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Nicht Pathos, nicht Heroismus

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Ein Jahr nach dem Anschluß 1938, am 2. März 1939, beschrieb der damalige Gauleiter von Salzburg und SS-Brigadeführer Friedrich Rainer in der Wochenzeitung der SS, „Das Schwarze Korps“, die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt am Abend des 11. März 1938. Keiner wäre mehr als Tatzeuge berufen gewesen als Rainer, dem nach 1938 zugute gehalten wurde, daß er zu jenen gehörte, die die nationalsozialistisch gewordene Ostmark herangezwungen hatten. Und Rainer erzählt, wie er an jenem Tag um 9 Uhr abends auf eine Intervention Seyß-Inquarts hin von den Posten der Garde und der Polizei ins Kanzleramt gelassen wurde. Schon langten am Ballhausplatz die Meldungen der Besetzung des Generalsekretariats der VF, des Heeresministeriums, der Ravag, des Gewerkschaftshauses usw. ein. Nur im „Hauptquartier des feindlichen Widerstandes“ hielt die Front. Wieder war es Seyß-Inquart, der Auftrag gab, 40 SS-Mäner unter Felix Rinner ins Kanzleramt zu lassen, zwei Drittel waren am 25. Juli 1934 dabei gewesen. Und während da und dort aus einem Büro noch ein SOS hinausgehen konnte, einige den Kampf nicht aufgaben, besetzten die SS-Männer nach und nach das Haus.

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Ein Jahr nach dem Anschluß 1938, am 2. März 1939, beschrieb der damalige Gauleiter von Salzburg und SS-Brigadeführer Friedrich Rainer in der Wochenzeitung der SS, „Das Schwarze Korps“, die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt am Abend des 11. März 1938. Keiner wäre mehr als Tatzeuge berufen gewesen als Rainer, dem nach 1938 zugute gehalten wurde, daß er zu jenen gehörte, die die nationalsozialistisch gewordene Ostmark herangezwungen hatten. Und Rainer erzählt, wie er an jenem Tag um 9 Uhr abends auf eine Intervention Seyß-Inquarts hin von den Posten der Garde und der Polizei ins Kanzleramt gelassen wurde. Schon langten am Ballhausplatz die Meldungen der Besetzung des Generalsekretariats der VF, des Heeresministeriums, der Ravag, des Gewerkschaftshauses usw. ein. Nur im „Hauptquartier des feindlichen Widerstandes“ hielt die Front. Wieder war es Seyß-Inquart, der Auftrag gab, 40 SS-Mäner unter Felix Rinner ins Kanzleramt zu lassen, zwei Drittel waren am 25. Juli 1934 dabei gewesen. Und während da und dort aus einem Büro noch ein SOS hinausgehen konnte, einige den Kampf nicht aufgaben, besetzten die SS-Männer nach und nach das Haus.

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Und dann kam die Stunde, in der der der künftigen Regierung Seysssich die Verfolgten mit Verfolgern Inquart im Haus; schon war das mischten und die ersten Überläufer „Hauptquartier des feindlichen antraten. Schon waren die Mltglie- Widerstandes“ unter ihrer Kontrolle bis auf einen Raum: in ihm amtierte Wilhelm Miklas. Er hielt, Rainer bestätigte es, dem „Druck der Volkserhebung“ und den „Nachrichten aus dem Reich“ (Ultimaten) stand. Als letzter leistete er Widerstand; allein, auf sich gestellt. Dann nahm er die Demission der bisherigen Regierung an. Mitternacht wurde es aber, bis er seinen Posten aufgab. Als er das Kanzleramt verließ, zog er den Hut; nicht um die aufgezogenen SS-Wachen zu grüßen, wie Rainer vermeint, sondern jene Posten, die reglementmäßig den Wachdienst versahen — wie am 25. Juli 1934; widerstandslos.

Wilhelm Miklas, dem das Pathos des Heroischen nicht lag, bezog seine Standfestigkeit nicht aus der Courage, die der Augenhlick abverlangt, sondern aus Grundsätzen. Gymnasialprofessor Im alten Österreich, Direktor in Horn, war er in seinen Grundsätzen weniger ideologisch als historisch ausgerichtet. Das Conti-nuum in den verschiedenen Zerreißproben seiner Zeit zu wahren, wies ihm eine ganz unzeitgemäße Funktion und Position von zeitgemäßen revolutionären und autoritären Experimenten zu. 1918 hat er nicht einfach die Monarchie verteidigt, sondern das revolutionäre Fundament des neuen Staates für gefährdet erachtet, solange es nicht durch die Volksabstimmung verfestigt war. Gerade jene, die damals die Chance des Sieges nützten, haben 15 Jahre später so leidenschaftlich die Änderung der Verfassung durch „kleine, selbsternannte Gruppen“ diskriminiert. So wie 1938 hat Miklas auch bereits 1934, im Juli, das Paktieren mit der Gewalt abgelehnt.

