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Nichts als Fragmente

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Je größer die Erwartungen, desto größer auch die Enttäuschung: Die erste Zusammenarbeit Herbert von Karajans mit Giorgio Strehler hat gezeigt, daß gerade diese wohl spektakulärste Künstlerliaison, die Salzburg in den letzten Jahren anzubieten hatte, fürs erste nicht mehr als eine mittelmäßige, obendrein unfertige Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ beschert hat: eine Inszenierung, in der Höhen und Tiefen, Geniales und Banales, köstliche Ideen und billigste Klischees, raffiniert Erarbeitetes und leidlich Improvisiertes nebeneinanderstehen.

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Je größer die Erwartungen, desto größer auch die Enttäuschung: Die erste Zusammenarbeit Herbert von Karajans mit Giorgio Strehler hat gezeigt, daß gerade diese wohl spektakulärste Künstlerliaison, die Salzburg in den letzten Jahren anzubieten hatte, fürs erste nicht mehr als eine mittelmäßige, obendrein unfertige Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ beschert hat: eine Inszenierung, in der Höhen und Tiefen, Geniales und Banales, köstliche Ideen und billigste Klischees, raffiniert Erarbeitetes und leidlich Improvisiertes nebeneinanderstehen.

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Der Grund liegt da freilich nicht im Versagen eines Künstlers wie Strehler. Man muß ihn viel eher bei Salzburgs Festspielen, ihrem technischen Apparat, der Art ihres Betriebes suchen: Denn daß auch einer der größten Regisseure ein so kompliziertes Werk wie Mozarts „Zaubernöte“ nicht in sage und schreibe 19 Tagen auf die Bretter stellen kann, und schon gar nicht in einem so komplizierten, in mehr als einjähriger Arbeit gemeinsam mit Bühnenbildner Luciano Damiani erdachten optischen Konzept, wird jedem klar sein. Was Strehler und Damiani erarbeiteten, wäre wert gewesen, in allen üppig-phantastischen Details realisiert zu werden (Ja, man sollte eigentlich beiden die Möglichkeit geben, dieses Konzept auf einer weniger großen Bühne noch einmal zu verwirklichen!): Es ist nämlich ein Idealfall, wie Alt-Wiener Vorstadttheater modern, zeitgemäß umgesetzt werden kann, wie es durch die Zauber- und WundeBmaschinerie des „teatro airitaliana“ zugleich „geistesgeschichtliches und künstlerisches Zitat“ werden und modernste Tendenzen eines offenen Spiels spiegeln kann.

StrehJer und Damiani spannten da ein Riesenzelt über die natürlich viel zu große Bühne des Salzburger Festspielhauses, trachteten durch die Auflösung des starren Raums durch zahllose optische Effekte, Gags, ja durch eine eigene Verwandlungsdramaturgie über die Probleme dieser unmenschlichen Bühne hinwegzukommen. Sänger und Statisterie schlüpfen durch die gebauschten Zeltvorhänge ins Innere; durch die hochgerafften Markisen fahren Berge, Tempel, Monumentalplasti-ken, herein unid hinaus, versinken Palmenwälder; da zieht Sarastro auf goldenem Löwensechsspänner wie ein assyrischer Großkönig in den Sonnentempel ein und weiten sich silbernschimmernde Gebirge zu drohenden Schluchten, in denen Tamino 'und Pamina ihre Feuer- und Wasserprobe bestehen ... Und manchmal darf der Zuschauer auch ein wenig hinter die Kulissen schauen, darf die Theatermaschinerie und die Kulissendepots hinter den Zeltvorhängen sehen, wie das in einem solchen Theater nun einmal dazugehört. Denn Strehler wollte auch den mechanischen Aspekt der „Zauberflöte“, die Liebe des 13. Jahrhunderts und Sehikaneders zur Theatermaschinerie zeigen, von der Wiens Theater seit Barocktagen ihre Haupteffekte bezogen.

Das alles ist in der Eröffnungsvorstellung der Salzburger Festspiele klägliches Stückwerk geblieben. Zwar gibt es Momente, die staunen lassen, Regiemomente, wie sie eigentlich nur Strehler zu gestalten vermag, aber daneben bricht sofort wieder der Bühnenalltag eines Provinztheaters aus ... Die Unkorrekt-heit, mit der diese auf höchste Präzision gearbeiteten Dekors und Verwandlungsspiele ausgeleuchtet werden, die nirgends wirklich präzise funktionierende Maschinerie zerstört Szene um Szene: Vom ersten Bild an, wo die Technik bereits an der Schlange scheitert und das Tier weder Feuer speit, wie sich Damiani das wünschte, noch bedrohlich auf Tamino zufährt, sondern einfach zerfällt. Blamabel! Ich weiß nicht, was den Maschinisten in einem barocken Hoftheater bei solchen Schlampereien passiert wäre!

Dramaturgisch ungereimt wirken aber auch viele Szenen, weil dieses Sängerteam auf Strehlers Bravour-komödienstil, auf das Abscbnurren-lassen einer Szene, dann wieder auf das pathetische Ausspielen, auf die Überzeichnung nach Commedia deLT arte-Art kaum gedrillt sind und diese Technik auch gar nicht so rasch erlernen konnten. Kein Wunder also, daß vieles aus Strehlers Konzept un-realisiert blieb, daß Pamina zum Beispiel allzulang unbedarft herumsteht, daß die Auftritte der drei Damen, der geplante Überfall der Königin der Nacht auf den Sonnentempel, schließlich die Schlußszene sehr zufällig, improvisiert aussehen, ganz so, als hätte einer in höchster Not gerade noch sagen können, wo die einzelnen Protagonisten zu stehen haben.

Nicht minder problematisch ist auch die musikalische Gestaltung durch Herbert von Karajan. Nicht zu übersehen ist, daß er dieser Produktion zusammen mit Strehler bloß vier Probentage gewidmet hat. Man sieht, hier wurde nirgends diskutiert, abgesprochen, koordiniert, zwischen dem, was Strehler sich wünscht und dem, was Karajan für notwendig findet. Lustlos absolviert der Maestro denn auch die Aufgabe;

Das Erfreulichste dieses Abends bescherten immerhin ein paar Sänger: Edith Mathis als Pamina und Rene Kollo als Tamino zum Beispiel. Ihr geschmeidiger, im Ausdruck delikater Sopran paßt ideal zu seinem samtigen Tenortimbre. Zwei noble Gestalter, diskret, kultiviert. Reri Grist ist die reizende Papagena, temperamentvoll, witzig, ein yogelweib-chen voll Koketterie. Hermann Prey ist wohl der Sänger, der sich am meisten Mühe gibt, Strehiers Stil zu treffen, Commedia dell-Arte-Humor mit jugendlichem Schöngesang zu verbinden und vor allem Strehlers Konzept von der Identität Taminos und Papagenos als Geistes- und Sinnenmensch spürbar zu machen. Positiv wirken auch Gerhard Ungers Monostatos und Jose van Dams Sprecher. Die übrige Besetzung läßt alle, die die „Zauberflöte“ lieben, erschüttert seufzen:

Für den Start des spektakulär angekündigten Salzburger Mozart-Zyklus, einer Zusammenarbeit Karajans mit Strehler, war dieser Abend recht dürftig. Das typische Ergebnis eines Unternehmens, in dem Intrigen, Unlust, private Aversionen, Reibereien wichtiger waren als intensive Arbeit, als — Zusammenarbeit!

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