6945789-1983_44_09.jpg
Digital In Arbeit

Nicht Reflexion, sondern Dialog

Werbung
Werbung
Werbung

Jede Persönlichkeit, jeder Forscher, der einen Zusammenhang ins Auge faßt, wo man sich vorher schon auf genaue Kompetenztrennungen geeinigt hatte, läuft Gefahr, auf eine Reihe möglicher Abwehrhandlunge…u stoßen. Diese werden umso heftiger sein, je eher es dem inkriminierten Forscher auf Grund seiner gewählten Beobachtungsabsicht möglich ist, nochmals etwas über die genannten Abwehrhaltungen zu schreiben. So würde ich Konrad Lorenz ohne weiteres Zutrauen, eine „Naturgeschichte der Abwehr unliebsamer und in Frage zu stellender Beziehungsfragen” in die Studien seiner „Verhaltensforschung” aufzunehmen. Er würde sicher augenblinzelnd im gleichen Atemzuge zugeben, daß er selbst nochmals einem solchen kritischen Ansinnen unterzogen werden könne.

So werden diese Zeilen keine laudatio, sondern ein Gespräch, ein Dialog mit Konrad Lorenz werden.

Ein Gespräch mit Konrad Lorenz muß sehr weit verstanden werden. Das sagt uns schon ein Titel aus dem Jahr 1949: „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen” (Wien). Womit wir die erste Reihe von Abwehrargumen- ten eröffnen können: Ja, dieser Lorenz, der mit seinen Graugänsen schäkert und den Grünen Flausen in den Kopf setzt; der ja doch auch den Strom benutzt, dessen Erzeugung in Kraftwerken er verhindern möchte; der schrullige Alte, der der romantischen Illusion huldigt, zurück zur Natur zu können…

Was wird da abgewehrt? Daß wir verlernt haben, daß uns jeder Stein etwas „sagen” kann, umso mehr lebendige Wesen? Oder haben wir wieder einmal Angst, unsere „Besonderheit und Einmaligkeit” als Menschen einzubüßen, wenn wir die „Analogie” bilden und davon reden, daß wir auch mit der außermenschlichen Natur „reden”? Welchen Zusammenhang hat also Konrad Lorenz „angesprochen”? Den zwischen der vormenschlichen und der menschlichen Seinsstufe.

Ist doch der Mensch gerade dadurch ausgezeichnet, daß in ihm die Schöpfung zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen ist (Wirkungsgefüge S. 35). Auch der Zu sammenhang zwischen Welt, Mensch und Gott ist bei ihm präsent, wenn er voll Ehrfurcht von der Welt als „Schöpfung” spricht (Glaube und Wissen S. 73).

Damit will ich aber schon in die kritische Phase des Gesprächs eintreten. Lorenz benennt mit einigen anderen Traditionen den Vorgang des Selbstbewußtwerdens der Schöpfung mit „Reflexion”. Als ob das Wesen des Denkens bloß in dem formalen Akt der Blickumkehr liegen könnte. Als ob nicht darin nochmals das Ausschauhalten, die Hinausbewegung grundlegender wäre. So hat Lorenz seinem meinem Empfinden nach wichtigsten Werk den unglücklichen Titel „Die Rückseite des Spiegels” gegeben.

In dieser so wertvollen „Naturgeschichte des menschlichen Er- kennens” wird dem Titel nach also so getan, als ob der Mensch je seinen eigenen Hinterkopf sehen könnt…r kann es nur, wenn er wieder (in Anwendung der von Lorenz gerade mit einem Fragezeichen versehenen technomor- phen Haltung) einen zweiten und dritten Spiegel zu Hilfe nimmt. Was Lorenz untersucht, ist also schon die „objektive Spiegelung” jenes Vorgangs, der die evolutionären Voraussetzungen unseres Erkenntnisvorgangs hervorgebracht hat.

Dadurch ist Lorenz zum Vater des Versuchs einer „evolutionären Erkenntnistheorie” geworden. Deren Verdienst ist zweifellos, in aller Breite und mit Hinzunahme der Zeitdimension zu untermauern, daß Erkenntnis selbst ein aus einem einfachen und einem komplexen Aspekt, dem inneren und dem äußeren, zusammengesetzter Vorgang ist. Dies ist nicht ganz neu und die versuchte Breite eine Versuchung, zu glauben, potentiell die „Aufklärung der Erkenntnis” zu leisten.

Wenn Lorenz auch zugibt, daß die „naturwissenschaftliche Erforschung des Wirkungsgefüges, das die menschliche Sozietät und ihre Geistigkeit trägt, eine schier unabsehbare Aufgabe vor sich hat”, so fügt er gleich hinzu, daß „potentiell unsere; Kultur durch die von ihrer Naturwissenschaft geleistete Reflexion in die Lage versetzt ist, dem Untergange zu entgehen, dem bisher alle Hochkulturen zum Opfer gefallen sind. Zum erstenmal in der Weltgeschichte ist das so” (Spiegel S. 304). Die tatsächliche Neuheit der Situation verleitet die Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie, von einer „kopernika- nischen Wende” in der Erkennt nislehre, oder Lorenz, zumindest von einer „neokantianischen” evolutiven Umdeutung der Apriori (Wirkungsgefüge S. 81f.) zu sprechen.

