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„Nicht Spitzfindigkeiten“

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In Kairo wurde Ende vergangenen Jahres der neue koptische Patriarch Schenudah III. in sein Amt eingeführt. Kurz vorher hatte er, noch als Bischof, die Aufmerksamkeit der westlichen Kirchen durch seine Beteiligung an dem Wiener Theologengespräch zwischen Vertretern der vor-chalzedonischen Christen des Orients und der katholischen Kirche hervorgerufen. Über seine ökumenischen Anliegen und Pläne für das Wirken als Oberhaupt der 6 Millionen koptischen Christen in Ägypten, dem Sudan, Palästina und einer ständig wachsenden Diaspora sprach Schenudah III. mit unserem Korrespondenten in Kairo, Heinz Gstrein:

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In Kairo wurde Ende vergangenen Jahres der neue koptische Patriarch Schenudah III. in sein Amt eingeführt. Kurz vorher hatte er, noch als Bischof, die Aufmerksamkeit der westlichen Kirchen durch seine Beteiligung an dem Wiener Theologengespräch zwischen Vertretern der vor-chalzedonischen Christen des Orients und der katholischen Kirche hervorgerufen. Über seine ökumenischen Anliegen und Pläne für das Wirken als Oberhaupt der 6 Millionen koptischen Christen in Ägypten, dem Sudan, Palästina und einer ständig wachsenden Diaspora sprach Schenudah III. mit unserem Korrespondenten in Kairo, Heinz Gstrein:

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FURCHE: Eure Heiligkeit, die koptische Kirche hat sich vor 1500 Jahren in der theologischen Streitfrage um die Natur des Erlösers Jesus Christus als wahrer Gott und Mensch mit der übrigen Christenheit, die damals von der römischen Reichskirche repräsentiert wurde, überworfen. Glauben Sie, daß diese Trennung auch heute noch aus Glaubensgründen fortbestehen muß?

SCHENUDAH: Zweifellos ist die Einheit im Glauben Voraussetzung jeder echten kirchlichen Gemeinschaft. Ohne gemeinsames Glaubensbekenntnis kann es auf die Dauer keine ehrliche Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und schon gar keine Sakramentengemeinschaft geben. Dabei sollten wir es aber nicht zu kompliziert sehen und Spitzfindigkeiten zwischen Theologenschulen nicht zu einem Hindernis der Einheit machen. Ein Glaubensbekenntnis, das im Wort und im Geist der Bibel der Richtweisung des gläubigen Volkes genügt, genügt auch als Fundament der kirchlichen Einheit. Im konkreten Fall der Auseinandersetzung um die göttliche und menschliche Natur in Christus habe ich mich bereits in Wien mit den römisch-katholischen Theologen auf die Formel „eine Person aus zwei Naturen“ geeinigt. Das entspricht genau den biblischen Andeutungen dieses Heilsgeheimnisses und widerspricht keiner seitdem im Westen formulierten Lehre.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die heute oft angeführten psychor logischen Hindernisse für die Wiedervereinigung von Ost- und Westkirchen?

SCHENUDAH: Man sollte im kirchlichen Bereich den Faktoren der Mentalität, Kultur und historischen Entwicklung keine zu große Bedeutung einräumen oder sie gar von Kirche zu Kirche gegeneinander ausspielen. Ich erwarte mir daher auch nichts von Schlagworten wie „Enteuropäisie-rung der Kirche“ oder „Afrikanl-sierung der Kirche“. Rechter

Glaube und echtes Christenleben sind wichtiger als alle diese zeit-und ortsbedingten Nebeneinflüsse.

FURCHE: Glauben Sie, daß sich auf der Basis der koptischen Theologie auch ein Beitrag Ihrer Kirche zu anderen interkonfessionellen Glaubensproblemen außerhalb der Christologie Ins Werk setzen ließe?

SCHENUDAH: Unser theologisches Denken ist in seinen wesentlichen Zügen ursprünglich und frühchristlich geblieben. Gerade in Auseinandersetzungen um die richtige kirchliche Uberlieferung sollte die Stimme der koptischen Kirche Gehör finden.

FURCHE: Wird die in Wien erzielte koptisch-katholische Konkordanzformel auch auf den laufenden Dialog zwischen Kopten, Äthiopiern, Syrern, Syro-Indern und Armeniern, sowie den orthodoxen Ostkirchen anwendbar sein?

SCHENUDAH: Auf jeden Fall. Anderseits wird unser Dialog mit der Orthodoxie wieder deren Begegnung mit dem Katholizismus erleichtern. Vertreten wir als Erben der alten, eng mit Rom verbundenen alexandrischen Kirche doch gerade in Fragen der Eheordnung und der Kirchendisziplin einen dem katholischen entsprechenden Standpunkt zum Unterschied von der byzantinischen Praxis.

FURCHE: Wie stellt sich nun die koptische Kirche zur reformatorischen Christenheit?

SCHENUDAH: Das wird In erster Linie von der weiteren

Entwicklung innerhalb der evangelischen Bewegung abhängen, die ja kein statistisches Selbstverständnis hat. Daß wir zu den verschiedenen evangelischen Richtungen in einem herzlichen Verhältnis stehen, ist sicher ein Beitrag dazu, den Aufbruch der Reformatoren zu einer Christi Willen entsprechenden Kirchenwirklichkeit in einer wiedervereinigten Christenheit erfüllt zu sehen.

FURCHE: Die Diaspora Ihrer Kirche im Ausland nimmt immer stärker zu. Sind es in Übersee die koptischen Auswanderer, so finden sich in allen europäischen Universitätsstädten zunehmend koptische Studenten. Sie haben in dem Programm Ihres Pontifikats besondere Fürsorge für diese Diaspora angekündigt. Wird das für Mitteleuropa den Aufbau einer koptischen Studentenseel-sorge bedeuten?

SCHENUDAH: Bereits im Herbst 1970 hat ein Priester unseres Patriarchats die Voraussetzungen dafür an verschiedenen deutschen und österreichischen Universitäten geprüft. Im Verlauf meiner weiteren Zusammenarbeit mit den Kirchen der europäischen Staaten wird sich das Projekt einer ständigen koptischen Universitätsseelsorge sicher bald verwirklichen lassen.

FURCHE: Welchen Eindruck haben Sie als Oberhirte einer auf Mönchtum und auf Askese besonders bedachten Kirche von der spirituellen Krise in der abendländischen Christenheit bekommen?

SCHENUDAH: Mein Besuch in verschiedenen europäischen Klöstern hat in mir leider den Eindruck gefestigt, daß hier der Geist radikaler Weltflucht und Entsagung ganz erhebliche Konzessionen an die „Welt“ eingegangen ist. Das Ende dieser Halbheiten und eine richtig weltverneinende Erneuerung von Mönchtum und Laienaskese ist meiner Meinung nach der einzige Ausweg. Weitere Kompromisse würden die spirituelle Not des Abendlandes nur vergrößern.

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