6824540-1974_05_03.jpg
Digital In Arbeit

Nicht UOG, sondern AOG: Anti-Ordinarien-Gesetz

19451960198020002020

Der Zufall des Terminkalenders hat recht eindrucksvoll Regie geführt und in den letzten beiden Wochen die sich zuspitzende Dramatik der hochschulpolitischen Entwicklung in Österreich auch einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt. Am 15. Jänner übergaben die Professoren Korninger (Universität Wien) und Paschke (TH Wien) namens der österreichischen Rektorenkonferenz in einem „Hearing“ im Unterausschuß des Wissenschaftsausschusses die Stellungnahme der Hochschullehrer zum Regierungsentwurf des Universitäts-Organisationsgesetzes (UOG) und zugleich die große verfassungsrechtliche Untersuchung von Karl Wenger und Günther Winkler (Die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Eine verfassungsrechtliche Analyse der Bedeutung des Art. 17 StGG für die Hochschulorganisation), die zu dem Ergebnis kommt, daß die Regierungsvorlage in einer Reihe von Punkten der geltenden Bundesverfassung widerspricht. An den beiden darauffolgenden Tagen ergaben die an allen österreichischen Hochschulen nach einer Pause von drei Jahren durchgeführten Wahlen in die studentischen Vertretungskörper trotz dieser langen Pause, trotz eines höchst intensiv und unter Einsatz von Propagandamitteln bisher unbekannten Ausmaßes geführten Wahlkampfes, nur eine studentische Wahlbeteiligung von 34 Prozent — die niedrigste, seit es wieder freie Hochschulwahlen gibt — sowie im allgemeinen einen deutlichen Linksruck, der teilweise gewiß auf das erstmals geltende aktive Wahlrecht der ausländischen Studenten, hinsichtlich der bemerkenswerten Schlappe der ÖSU, vor allem aber auf die inneren Streitigkeiten und Richtungskämpfe zurückzuführen sein dürfte

19451960198020002020

Der Zufall des Terminkalenders hat recht eindrucksvoll Regie geführt und in den letzten beiden Wochen die sich zuspitzende Dramatik der hochschulpolitischen Entwicklung in Österreich auch einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt. Am 15. Jänner übergaben die Professoren Korninger (Universität Wien) und Paschke (TH Wien) namens der österreichischen Rektorenkonferenz in einem „Hearing“ im Unterausschuß des Wissenschaftsausschusses die Stellungnahme der Hochschullehrer zum Regierungsentwurf des Universitäts-Organisationsgesetzes (UOG) und zugleich die große verfassungsrechtliche Untersuchung von Karl Wenger und Günther Winkler (Die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Eine verfassungsrechtliche Analyse der Bedeutung des Art. 17 StGG für die Hochschulorganisation), die zu dem Ergebnis kommt, daß die Regierungsvorlage in einer Reihe von Punkten der geltenden Bundesverfassung widerspricht. An den beiden darauffolgenden Tagen ergaben die an allen österreichischen Hochschulen nach einer Pause von drei Jahren durchgeführten Wahlen in die studentischen Vertretungskörper trotz dieser langen Pause, trotz eines höchst intensiv und unter Einsatz von Propagandamitteln bisher unbekannten Ausmaßes geführten Wahlkampfes, nur eine studentische Wahlbeteiligung von 34 Prozent — die niedrigste, seit es wieder freie Hochschulwahlen gibt — sowie im allgemeinen einen deutlichen Linksruck, der teilweise gewiß auf das erstmals geltende aktive Wahlrecht der ausländischen Studenten, hinsichtlich der bemerkenswerten Schlappe der ÖSU, vor allem aber auf die inneren Streitigkeiten und Richtungskämpfe zurückzuführen sein dürfte

Werbung
Werbung
Werbung

Für die Befürworter einer drittelparitätischen (oder sogar darüber noch hinausgehenden) studentischen Mitbestimmung war jedenfalls diese geringe studentische Wahlbeteiligung, welche die allen Eingeweihten längst bekannte Kluft und Entfremdung zwischen „Normalstudenten“ und „Studentenfunktionären“ allgemein sichtbar machte, eine herbe Enttäuschung.

Eine Woche nach diesen Ereignissen kam es in Graz zu einer spontanen Kundgebung der steirischen Hochschullehrer gegen den UOG-Entwurf, einer Demonstration, der sich auch Assistenten und Studenten anschlössen und in deren Verlauf der Landeshauptmann der Steiermark die demonstrierenden Professoren seiner Solidarität im Kampf gegen das UOG versicherte; und am gleichen Tag hielt in Wien der Professoren/verband, die überparteiliche Standesvertretung der österreichischen Hochschullehrer, eine Pressekonferenz ab, bei der der Vorsitzende des Professorenverbandes, Prof. Robert Walter, bekanntgab, daß die Professoren Am Kampf gegen das von ihnen abgelehnte Gesetz alle ihnen zur Verfügung stehenden.Mittel und Waffen einsetzen würde,wobei er auf die Frage nach der Beschaffenheit dieser Mittel darauf hinwies, daß gegen die offenkundige Schlechterstellung der Professoren gegenüber dem bisherigen Zustand, sowohl rechtlich wie vor allem hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, auch der Einsatz gewerkschaftlicher Kampf maßnahmen gerechtfertigt, ja geboten sein könne.

Man würde allerdings den massiven Widerstand der Professoren gegen das UOG mißverstehen, wollte man in ihm nur einen Kampf zur Wahrung „wohlerworbener Rechte“ sehen. Ist doch der Hauptgrund für diesen Widerstand gerade in dem zu sehen, was in der Stellungnahme der Rektorenkonferenz als der „Geist des Gesetzes“ bezeichnet wird, von dem es in dieser Stellungnahme heißt: „Der Text der Regierungsvorlage verdichtet sich gemeinsam mit den erläuternden Bemerkungen zu einem univerständlichen Votum des Mißtrauens den Hochschulen gegenüber, die seit Jahrzehnten oft unter denkbar schlechten Bedingungen die akademische Jugend ausgebildet und mit ihren Leistungen dazu beigetragen haben, dieses Land geistig und wirtschaftlich zu sichern und ihm internationales Ansehen zu verschaffen. In der Geschichte der österreichischen Gesetzgebung dürfte es einmalig sein, daß ein Gesetzentwurf in dieser Weise von Mißtrauen getragen und in seinem Wesen derart von Mißtrauen bestimmt wird.“

Was hier in zurückhaltend akademischer Ausdrucksweise als „Votum des Mißtrauens“ bezeichnet -wird, hat ein junger, sehr reformfreudiger Professor vor kurzem in einem Privatgespäch etwas kräftiger „ganze Kübel von Ressentiments“ genannt, die im UOG-Entwuf enthalten seien. Man muß dabei wieder darauf hinweisen, wie grotesk es doch ist, daß sich unter den sechs Verfassern dieses Gesetzentwurfes kein einziger Hochschullehrer befand. Wenn dagegen vom Abgeordneten Dr. Fischer, einem der Mitschöpfer dieses Entwurfs, eingewandt wird, es handle sich dabei doch nur um die legistische Verwirklichung des einsti“gen sozialistischen Hochschulkonzepts, an dessen Erstellung doch sozialistische Professoren beteiligt gewesen seien, so darf man nicht übersehen, daß gerade sozialistische Professoren (die Betonung liegt auf dem Plural), die einst an diesem Hochschulkonzept mitgearbeitet haben, das UOG heute ebenso entschieden ablehnen wie ihre nicht-sozialistischen Kollegen, weil sie darin eine bürokratische Verfälschung des seinerzeitigen sozialistischen Hochschulkonzepts sehen; einen echten „Rückmarsch in den Vormärz“ und eine Rückgängigmachung der Segnungen der Verbindung und der Freiheit von Forschung und Lehre, die den österreichischen Hochschulen durch die große Reform des Grafen Leo Thun-Hohenstein zuteil wurden. Es erscheint unfaßbar, daß dieser entscheidende Fortschritt, den die österreichische Wissenschaft dm Zeitalter des „Neoabsolutismus“ unter einem hochkonservativen Grafen verbuchen konnte, mehr als ein Jahrhundert später unter einer sozialistischen Ressortleiterin wieder vernichtet werden soll!