Der menschliche Geist kann sich aus der Spannung nicht her- aus„wenden”, die darin besteht, sich selbst aus seiner Geschichte, ja Naturgeschichte erkennen zu wollen. Wir begeben uns dabei schon in fatale Nähe zum berühmten Münchhausen-Trick, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen zu wolle…s ist genug über die Widerständigkeit der Vernunft gegen ihre Historisie- rung und umgekehrt über das zähe Aufbegehren der konkreten (Natur- und Geistes-)Geschichte gegen rationale Kausalanalysen diskutiert worden, um damit das Gespräch mit Lorenz weiter aufzuhalten.

So wollen wir jetzt einen einfachen Vorschlag ins Gespräch ein- bringen: Ließe sich die Spiegel- und Reflexionsmetapher nicht einfach dahin ersetzen, daß wesentliche Anliegen des Lorenz- schen Werkes dabei klarer hervorkommen? Das würde dann so aussehen: .JZine reflektierende Selbsterforschung der menschlichen Kultur hat es nämlich bisher auf unserem Planeten nie gegeben” (Spiegel S. 304) hieße übersetzt „Ein partnerschaftliches Gespräch zwischen Mensch und Welt und in und über die gegenseitige Verschränkung beider wird heute zur unausweichlichen Notwendigkeit”.

Spiegel und Reflexion setzten als Metapher zwei starre Ebenen voraus, die einander nur „abspiegeln”, aber keinen lebendigen Prozeß bedeuten, d. h. darstellen können, was ja gerade das Anliegen Lorenz* wäre. Gespräch und Dialog als Metapher aber deuten einen schrittweisen Prozeß gegenseitiger Ein- und Umformung an, in bezug auf den das Innewerden des Prozesses selbst nochmals einen integrierten Schritt bedeutet, ohne ihn zu „beenden”. Das wäre ganz im Sinne der von Lorenz gewünschten Vernetzung, die somit als Phänomen auch des hermeneutischen Verstehensvor- ganges aufscheint.

Vor diesem Hintergrund läßt sich die Fülle der Lorenzschen Anliegen dann neu aufnehmen, was ich nur in wenigen ausgewählten Punkten andeuten möch-

Konrad Lorenz beim Planktonfischen te: Die Kritik am technomorphen Denken als die Kritik an der dem bloßen Sicherungsinteresse dienenden Identitäts- und Widerspruchlogik muß nicht nochmals das kritisierte Modell der reflexiven Rückanwendung der Technik als Technik ihrer Selbstkritik anwenden; die fundamentale Schwingung der Kulturen zwischen Bewahrung und Erneuerung kann in ihrem Wesen eher als .Anregung” im Sinne einer Resonanz als als .Abbildung” im Sinne eines dann doch wieder mechanischen „Reflexes” (was ja Lorenz in seiner Kritik am Behaviorismus Skinners gerade aus- drücken wollte: Wirkungsgefüge S. 136ff.) oder einer bloßen „Spiegelung” verstanden werden.

Schließlich bekommt auch die Kulturkritik einen anderen Ton: krankhafte Phänomene lassen sich deutlicher als Defizienz einer ursprünglichen „Gesprächsfähigkeit” deuten, wie z. B. die von Lorenz so genau untersuchte Aggressivität: „Man muß wissen, daß die Bindung, sagen wir ruhig, die Liebe zwischen zwei Persön lichkeiten derjenige Faktor ist, welcher die Aggressivität hemmt” (Glaube und Wissen S. 57).

Zuletzt wird ein Dialog mit Konrad Lorenz unweigerlich in eine oft unausdrücklich bleibende Voraussetzung seines Forschen führen: Es ist eine unbeirrbare Zuwendung zu allen Wesen, die es gibt, die von einer tiefen Erfahrung der unausweichlichen Zusammengehörigkeit zu einem Ganzen genährt wird. In diesem Sinn wird auf die Welt als Ganzes auszuweiten sein, was Lorenz an einer Stelle für die Welt des Organischen anspricht: „Der letzte und unzweifelbare, weil nicht relativierbare Wert ist die organische Schöpfung als Ganzes, und auch die menschliche Wertphilosophie wird einen festen Grund und sichere Bezugspunkte nur finden, wenn sie den Menschen als Teil dieses größeren Ganzen zu sehen gelernt hat” (Wirkungsgefüge S. 175).

Zitierte Schriften von Konrad Lorenz: (Wirkungsgefüge) Das Wirkungsgefüge der Natur und das Schicksal des Menschen. Gesammelte Arbeiten, München 1978. (Glaube und Wissen) Die ethischen Auswirkungen des technomorphen Denkens, in: Glaube und Wissen S. 51-/3, Wien 1980. (Spiegel) Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, München 1973.

Der Autor ist Assistent am Institut für Religionswissenschaft der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung