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Nicht nur technokratisch

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Die Volkspartei hat sich an ein Wort gehalten, das im Wiener Vormärz zum Bonmot wurde: „Ich bin so frei, frei zu sein.“

Sie, die Partei, die sich seit mehreren Jahren von Bruno Kreisky wiederholt das Gesetz des Handelns aufzwingen lassen mußte, scheint sich in wenigen Tagen freigespielt zu haben. So gewinnt der Tod von Karl Schleinzer gerade durch seine besondere Tragik eine Dimension, die als Wende in der Politik des nichtsozialistischen Lagers aufgefaßt werden könnte. Freier denn je kann die Volkspartei — wenn sie das Geschick beim bunten Kragen packt — jetzt mit einer ganz neuen Führung neue Konstellationen schaffen. Die Chance liegt in ihr selbst.

Josef Taus und Erhard Busek haben sich die Latte nicht allzu hoch gelegt. Das war klug. Der Wahlkampf wird von dem gewonnen, der sich in letzter Instanz als der Glaubwürdigere präsentiert. Das galt auch schon vor dem Tod Karl Schleinzers. Doch an die Zeit nach dem Wahltag ist zu denken. Es gibt Beispiele, da hat eine geschlagene SPÖ — second hand — Regierungsverhandlungen gewonnen.

Die Gunst der Stunde ist dem neuen Duo in der Kärntnerstraße jedenfalls günstiger denn je.

Man hat gelegentlich davon gesprochen, daß sich die österreichische Geschichte zwischen den Polen einer „maria-theresiani-schen“ und einer „josefinischen“ Politik bewegte. Figl und Raab: sie markieren das „Maria-Theresiani-sche“; die SPÖ war damals ganz und gar reformerischer Josefinismus.

Schon die Paarung Klaus-Kreisky bildete eine andere Konstellation. Und seit 1970 ist Bruno Kreisky zum eindeutigen Sonnenkönig gewachsen, ganz und gar Vatersymbol, barocker Weltgeist über den Niederungen trivialer Tagespolitik. Noch immer meint er, die Sorgen seiner „Untertanen“ mit der Huld gutmeinender Ratschläge glückhaft wenden zu können.

Und da, nun plötzlich, treten „konservative“ Jakobiner aus dem Schatten? Männer einfacher Abstammung, ganz und gar nüchterne Realisten, gewachsene Routiniers der zweiten Reihe? Die Herausforderung ist perfekter denn je!

Und klarer denn je zeichnen sich die Elemente ab: die Auseinandersetzung wächst sich zur Frage aus, ob barockes Wählergnadentum genügt, oder eine „Offensive mit Ideen“ (so Josef Taus am Tag seiner Nominierung) die Wähler zum „jungen Neuen“ zieht.

Eine „Offensive mit Ideen“ hat zwei Voraussetzungen: erstens muß die Volkspartei aufhören, sich quasi immer selbst das Bein zu stellen, wenn eine neue Idee in ihren Reihen sichtbar und denkbar wird. Denn sind nicht seit den Tagen der „Aktion 20“ unzählige Konzepte und Vorstellungen im Netz der Bünde und Gruppen innerhalb der Volkspartei hängengeblieben? Und haben die Sozialisten nicht vielfach nur das verwirklichen müssen, was innerhalb der Volkspartei — säuberlich abgelegt — unrealisierbar war?

Zum zweiten muß das mit dem

Signum der „Intellektualität“ pun-zierte Team Taus-Busek Erwartungen gerecht werden, die sich auf Gesundungsformeln und -rezepte zur Wirtschaftspolitik konzentrieren; aber die Ideenoffensive muß wohl auch in anderen Bereichen sichtbar werden.

Da ist die ÖVP-Schwachstelle Außenpolitik: nicht weil die Repräsentanten der Volkspartei,' die Außenpolitik betreiben, etwa einem Minister Bielka nicht gewachsen wären — sondern weil die Volkspartei zu wenig Oppositonsprofil sichtbar machte. Da ist auch die Schwachstelle Kulturpolitik: weil man hier so gar keine Vorstellungen transparent machen konnte, nimmt Unterrichtsminister Sinowatz mit seinen diversen Kulturuntersuchungen und „Maßnahmenkatalogen“ fast ungestört das politische Feld ein. Und da ist etwa auch das Feld der Medienpolitik; das „Kontra“ zum derzeitigen ORF ist wohl zu wenig; vielmehr machen die zukünftigen Entwicklungen und medienpolitischen Erscheinungen das „Salz“ der “Zukunft politischer Bewegungen schlechthin aus.

Mag sein, daß innerparteiliche

Kritiker, die es natürlich auch schon wieder gibt, dem Führungsduo von zwei Wienern, zwei Intellektuellen mit Managementerfahrung, und zwei jungen „Löwen“ mangelndes Verständnis für die „kleine Parteieinheit“, also für das unterste Establishment und mangelnde „Volksverbundenheit“ vorwerfen. Aber ist es nicht eine historische Stunde, daß zum erstenmal bündische und regionale Gesichtspunkte nicht gelten — und daß man auch erstmals Männer gefunden hat, die dem Urbanen Wechselwähler — und vor allen auf diesen kommt es am 5. Oktober (und auch nachher) an — etwas anzubieten haben?

Josef Taus und Erhard Busek scheuen sich nicht, ihre ideologischen und geistigen Wurzeln zu nennen: bei Josef Taus war es das um die christliche Sozialreform so verdienstvolle Kummer-Institut (Karl Kummer war so etwas wie ein polir tischer Ziehvater für Josef Taus) und der Cartellverband, bei Erhard Busek die Katholische Jugend, in der er Vorsitzender der Katholischen Mittelschuljugend war. Josef Taus und Erhard Busek, FURCHE-Lesern seit langem als Autoren bekannt — sind aber alles andere als Vertreter eines „politischen Katholizismus“. Sie sind durch und durch weltoffene und dem Ökumenismus verpflichtete Persönlichkeiten, die als christliche Demokraten den Ansprüchen einer pluralistischen Welt nicht unverbindlich technokratisch — sondern mit Grundsätzen entgegentreten.

Das macht viel aus in unserer Zeit.

Und wein aus der Volkspartei nicht ein Sammelsurium von Interessenten verschiedener Gruppen und Protestwähler mit Durchhausabsicht werden soll, sondern nach wie vor eine verläßliche Gesinnungsgemeinschaft, dann bedarf es nach wie vor der Pflege von Grundsatzpolitik. Der Wähler honoriert zwar kurzfristig Arzneien aus dem Alchimistenlabor, aber er hält sich langfristig doch eher an eine gesunde Kost — die ihm Gesundheit auf Dauer garantiert.

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