Es kann hier nicht auf alle Ungereimtheiten, Widersprüche und Fehlkonstruktionen dieses Gesetzentwurfes eingegangen werden, auf das wahrhaft barocke Durcheinander und Nebeneinander von Gremien, Kompetenzen und Institutionen. Wenn im 15, Absatz 2, die Teilnahme an den Sitzungen der verschiedenen Gremien und Vertretungskörper zur Pflicht erklärt wird, so müßte der Gesetzgeber klar feststellen, wem in den unvermeidlich eintretenden zeitlichen Kollisionen zwischen der Abhaltung von Lehrveranstaltungen und der Teilnahme an Sitzungen der verschiedenen Gremien (abgesehen von der ja auch nicht ganz unwichtigen wissenschaftlichen Forschung) der Vorrang gebühre; denn die Fähigkeit, an mehreren Orten zugleich zu sein, wird zwar von der Legende einigen wenigen Heiligen (so dem Hl. Antonius von Padua) zugeschrieben, ist aber in der Regierungsvorlage für Professoren nicht vorgesehen. Wenn aus der auf Forschung und Lehre orientierten Hochschule aber eine „Sitzungsundversität“ zur Austragung gruppendynamischer Schaukämpfe wird, sind die beträchtlichen Steuergelder für den Ausbau der Hochschulen jedenfalls nicht entsprechend verwendet.

Als ein weiteres Beispiel für die doktrinäre Engstirnigkeit dieses Gesetzentwurfes sei nur auf die besonders widersinnige und unzweckmä-mäßige Bestimmung der alphabetischen Reihung der Namen bei den Besetzungsvorschlägen hingewiesen. Denn hier handelt es sich gegenüber der bisherigen Praxis, die eine Anpassung an die jeweils gegebene „Marktlage“ in dem betreffenden Fach ermöglichte, um einen auch jedem nicht näher mit der Materie Vertrauten sofort einsichtigen Rückschritt. Frau Minister Firnberg hat dies offenbar selbst längst eingesehen und bei dieser Bestimmung ein ungutes Gefühl gehabt, denn sie erklärte schon vor mehr als Jahresfrist in einem Interview, diese alphabetische Reihung werde für sie „keine heilige Kuh“ darstellen. Die daraufhin in Hochschulkreisen gehegte Hoffnung, diese so besonders unzweckmäßige Bestimmung, die von keiner der an der Hochschule tätigen Gruppen, weder von Studenteil, noch von Assistenten, noch natürlich von den Professoren gefordert wurde, werde auf dem Weg vom ersten Entwurf zur endgültigen Regierungsvorlage sang- und klanglos verschwinden, hat sich aber leider nicht erfüllt.

