und guter Wille allein würden nicht genügen, um die schweren wirtschaftlichen Probleme des Landes zu bewältigen.

Labour-Führer Michael Foot gibt sich schon vorsichtiger: Erst prophezeite er den Sozialdemokraten einen totalen Fehlschlag. Denn fauchte er wütend in Richtung der einstigen Labour- Minister, die sich von seiner Partei gelöst haben, sie würden nur den Konservativen helfen, eine weitere Periode an der Regierung zu bleiben.

Eine Partei steht und fällt mit ihrer Führung. Und da haben Sozialdemokraten und Liberale einiges aufzuweisen: Aus der kollektiven Führung wird sich eine Persönlichkeit herauskristallisieren, sobald der Anhang ein Wort gesprochen hat:

Roy Jenkins ist so etwas wie eine Vaterfigur in der britischen Sozialdemokratie. Er war einer der erfolgreichsten Finanzminister in der Nachkriegsgeschichte, der als einziger Leiter des Schatzamtes auf öffentliche Anleihen verzichten konnte - vorläufig nur ein Traum der dem Monetarismus verhafteten Tories.

Shirley Williams ist gegenwärtig sicherlich die populärste Frau Großbritanniens, schon in den siebziger Jahren

galt sie als Geheimtip für die Premierenschaft. Die gläubige Katholikin vermag die Massen zu begeistern, menschlich anzusprechen. Williams kann sich - wenn nötig - der doktrinären Bande entledigen. Nicht umsonst wird sie das „menschliche Gesicht der britischen Sozialdemokratie“ genannt.

Bei William Rodgers laufen die organisatorischen Fäden zusammen; ihm obliegt die schwerste Aufgabe, das Parteigefährt ins Rollen zu bringen, Zellen aufzubauen, Gefolgschaft zu rekrutieren und Geld in die vorerst noch leere Parteikasse zu bringen. Das wird ziemlich schwer sein, denn der große finanzielle Rückhalt fehlt, den die Arbeiterpartei in den Verbänden und die Konservativen in der Großindustrie besitzen.

Und dann sind da noch die beiden David, die sich zum Waffengang mit Goliath Thatcher und Foot rüsten: der einstige Außenminister Owen und der Führer der Liberalen, Steel. Beide äußerst jugendlich wirkend und damit nicht ohne Effekt auf die weibliche Wählerschaft; beide unerhört energisch, beredt und fähig; beide auf das Zueinander programmiert, flexibel und kompromißbereit, ohne darob die Identität ihrer eigenen Partei preiszugeben.

Vorerst geben einprägsame Schlagworte die Richtung an, in der sich die Sozialdemokraten zu bewegen gedenken: „Versöhnung der Nation“ und „Heilung von der Klassenteilung“. Wenn die Koalition der Mitte tatsächlich eine glaubhafte und überzeugende Alternative zu den Konservativen und Labouristen darstellen soll, dann müssen konkrete Einzelheiten das jetzt noch grobflächige Bild auflösen.

Es ist bekannt, daß es die Sozialdemokraten mit ihren europäischen Verpflichtungen sehr ernst nehmen: uneingeschränktes Bekenntnis zur Europäischen Gemeinschaft und zum Atlantischen Verteidigungsbündnis - im heutigen Alhion nicht gerade sehr populäre Forderungen. Was sind die Lösungen für die trostlose Lage der Wirtschaft?

Sie sind für eine gemischte Wirtschaft, in der - nach skandinavischem Vorbild - staatlicher und privater Sektor friedlich nebeneinander existieren und die verhängnisvolle Spirale von Verstaatlichung-wenn Labour am Ruder ist - und von Reprivatisierung - wenn die Konservativen in der Dow- ningstreet residieren - abgebrochen ist.

Williams und Co. sind für soziale Gerechtigkeit und eine Milderung der auf der Insel drastisch klaffenden sozialen Gegensätze. Kampf der Ungleichheit heißt auch Halt der drückenden Arbeitslosigkeit.

Die Allmacht der Gewerkschaften soll gebrochen werden - ein Unterfangen, an dem sich schon die anderen Parteien an der Macht buchstäblich die Zähne ausgebissen haben.

Ein Feldzug über das ganze Land ist in Szene gesetzt, eine Werbekampagne der neuen politischen Kraft. Bei aller Begeisterung herrscht jedoch die nüchterne Einsicht vor: die Sozialdemokratie als Hort für die Enttäuschten, damit ist es nicht getan. Die bleibende Wirkung hängt davon ab, wie der Anhang gefunden und auf Dauer gebunden werden kann.

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