Als Miklas am 20. März 1956 starb, war in der linken Reichshälfte der Vorwurf gegen das Staatsoberhaupt 1933 bis 1938 (Miklas bekleidete das Amt von 1928 bis 1938) nachhaltig und hart, die „andere“ Reichshälfte resignierte; wenige, wie Julius Raab, wollten in dem solidarisch sein, was als „unbewältigte Vergangenheit“ nicht mehr wahlwerbend war; angesichts einer Jugend, für die „das Ganze nur eine Passage in einem unvollständigen Schulunterricht ist“.

Miklas, seit 1907 christlichsozialer Abgeordneter im österreichischen Parlament, 1923 bis 1928 Nationalratspräsident, von diesem Parlament 1928 bis 1931 zum Staatsoberhaupt gewählt, wurde und blieb Christlichsozialer bis zuletzt. Auch in jenen dreißiger Jahren, als auf der politischen Rechten und Linken mehr von Diktatur und Radikalismus die Rede war, als von Demokratie und Einigung im Sachlichen. Immer schmäler wurde im Europa der dreißiger Jahre die Zone zwischen Volksfront und Faschismus. Seit 1930 waren die Demokratie und die freie Wahl keine Bollwerke auf dem Weg der Machtergreifung des Nationalsozialismus, sondern Vehikel, deren sich Hitler zuweilen weit besser bediente, als seine demokratischen Gegner. Und: längst, bevor die Goebbels-Propoganda Allround-wirkung bekam, hatte eine „freie Meinungsäußerung“ einer „freiheitlichen Presse“ sowohl in der Weimarer als auch in der österreichischen Republik das „System“ dermaßen diskreditiert, daß die NS-Presse nur noch den Stehsatz dieser Organe in ihre diversen Beobachter übernehmen mußte. Nach der von Karl Renner 1933 herbeigeführten, von Adolf Schärf hart gerügten Selbstausschaltung des Nationalrates, nach dem Durchbruch Hitlers zur Macht, wäre jede freie Wahl auch in Österreich ein Vormarsch auf dem Weg des Nationalsozialismus gewesen. Zwischen diesem kalkulierten Risiko und dem anderen: dem fraglichen Gelingen der vereinsamten österreichischen Resistance 1933 bis 1938 erlebte Miklas die „Einsamkeit“ des Politikers und Staatsmannes, der nicht mehr „in“ war, dem die Fittings zu Zeitverhältnissen abgingen und der zuletzt in seiner Version die geschichtliche Rechtfertigung der Stunde suchte: Zuerst mußte die Zeit des mit Macht hereinbrechenden Nationalsozialismus überstanden werden. Er hat, während der Angriff gegen diese Front rollte, den Hauptmann nicht vor der Mannschaft bloßgestellt, noch weniger desavouiert. Wissend, daß es nach links hin seit 1932 keine Nahtstelle gab, die hielt, nachdem Seipel und Bauer mit ihrem Projekt einer „großen Koalition“ scheiterten und die Fronten des Bürgerkriegs sich verhärteten. Es bedurfte einer großen Standfestigkeit: zwischen dem Appeasement der „großen Demokratien“, das spürbar wurde und der schwächer werdenden Solidarität der Österreicher, die in der Krise die Demokratie nicht als Halt, sondern — in der Mehrzahl — als lästige Bürde empfanden. In einer Zeit der „starken Männer“, der „großen Worte“ und der „raschen Taten“ blieb Wilhelm Miklas nicht zufolge dem stark, was Ideologien eingeben, sondern der Glaube rechtfertigt. An diesem religiösen Glauben maß er seine politische Existenz über den Fundamenten: christlich, sozial, konservativ und österreichisch.

Wir haben, als es endgültig Nacht war über Österreich, erlebt, wie in der Katastrophe anderer Länder deren Staatsoberhäupter dem siegreichen Hitlerismus begegneten. Ohne mit Tapferkeitsmedaillen zu scheppern: In dieser Hinsicht ist Wilhelm Miklas seinem Land nichts schuldig geblieben, was Grundsätzen abverlangt werden kann. Die Erinnerung daran möge in Zeiten erneuter Realpolitik nicht vergessen sein.

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