Im allgemeinen ist bei den sehr gründlichen und intensiven Beratungen der Regierungsvorlage in den Fakultäten und in den von diesen eingesetzten Kommissionen der Eindruck entstanden, daß mit diesem Gesetz die bereits seit Jahren erfolgreich in Gang befindliche Studienreform nachträglich von einer keineswegs fortschrittlichen, sondern in Wahrheit bürokratisch-rückschrittli-chen, ja eigentlich zutiefst reaktionären Organisationsreform erschlagen wird. Denn die Professoren, die so entschieden gegen das UOG Stellung nehmen, sind ja gar nicht reformfeindlich, sondern dm Gegenteil vielfach seit Jahren höchst reform- und experimentierfreudig in ihrem Fachbereich im Sinne einer wahrhaft zu-kunftsbezogenen fortschrittlichen und modernen Studienreform tätig. Die Fernseher haben sich zumindest inzwischen schon davon überzeugen können, daß die Herren Winkler, Korninger, Paschke, Koja, Walter, Bruckmann usw. durchaus nicht dem Klischeebild des weltfremden, verträumten alten Professors der „Fliegenden Blätter“ entsprechen. Aber sie sind nicht nur in ihrem Äußeren und in ihrem Gehaben, sondern vor allem in ihrer geistigen Haltung weit jugendlicher, moderner und aufgeschlossener als manche Bürokraten und Politiker, die sich noch immer nicht von den liebgewordenen Leitbildern josephinisch-vormärzlichen Autoritätsdenkens freimachen können.

Es ist bisher in Österreich üblich gewesen, daß Schulgesetze, die das so wichtige Erziehunigswesen des Landes auf Jahre hinaus bestimmen, zumindest mit den Stimmen der >eiden großen Parteien verabschiedet wurden. Frau Minister Firnberg hat erst kürzlich in verschiedenen Interviews erklärt, was von ihr aus geschehen könne, um eine Einigung im Parlament herbeizuführen, werde geschehen, denn das Gesetz sei für sie keine Prestigeangelegenheit. Bei dem eingangs erwähnten „Hearing“ im Parlament aber haben die beiden Rektoren Korninger und Paschke betont, daß die Rektorenkonferenz alle notwendigen Experten der Hochschulen, wie etwa Verfassungsrechtler, Organisationstheoretiker, Organisationssoziologen, Betriebswirte usw. zur Verfügung stellen wolle, um den Unterausschuß bei der teilweisen Neugestaltung dieses unrealistischen Entwurfes zu unterstützen.

Der Zufall des Terminkalenders hat es so gefügt, daß am Tag des „Hearings“ auch die Jubiläumsnummer zum 25jährigen Bestand der „österreichischen Hochschulzeitung“ erschien, in dem die früheren Unterrichtsminister Kolb, Drimmel und Piffl-Peröevic und Frau Wissenschaftsminister Firnberg im Rückblick ihre eigene Ministertätigkeit und die jeweils in diesen Zeitabschnitt fallenden Schwerpunkte in der Entwicklung der österreichischen Hochschulen und der Hochschulpolitik darstellten. In ihrer Gesamtheit ergaben diese Beiträge einen trotz der reizvollen Unterschiede in Diktion und Wertung doch einheitlichen Und überaus eindrucksvollen Bericht über den schrittweisen und mühevollen Wiederaufbau und Ausbau der österreichischen Hochschulen; eine Leistung, auf die alle daran beteiligten Persönlichkeiten und Gruppen, die Minister und ihre Beamten, aber auch die Professoren, Assistenten und Studenten und alle anderen an den Hochschulen tätigen Personen mit Recht und gemeinsam stolz sein könnten. Es wäre zutiefst bedauerlich, wenn dieses Gefühl der Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit und des Stolzes auf die gemeinsam vollbrachte — und weiterhin zu vollbringende — Leistung durch ein künstlich genährtes antagonistisches Gruppendenken zerstört und die Funktionsfähigkeit unserer Hochschulen gefährdet würde durch ein Gesetz, das, nach dem Urteil der Rektorenkonferenz, „nicht von Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Sachlichkeit ausgeht, sondern von einem utopisch-ideologischen Standpunkt aus experimentiert.“

Es ist ein Gesetz, das man nicht UOG, sondern AOG (Anti-Ordinarien-Gesetz) nennen sollte; weshalb man sich auch nicht wundern darf, daß es auf den erbitterten Widerstand jener stößt, gegen die es gerichtet ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung