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„Nicht Verbündeter, nicht Gegner einer Partei...“

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„Der Schrecken, die Unsicherheit, die anscheinende Sinnlosigkeit gebiert die Angst. Die Angst ist zum Kennzeichen unserer Zeit geworden. Und da beginnt der Mensch zu fragen: Was ist das für eine Gesellschaft, in der wenige im Überfluß und viele in Hunger und Elend leben? Was ist das für eine Welt, in der Haß, Gewalt, Terror und Unterdrük-kung regieren? Und er fragt auch die Kirche, es' fragen die gläubigen Menschen und auch jene, die nicht mehr glauben.

Wehe der Kirche, wenn auch sie die Antwort nicht geben kann, wenn die Kirche mit Ausflüchten kommt, wenn sie von der Vergangenheit redet, wenn sie nur Antworten weiß auf Fragen, die die Menschen heute nicht stellen. Wenn sie — auf ihren Pluralismus verweisend — eine breite Palette verschiedener Meinungen und Anschauungen präsentiert. Eine Kirche, die selber ratlos ist, kann den Mensch)en nicht helfen. Aber der Pluralismus theologischer Meinungen ist nicht das Lehramt der Kirche. Die Ratlosigkeit mancher Thejo-logen bedeutet nicht Ratlosigkait der Kirche.

Die Angst, die Unsicherheit hah auch vor den Toren der Kirche nicht haltgemacht. Mutlosigkeit und Kleingläubigkeit gibt es auch unter Christen. Manche flüchten in die Vergangenheit, in eine Vergangenheit der Kirche, in der alles so klar und einfach zu sein schien und stellen sich gegen die Kirche ihrer Zeit.

Aber der Mensch kann nicht aus der Vergangenheit leben. Der Mensch ist für die Zukunft angelegt. Die Angst macht den Menschen nicht frei. Gott aber hat die Menschen zur Freiheit berufen. Die Botschaft, mit der den Menschen in der Nacht die Geburt Jesu verkündet wurde, beginnt mit den Worten: „Fürchtet euch nicht.“ Gott hat sich mit den Menschen eingelassen. Er ist Mensch geworden, um den Menschen zur Seite zu stehen. Das Christentum ist keine Botschaft der Angst und der Düsternis, sondern eine frohe Botschaft.

Auch unter Christen ist viel Angst, Kleinmut und Kleingläubigkeit. Weil wir zehn Jahre nach dem Konzil noch nicht alle Früchte ernten, war deshalb das Konzil umsonst oder ein Irrtum? Weil am Ende des Heiligen Jahres der Versöhnung noch immer Mord, Haß und Terror stehen, war es deswegen sinnlos, daß Millionen Menschen in diesem Heiligen Jahr nach Rom gekommen sind und dort gebetet haben?

Für den österreichischen Christen war das vergangene Jahr getragen von manchen Erwartungen, belastet von manchen Enttäuschungen. Viele haben sich in einem Volksbegehren für ein Gesetz zum Schutz des Lebens ausgesprochen. Es ist zum größten Volksbegehren geworden, das es je in Österreich gab. Ich danke allen, die aus ihrem Gewissen heraus sich verpflichtet gefühlt haben, dieses Volksbegehren zu unterstützen. Für Verzagtheit, für Kleinmut ist kein Anlaß. Aber auch jene, die sich aus ihrem Gewissen heraus gegen das Volksbegehren gestellt hatten, trugen doch auch zur Klärung der Frage bei. So ist gerade durch die breite Diskussion eine weitgehende Meinung darüber erzielt worden, daß das im Mutterleib entstehende Leben zu jeder Zeit menschliches Leben ist, und wert, geschützt zu werden. Über die bestmögliche Art des Schutzes dieses Lebens gehen die Ansichten auseinander, das Gespräch aber ist noch nicht abgeschlossen. Wir müssen in so vielen Dingen über die Grenzen unseres Landes schauen, vielleicht ergibt sich auch in dieser Frage eine europäische Lösung.

Da die Kirche bei der Fristenlösung im Gegensatz zur Regierungspartei steht, sprechen Zeitungen schon von einer drohenden Konfrontation zwischen Kirche und Staat. Vielleicht gibt es manche in Österreich, die an einem Konflikt interessiert wären. Die Kirche ist es nicht, und auch die verantwortlichen polirischen Kräfte in diesem Lande sind es nicht. Die Kirche wird aber deswegen kein stummer Diener des Staates sein, sie wird dort reden, wo sie reden muß, sie wird vielleicht öfter und betonter reden als bisher, aber sie wird nicht gegen den Staat zu Felde ziehen, der auch ihr Freiheit und Frieden garantiert. Und sie wird nicht Verbündeter einer oder Gegner einer anderen Partei sein. Aber die Kirche wird wieder die Gläubigen an ihre politische Verantwortung erinnern, wo sie politisch auch stehen, an die Verantwortung, die der einzelne dafür trägt, welche Politik in einer Partei und welche Politik in Österreich gemacht wird.

Es ist ja nicht so, daß der einzelne nichts tun kann. Auch das ist eine Parole der Angst. Immer wird es auf den einzelnen Menschen ankommen, seinen Mut, seine Verständnisbereitschaft, seine Hilfsbereitschaft, seine Liebe und seine Güte. Gott hat sich mit der Welt eingelassen, wir müssen uns mit den Menschen einlassen in Liebe, Güte und Verständnis. Wir müssen uns einlassen mit dem, der sich mit uns eingelassen hat und der gesagt hat: „Fürchtet euch nicht, denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern sie zu retten.“

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