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Digital In Arbeit

„Nicht schon jetzt Unkenrufe“

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FURCHE: Der Schwerpunkt der politischen Arbeit einer Oppositionspartei liegt im Parlament. Welche Strategie hat der ÖVP-Parlamentsklub?

KOREN: Ich habe schon zu Beginn der Legislaturperiode festgehalten, daß wir uns im Parlament drei grundsätzliche Aufgaben vorgenommen haben. Das eine ist die Kontrolle der Regierung, die sich überwiegend in Anfragetätigkeiten, und zwar mündlichen wie schriftlichen Anfragen, ebenso auch in „dringlichen“ niederschlägt. Der zweite Aufgabenbereich ist jener der Kritik, das heißt die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Regierung, die Profilierung der eigenen Vorschläge. Und drittens dort tätig zu werden, wo die Regierung wesentliche Aufgaben vernachlässigt oder es verabsäumt, überhaupt aktiv zu werden. Diese drei Bereiche: Kontrolle, Kritik, Alternativen sind die Schwerpunkte, allerdings steht in der Anlaufphase die Kontrolle naturgemäß im Vordergrund.

FURCHE: Nun, Kritik ist doch eher ein tagespolitisches Scharmützel. Wie steht es mit den Alternativen, der Langzeitstrategie?

KOREN: Ich glaube, das trifft nicht ganz zu, denn Kontrolle und Kritik sind wesentliche Bestandteile des demoktratischen Wil-lensbildungsprozesses und können nicht nur als tagespolitische Ereignisse gesehen werden. Wenn ich etwa an die jetzt beginnende Auseinandersetzung über die Steuerpolitik denke, so reicht dieser Problembereich weit über die unmittelbare Tagespolitik hinaus, geht weit ins Grundsätzliche. Oder die Auseinandersetzung über die Haltung der Sozialisten in Fragen der Familienbesteuerung ...

FURCHE: Zum Organisatorischen: Wie ist die Verklammerung zwischen den fünfzehn Arbeitsausschüssen der ÖVP und dem Klub? Ist das Parlament Exekutor der Arbeitsergebnisse der Kärtnerstraße oder bleibt Raum für eigene Initiativen des Klubs?

KOREN: Grundsätzlich ist die Arbeitsteilung zwischen den Arbeitsausschüssen der Bundesparteileitung und der Parlaments-fraktion die: alle Materien, die beim Parlament anhängig sind, die also als Regierungsvorlagen oder Anträge der Regierungspartei im Parlament behandelt werden, sind Sache der Parlaments-fraktion. Das heißt: in diesen Fragen muß, schon allein aus technischen Gründen, hier die Entscheidung fallen. Primär ist es Aufgabe der fünfzehn Parteiausschüsse, die längerfristige politische Willensbildung in den ein-

FURCHE: Wenn man von dieser grundsätzlichen Zweiteilung ausgeht, bleibt die Frage, ob der Klub optimal funktioniert.

KOREN: Ich glaube, es gibt keine menschliche Einrichtung, die optimal funktioniert. Die letzten zwei Jahre waren mit der Tatsache belastet, daß die ÖVP-Fraktion überhaupt erst die Oppositionsfunktion zur Kenntnis nehmen mußte, was nach 25 Jahren Regierungspartei nicht ganz einfach ist. Ein zweites scheint mir aber ebenfalls sehr wesentlich: Diese letzten zwei Jahre der sozialistischen, zuerst Minderheits-, dann Mehrheitsregierung waren zufolge der besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse — der andauernden Hoch- und Überkonjunktur — eine Phase, in der das Profilieren einer Opposition sehr schwierig war. Diese Sondersituation versetzte die Regierung in die Lage, nur mehrheitswirksame Fragen aufzugreifen. Probleme, die normalerweise eine Regierung in ihrer Tätigkeit begleiten, ja zwangsläufig auf sie zukommen und die schwere oder harte Entscheidungen verlangen, waren in diesen zwei Jahren eher in den Hintergrund gedrängt; wie etwa Fragen der Vollbeschäftgiung, der Steuerpolitik, Fragen knapper Budgets, übermäßiger Budgetdefizite, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und in einer solchen, scheinbar problemlosen Phase des Regierens findet eine Opposition kaum echte Angriffsflächen. Jetzt aber vollzieht sich ein Wandel, denn diese Sonderphase der wirtschaftlichen Entwicklung geht heuer eindeutig zu Ende. Wir gehen im Augenblick in das dritte Jahr einer überdurchschnittlichen Preissteigerung, in eine Inflationsphase, wie es sie seit 1952, seit der Stabilisierung des Schillings, nicht mehr gegeben hat. Die Einführung der Mehrwertsteuer mit allen ihren schwerwiegenden Konsequenzen, die Lohn- und Einkommensteuerreform, der Finanzausgleich mit seiner tiefgreifenden Problematik zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, all das ist heuer zu lösen. Nur ein paar Beispielsfragen, bei denen es nicht nur um populäre Entscheidungen geht, sondern wo harte Sachzwänge, die von außen an die Regierung kommen, Handlung verlangen.

FURCHE: Freilich ist es Aufgabe der ÖVP, die Zeichen der Zeit oder Abnützungserscheinungen der Regierung in politische Münze für die Oppositionspartei umzuprägen. Muß aber daneben nicht der Klub als solcher seine Reorganisation betreiben?

KOREN: Sicherlich steht auch der Klub mittel- oder langfristig vor der Aufgabe, seinen Funktionsmechanismus zu verbessern. Ich glaube, daß es vor allem auf die Zusammensetzung des Parlamentsklubs ankommt, daß wir bei künftigen Wahlen und Kandidatenaufstellungen darauf Rücksicht nehmen müssen, woran wir hier im Parlament Mangel haben. Schließlich wird die Zukunft mehr zeitliche und sachliche Anforderungen an die Parlamentarier stellen, als das bis heute vielleicht der Fall ist.

FURCHE: Nun, das geht gegen die Bündestruktur...

KOREN: Nein, sondern in Richtung grundsätzlicher Überlegungen, die man bei der Auswahl von Kandidaten berücksichtigen muß. Wir brauchen heute zwei verschiedene Kategorien von Abgeordneten: den Abgeordneten, der draußen auf dem flachen Land, in seinem Wahlkreis die Funktion des Volksvertreters ausübt, sich der Anliegen seiner Wähler annimmt. Im Parlament benötigen wir Mandatare, die in der Lage sind, zu konkreten Sachfragen Lösungsmodelle zu erarbeiten. So wenig ich ein Parlament von Fachleuten anstrebe, genausowenig kann man heute ein Parlament, das nur aus reinen Feld-abgeordneten besteht, als optimal bezeichnen. Die gesunde Mischung ist erstrebenswert.

FURCHE: Zum Beispiel verfügt die Fraktion über keinen Arzt.

KOREN: Das mag im Einzelfall als Manko empfunden werden, entscheidend ist aber, daß wir über eine genügend große Zahl von Experten aus den verschiedensten Gebieten verfügen. Ich glaube, daß dazu ein Fünftel der Abgeordneten schon durchaus ausreichend wäre.

FURCHE: Ist nicht genau für diese Auswahl der Kandidaten die Bündestruktur ein Hemmnis? Anders gesagt, findet man, wenn man durch die Bündebrillc schaut, Experten?

KOREN: Die ÖVP ist eine so große Partei, daß es nicht schwerfallen wird, in ihr Fachleute und geeignete Personen für alle Bereiche zu finden. Sicherlich spielt der Auswahlmodus eine Rolle. Innerhalb der Partei wird aber diese Frage stark diskutiert, una man wird im Verlauf dieser Legislaturperiode zu gängigeren, zu günstigeren Wegen kommen können.

FURCHE: Können Sie sich vorstellen, Kandidaten auf demokratischem Weg, durch die sogenannte Vorwahl, zu finden?

KOREN: Das sind Spezialfragen, die ich hier gar nicht behandeln möchte; entscheidend ist, dem Wähler oder dem Parteimitglied den Eindruck zu vermitteln, daß er echt an der Kandidatenauswahl mitgewirkt hat.

FURCHE: Es gibt in der Partei eine größere Zahl von jungen Leuten, die durchaus parlamentsreif zu sein scheinen. Wird man bei der Suche nach besseren Formen der Kandidatenauswahl das berücksichtigen? Wird man auf die Jungen zurückgreifen und so das Generationsproblem dämpfen?

KOREN: Hier herrschen vielfach falsche Vorstellungen. Bei Durchsicht der Liste der ÖVP-Parla-mentarier kann man feststellen, daß es sich im Durchschnitt um eine relativ junge Mannschaft handelt. Wir haben bei der vorletzten Wahl rund ein Drittel der Abgeordneten abgelöst und durch jüngere ersetzt. Wir haben heute den jüngsten Abgeordneten Im Parlament und bei weitem nicht den ältesten.

FURCHE: Auf dem Plan der Regierung Kreisky stehen große gesetzliche Vorhaben. Es sind gesellschaftspolitische Vorhaben, die sich etwa in der Steuerreform, im Assanierungsgesetz oder in der Justizreform manifestieren. Das sind Umgestaltungen, für die — dazu braucht man kein Prophet zu sein — die Zeit einer Legislaturperiode nicht reichen wird. Nun ganz konkret die Frage: gibt es für das Parlament eine Arbeitsüberlastung ähnlich der, die man Bundeskanzler Klaus vorgeworfen hat?

KOREN: Wir stehen erst am Anfang der Legislaturperiode; im Augenblick zeichnet sich noch keine wesentliche Arbeitsüberlastung ab. Ich bin aber überzeugt, daß es etwa bis zum Sommer wieder zu einer beträchtlichen Häufung der Arbeit kommen wird. Einen entscheidenden Engpaß sehe ich bereits im Justizbereich, wo nicht nur die Große Strafrechtsreform zur Debatte steht — also eine Materie, die ausreicht, eine Legislaturperiode zu erfüllen, sondern wo der Justizminister eine Reihe von weiteren Gesetzen angekündigt oder schon eingebracht hat. Ähnliches wird sicher auch auf anderen Gebieten eintreten. Ich möchte aber nicht jetzt schon Unkenrufe ausstoßen, denn die tatsächliche Entwicklung im Frühjahr wird es ziemlich deutlich dokumentieren.

FURCHE: Sind die Fristsetzungen in den Ausschüssen nicht eindeutige Indizien für den Zeitdruck?

KOREN: Die Fristsetzungen in den Ausschüssen betrachten wir als eine Vorgangsweise, die mit den bisherigen Praktiken im Parlament schlecht in Einklang zu bringen sind. Diese Fristsetzungen, die von den Sozialisten als Planungsinstrumente bezeichnet wurden, sind unserer Meinung nach eher Anträge auf Schluß der Debatte. Ankündigungen also dafür, daß die Regierung die Verhandlungen abbrechen und mit Mehrheit entscheiden wird. Und das ist am Beginn von Verhandlungen kein sehr ermunterndes Zeichen.

FURCHE: Nur eleganter als „Schluß der Debatte ...“

KOREN: Wesentlich eleganter, aber mit der gleichen Wirkung.

Mit Prof. Koren sprach Franz F. Wolf.

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